Europas Errungenschaft feiert den 30er
Über die EU wird gerne diskutiert. Aber darauf können sich fast alle einigen: der Binnenmarkt, der heuer im Jänner 30 Jahre alt wurde, ist eine Erfolgsgeschichte. Er hat sich als Wohlstandsturbo für 450 Mill. Menschen erwiesen.
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Der mit 1. Jänner 1993 in Kraft getretene Binnenmarkt ist für WKÖ-Experte Christian Mandl eine „der größten Errungenschaften des europäischen Integrationsprojektes“. Der gemeinsame Markt schuf durch seine vier Grundfreiheiten (siehe Infokasten) die Basis für ein einzigartiges Wohlstandsprojekt für Europa (bis 2020 mit Großbritannien). Die von hemmender Zollbürokratie und sonstigen Hindernissen befreite Wirtschaftskraft schuf in diesen 30 Jahren 56 Millionen zusätzliche Arbeitsplätze und löste bei den Warenexporten kleiner und mittlerer Unternehmen ein enormes Wachstum aus. Laut EU-Kommission beträgt der Vorteil des Binnenmarktes (gegenüber einem Handel, der nur nach WTO-Regeln abgewickelt würde), einem 8 bis 9% höheren BIP für die EU. Aufgrund des Wegfalls der Binnengrenzen in der EU ersparen sich allein die österreichischen Unternehmen im EU-Export jährlich rund 2,2 bis 5,5 Mrd. € - Kapital, das jeweils für Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit und vermehrter Kaufkraft frei wird. Ebenso ergeben sich durch den Binnenmarkt positive Einkommenseffekte. Fazit: Vom Binnenmarkt haben alle etwas - durch mehr Wertschöpfung, mehr Wettbewerb und einfachere Regeln.
Österreich nutzte seine Chancen
Österreich trat dem Binnenmarkt und der EU am 1. Jänner 1995 bei – und konnte seitdem die Vorteile des Binnenmarktes besonders gut nutzen, einerseits durch die hohe Dynamik der Nachfrage, andererseits durch neu dazu kommende Mitglieder (2004, 2007, 2013). Die wirtschaftliche Entwicklung, die dadurch möglich wurde, ist beeindruckend.
- Seit dem Beitritt Österreichs 1995 stiegen die Exporte in die anderen Mitgliedsstaaten von 33 Mrd. € auf 112 Mrd. €.
- Österreichs Exportquote kletterte von 33,6% (1995) auf 55,9% (2021) über den EU-Durchschnitt.
- Allein die Exporte in die fünf neuen Mitgliedstaaten Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien haben sich seit dem österreichischen EU-Beitritt verfünffacht: Sie nahmen von 4 Mrd. € (1995) auf 25,5 Mrd. € 2021 zu. In Summe verzeichnet Österreich mit den neuen EU-Mitgliedstaaten einen permanenten Handelsbilanzüberschuss.
- Österreich wurde umgekehrt für Direktinvestitionen attraktiver. Die Investitionen ausländischer Unternehmen in Österreich sind im Schnitt auf das Fünffache gestiegen.
Gut in den Nahmärkten unterwegs
„Salzburg wäre als Exportland unbedeutend, gäbe es nicht den Binnenmarkt“, fasst Thomas Albrecht, Leiter des Bereichs Handelspolitik und Außenwirtschaft in der WKS, den Nutzen dieses Integrationsprojektes für das Bundesland zusammen. Rund 12 Mrd. € beträgt der Beitrag der 5.600 exportorientierten Unternehmen Salzburgs für die regionale Wertschöpfung.
69% davon werden im Binnenmarkt erwirtschaftet, vor allem in Deutschland (3,5 Mrd. €) Italien und den Ländern Ost- und Mitteleuropas. „Salzburgs Unternehmen nutzen die Nahmärkte besonders effektiv“, berichtet Albrecht. „Diese Märkte kompensieren in schwierigen Zeiten die Verluste in anderen Exportmärkten“.
