Zwei lächelnde Personen reichen sich in Besprechungsraum über Tisch hinweg die Hand
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Vereinbarungen von geringer Bedeutung im Kartellrecht

Bagatellvereinbarung, mangelnde Zwischenstaatlichkeit

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Das Kartellverbot in Art. 101 AEUV besagt, dass alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarktes bezwecken oder bewirken, mit dem gemeinsamen Markt unvereinbar und verboten sind. Die Europäische Kommission (EK) wendet das Kartellverbot dann nicht an, wenn die mögliche Wettbewerbsbeschränkung entweder im zwischenstaatlichen Handel oder als Wettbewerbsbeschränkung über keine spürbare Wirkung verfügt. 

Im Rahmen der sogenannten Zwischenstaatlichkeitsbekanntmachung  aus 2004 erläutert die EK, wann ein Verhalten nicht geeignet ist, den zwischenstaatlichen Handel spürbar zu beeinträchtigen.

Im Rahmen der sogenannten De-minimis-Bekanntmachung aus 2014 hat die EK festgelegt, wann ihrer Auffassung nach Wettbewerbsbeschränkungen von Unternehmen keine spürbaren Auswirkungen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts haben. Diese weder die nationalen Behörden noch die europäischen Gerichtshöfe bindenden Bekanntmachungen, bieten in der Praxis wichtige Hinweise zur Auslegung des Kartellrechts. 

In diesem Zusammenhang erachtet die EK Vereinbarungen zwischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Regel nicht für geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten spürbar zu beeinträchtigen.


Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung

Die Spürbarkeit einer Wettbewerbsbeschränkung wird von der EK durch die Festlegung von Marktanteilsschwellen quantitativ definiert. Daher liegt bei folgenden Fallkonstellationen keine Spürbarkeit im Sinne des EU-Wettbewerbsrechtes vor:

  • Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern (horizontale Kooperationen), die auf den betroffenen relevanten Märkten gemeinsam nicht mehr als 10% Marktanteil aufweisen.
  • Vereinbarungen zwischen Nichtwettbewerbern (vertikale Vertriebsbindungen), die auf den betroffenen Märkten gemeinsam nicht mehr als 15% Marktanteil aufweisen.

Im Fall von Schwierigkeiten bei der Einstufung der Vereinbarung als horizontal oder vertikal gilt jedenfalls die 10% Schwelle.

  • Bestehen in einem Markt parallele, ähnlich wirkende Netzwerke von Händler – Lieferantenbeziehungen (z.B. Kfz-Vertrieb, Tankstellen, Bierlieferungsverträge), so wird die Marktanteilsschwelle für das einzelne Unternehmen auf 5 % herabgesetzt (kumulativer Marktabschottungseffekt). Wenn weniger als 30 % des relevanten Marktes von solchen Vertragsnetzwerken abgedeckt werden, liegt wiederum keine Spürbarkeit vor. 

Ist die zu beurteilende Vereinbarung nicht spürbar, liegt auch keine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des EU-Wettbewerbsrechtes vor.

Relevanter Markt

Zur Bestimmung der Marktanteile ist zuerst der im gegenständlichen Fall sachlich und räumlich relevante Markt festzustellen. Dafür hat die EK eine eigene Bekanntmachung erlassen (Bekanntmachung „relevanter Markt“, ABl 2024 C 1645

  • Sachlich relevanter Markt: Dieser umfasst in erster Linie sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die von gewerblichen oder privaten Nachfragern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden (Nachfragesubstitution).
  • Räumlich relevanter Markt: Darunter ist jenes Gebiet zu verstehen, worin die beteiligten Unternehmen die relevanten Produkte oder Dienstleistungen anbieten, die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und von benachbarten Gebieten spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen festzustellen sind. Zwischenstaatlichkeit kann dabei auch bei Betroffenheit lediglich eines wesentlichen Teils eines Mitgliedstaates vorliegen.

Tipp: Die Feststellung des relevanten Marktes ist eine der schwierigsten Aufgaben bei der Beurteilung wettbewerbsrechtlicher Fälle; zu den allgemeinen Ausführungen in der Kommissionsbekanntmachung sind auch vergleichbare Entscheidungen der Kommission für eine Beurteilung zu berücksichtigen.


Kernbeschränkungen

Diese Vereinbarungen sind unabhängig von den Marktanteilen immer untersagt, da sie Wettbewerbsbeschränkungen nicht bloß bewirken, sondern gerade bezwecken. Dazu zählen insbesondere:

  • Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern:
    • Festsetzung der Preise beim Verkauf von Erzeugnissen an Dritte,
    • Beschränkung der Produktion oder des Absatzes,
    • Aufteilung von Märkten oder Kunden.
  • Vereinbarung zwischen Nichtwettbewerbern (mit wesentlichen Ausnahmen!):
    • Beschränkungen der Möglichkeit des Käufers seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen,
    • Beschränkungen des aktiven und passiven Verkaufs bei selektiven Vertriebssystemen,
    • Beschränkung von Querlieferungen bei selektiven Vertriebssystemen,
    • Beschränkungen des Absatzgebietes oder des Kundenkreises zu Lasten des Käufers.  

Kommissionspraxis

Bei Sachverhalten, die keine spürbare Wirkung entfalten, eröffnet die Kommission kein Verfahren. Gehen Unternehmen gutgläubig und mit einer gewissen Berechtigung davon aus, dass eine Vereinbarung in den Anwendungsbereich der Bekanntmachung fällt, wird die Kommission im Falle einer Fehleinschätzung keine Geldbußen verhängen. 

Österreichisches Kartellrecht

Das nationale Kartellrecht bleibt voll anwendbar, gerade wenn das EU-Wettbewerbsrecht keine Anwendung findet. Das Kartellgesetz (KartG) beinhaltet eine eigene Regelung für Bagatellkartelle, die seit 01.03.2013 inhaltlich weitgehend die EU-rechtlichen Bestimmungen übernimmt.


Hinweis:
Bei Bagatellkartellen in Österreich ist zu beachten, dass diese, soweit sie zwischen 1.3.2013 und 25.4.2017 zu existieren aufgehört haben, nach der Rechtslage vor dem 1.3.2013 zu beurteilen sind. Alle Bagatellkartelle, die nach dem 25.4.2017 noch nicht beendet sind, werden entsprechend der Rechtslage nach 1.2.2013 beurteilt.


Stand: 21.11.2024