Neuorientierung in der Ukraine
Auch wenn der Zeitpunkt noch nicht klar ist – der Wiederaufbau nach dem Krieg in der Ukraine erfordert große finanzielle Anstrengungen, bietet aber auch vielfältige Chancen für österreichische Firmen.
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Wir haben bei Georg Weingartner, dem Wirtschaftsdelegierten in Kiew, nachgefragt, wie sich die wirtschaftliche Lage aktuell darstellt.
In der Ukraine herrscht seit über zwei Jahren Krieg. Wie geht es der ukrainischen Wirtschaft?
Die wirtschaftliche Situation ist den Umständen entsprechend noch gut. Wir haben vergangenes Jahr ein Wirtschaftswachstum von rund 4% verzeichnen können. Insgesamt ist die makroökonomische Situation vergleichsweise gut. Schwieriger stellt sich dagegen die budgetäre Situation dar. Die Ukraine hat vergangenes Jahr ein Budgetdefizit von insgesamt 20 Mrd. € verzeichnet, und auch dieses Jahr wird das Budgetdefizit wieder sehr hoch ausfallen – natürlich aufgrund der hohen Rüstungsausgaben.
Das Wirtschaftswachstum ist angesichts der Kriegssituation gar nicht so schlecht. Welche Treiber sind diesbezüglich festzustellen?
Die Ukraine war ursprünglich stark auf die Landwirtschaft fokussiert, auf den Export von Stahl und anderen Rohstoffen. Das hat sich durch den Krieg geändert. Die wesentlichen Wachstumstreiber sind seit Kriegsausbruch Sektoren, die man als ‚New Economy‘ bezeichnen könnte. Dazu zählen der IT-Bereich, der Dienstleistungssektor, das Thema der erneuerbaren Energie, aber auch der Bausektor vor allem im Westen der Ukraine, der bisher von den Kriegshandlungen weitgehend verschont geblieben ist. Und, nicht zu vergessen: Es gibt auch eine Verlagerung von Produktionskapazitäten von ausländischen Investoren von der Ostregion in den Westen.
Ein wichtiges Thema, das im Vordergrund steht, ist der Wiederaufbau des Landes. Welche Chancen ergeben sich hier für österreichische Unternehmen?
Der Wiederaufbau des Landes ist bereits jetzt in den vom Krieg betroffenen Regionen im Gang, ich würde aber eher von Neuaufbau sprechen. Und damit meine ich eine völlige Neuorientierung der ukrainischen Wirtschaft. Diese Neuorientierung basiert auf Nachhaltigkeit, erneuerbaren Energien, Smart Manufacturing. Das sind genau jene Bereiche, wo österreichische Firmen sehr gut aufgestellt sind. Insofern rechnen wir uns hier gute Chancen aus. Wir müssen nur darauf achten, dass wir schon frühzeitig den Fuß in die Tür bekommen, damit wir dann entsprechend mitagieren können.
Die Unternehmer haben Sorge, bei Ukraine-Geschäften ein hohes Risiko zu tragen. Aber hier gibt es nun eine Versicherung, oder?
Die Österreichische Kontrollbank und das österreichische Finanzministerium haben eine Ukraine-Fazilität ins Leben gerufen, die der Absicherung von politischen und anderen Risiken staatlicher oder staatsnaher Projekte im Ukraine-Geschäft dient.
Diese Fazilität bringt uns auf Augenhöhe mit anderen europäischen Ländern. Damit haben österreichische Unternehmen die Möglichkeit, alle Ukraine-Geschäfte versichern zu lassen – sowohl mit staatlichen als auch mit privaten Partnern. In den nächsten fünf Jahren sollen 500 Mill. € zur Deckung von Ukraine-Geschäften bereitgestellt werden. Das wird von den Betrieben in den kommenden Monaten hoffentlich gut angenommen werden. Es gibt bereits ein spürbares Interesse der Unternehmer. Zu bedenken ist, dass die Planungssicherheit in der Ukraine derzeit noch sehr kurzfristig ist und es sich daher aktuell um Einzelprojekte handelt. Wenn sich aber die Sicherheitslage stabilisiert, wird sich das sehr schnell ändern. Was wir dann sehen werden, ist aus meiner Sicht so eine Art Goldrausch, wo viele Unternehmen, die aktuell in den Nachbarländern tätig sind, auf die Ukraine schauen werden, wo dann rasch Projekte wie Pilze aus dem Boden schießen werden.
Es geht also darum, den richtigen Zeitpunkt nicht zu verpassen, um den Schritt in den Markt zu wagen?
So ist es. Der richtige Zeitpunkt ist bereits jetzt. Nicht erst, wenn dann quasi alle gleichzeitig den Markt erobern wollen.