Salzburg gehört übrigens auch zu den Gewinnern, wenn man die Effekte des Binnenmarktes bei den Einkommenszuwächsen betrachtet. Neben Belgien (1.627 €) und den Niederlanden (1.518 €) zählt Österreich (1.583 €) zu den Top-Profiteuren. Im Durchschnitt steigert der EU-Binnenmarkt die Einkommen der EU-Bürger:innen jährlich um rd. 840 € pro Person. Innerhalb Österreichs schneiden Vorarlberg (2.262) und Salzburg (2.038 €) besonders gut ab. Das heißt: je entwickelter, vernetzter und innovativer eine regionale Wirtschaft ist, desto mehr kann sie die Vorteile eines gemeinsamen wettbewerbsorientierten Binnenmarktes nutzen.
Apropos Wettbewerb. Trotz der Bekenntnisse zu den vier Freiheiten neigen die einzelnen EU-Mitgliedsstaaten noch immer zu vielen Hindernissen, um indirekt der eigenen Wirtschaft zu nutzen, man denke nur an die aufwendigen Bürokratie beim „Arbeiten über die Grenzen“. Auch weckte die Pandemie wieder diverse protektionistische Tendenzen und nationale Alleingänge. Der Binnenmarkt ist also durchaus fragil – und auch eine Art Dauerbaustelle. Alle EU-Mitgliedsländer lassen dadurch viel Potenzial ungenutzt. Würde der Binnenmarkt (noch) besser funktionieren, könnte dies sogar zu einem um 12% höherem BIP der EU führen.
Starke Mehrheit gegen einen „Öxit“
Und was wäre, wenn Österreich aus der EU aussteigen würde, so wie Großbritannien? Die Konsequenz wäre eine teure wirtschaftliche Isolation Österreichs. Zwar würde der Nettobeitrag Österreichs in das EU-Budget wegfallen (1,2 Mrd. € 2021). Doch allein die jährlichen Einsparungen von mindestens 2,2 Mrd. € durch den Wegfall der Zollgrenzen sind wesentlich höher als der Nettobeitrag. Verzichten müsste Österreich ebenso auf Wertschöpfungseffekte. Heute hat Österreich ein Wohlstandsniveau, das dauerhaft um 7% des BIP höher ausfällt, als wäre es nicht Teil des Binnenmarktes. Was umgekehrt im Falle eines „Öxit“ mit einiger Wahrscheinlichkeit eine massiven Verlust an Wohlstand bedeuten würde. Das ist es schon beruhigend, dass laut einer Umfrage aus dem Herbst 2022 gut 64% der Österreicher:innen wollen, dass Österreich weiterhin EU-Mitglied bleibt.
Wohlstandsmotor Binnenmarkt
Der europäische Binnenmarkt trat am 1. Jänner 1993 in Kraft.
Der EU-Binnenmarkt zeichnet sich im Wesentlichen durch die vier sogenannten Grundfreiheiten aus: freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit sowie die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs.
Als Österreich am 1.1.1995 gemeinsam mit Schweden und Finnland der EU beitrat, umfasste diese 15 Mitgliedsstaaten. Weitere Erweiterungen um die mittel- und osteuropäischen Staaten sowie Malta und Zypern (2004), Bulgarien und Rumänien (2007) sowie Kroatien (2013) schufen den größten Markt mit 28 Mitgliedstaaten und rund 513 Millionen Einwohnern.
Ein Rückschlag war der EU-Austritt des Vereinigten Königreichs mit 31.1.2020, es blieb jedoch bis Ende 2020 Teil des EU-Binnenmarkts (Nordirland ist durch ein eigenes Protokoll bis heute de facto Teil des Binnenmarkts).
Heute umfasst der EU-27-Binnenmarkt etwa 450 Millionen Einwohner.