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© Jungwirth

Unternehmer mit Herz, Teil 1

Auch wenn die Zeiten herausfordernd sind, haben viele Unternehmerinnen und Unternehmer aus NÖ auch 2023 wieder soziale Verantwortung und Engagement weit über alle Firmengrenzen hinaus gezeigt, so auch das Familienunternehmen Jungwirth.

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 14.09.2024

"Hallo Chefin“, ruft Jakob Wagner fröhlich, legt sein Schleifgerät aus der Hand und winkt Kathrin Jungwirth zu, die in der großen Werkshalle im Grünbacher Betonwerk des Familienunternehmens um die Ecke biegt. „Komm, schau dir mal an, wie glatt die Stiegenkante schon ist. Fühlst du, wo ich noch nachschleifen muss?“, fragt er fachkundig, nachdem die Chefin sein Werk befühlt hat. Seit eineinhalb Jahren ist der 32-jährige Mann mit Trisomie 21 im Unternehmen beschäftigt. Im Frühjahr 2024 wird er eine Lehre als Betonfertigteiltechniker beginnen – als vermutlich erster Mensch mit Down-Syndrom in Österreich. (Die Aufzeichnungen sind nicht zu 100 Prozent zuverlässig.) 
„Leben heißt lernen, und so entwickeln wir uns gemeinsam weiter. Wir haben Jakob und Gerhard – das ist unser zweiter Mitarbeiter mit Trisomie 21 – die Chance gegeben, mitzuarbeiten“, erklärt Jungwirth und betont: „Aber dieses Projekt funktioniert nur, weil unsere Mitarbeiter bereit sind, Inklusion wirklich zu leben. Sie wurden von uns darauf vorbereitet. Gemeinsam wollen wir zeigen, dass es funktionieren kann, wenn wir zusammen  und füreinander einstehen.“ 
2024 wird die 24-jährige Lena das Reinigungsteam unterstützen und die dritte Mitarbeiterin mit Trisomie 21 sein. „Dann sind aber auch unsere Möglichkeiten im Betrieb erschöpft“, erklärt Jungwirth, die gemeinsam mit ihrem Mann den Betrieb mit Werken in Grünbach, Rapottenstein und Kirchberg am Wagram führt und rund 115 Mitarbeiter beschäftigt (www.jungwirth.co.at).
Mit dem Thema intensiv beschäftigt hat sich Familie Jungwirth, nachdem ihre jüngste Tochter Marie 2017 mit der Chromosomenstörung zur Welt kam. Vor drei Jahren gründeten sie den Verein „Hands up for down“ (www.handsupfordown.com), der zahlreiche Projekte für Down-Syndrom-Kinder organisiert. „Wir wollten aber auch für die älteren Menschen mit Trisomie etwas tun“, erklärt Jungwirth. „Inklusion ist der erste Schritt für Menschen mit Behinderung, um den Anschluss in die Gesellschaft zu finden“, sagt sie bestimmt. „Und hier haben wir noch viel vor.“ So werden im Moment Spenden für das Cafe Downtown – als Alternative zu den Werkstätten – gesammelt. „Hier sollen zwei Jugendliche im Ortskern eine gastronomische Ausbildung erhalten und im Anschluss in Gastrobetriebe übernommen werden. Dann folgen die nächsten beiden Lehrlinge“, beschreibt die engagierte Unternehmerin das Ziel des neuesten Projektes. 
Von Inklusion profitiert aber auch das Unternehmen. „Jakob und Gerhard bringen ihre ganze Lebensfreude in den Betrieb mit ein. Das Zwischenmenschliche ist bei Menschen mit Down Syndrom besonders ausgeprägt. Sie merken, wenn es einem nicht gut geht. Ich sage immer, das dritte Chromosom ist das für die Herzlichkeit“, meint Jungwirth mit Blick auf Jakob.

„Do bleib‘ i für imma“

„Sehr glücklich“, antwortet ein strahlender junger Mann auf die Frage, wie ihm seine Arbeit gefällt. „Do bleib‘ i für imma“, meint er überzeugt. Am liebsten baue er Abhebeanker und schleife Stiegenkanten. „Ich will ja, dass die Leute dann eine Freude haben, mit dem was ich hier mache und eine schöne Stiege bekommen“, erzählt Jakob eifrig und meint: „Ich hab‘ das hier ja im Blut. Mein Papa hatte eine Baufirma und die Familie meiner Mama eine Tischlerei.“ Neben einer Freundin („Die Lena, wir sind schon zwei Jahre beisammen. Ich hab‘ sie hier bei einer Veranstaltung kennen gelernt und bald arbeitet sie auch da.“) habe er hier auch viele Freunde gefunden. „Die sind alle nett und lustig hier. Manchmal dürfen der Gerhard und ich auch mit zum Heimspiel der Nordmänner in die Stadthalle. (Jungwirth ist Sponsor des Waldviertler Volleyball Teams). Das ist besonders toll. Die Kathrin sagt immer, an Spaß muss ma auch haben bei der Arbeit“, lacht Jakob und nimmt sich die nächste Stufe vor.
Vor eineinhalb Jahren hätte sich keiner vorstellen können, dass Jakob eine Lehre in der Produktion machen könnte. „Er hat so tolle Fortschritte gemacht“, freut sich die Chefin. Für das erste Lehrjahr soll vorerst eine Teilqualifizierung angestrebt werden. Auch ein eigenes Skript zum Selbststudium will Jungwirth speziell für Jakob ausarbeiten. „Es gibt hier nichts Passendes in einfacher Sprache. Wir wollen auf jeden Fall vorsichtig mit ihm umgehen und keinen Druck ausüben“, erklärt sie. 
Bei den bürokratischen Hürden rund um den Beginn der Lehre für Jakob hat Kathrin Jungwirth die Zwettler WKNÖ-Bezirksstelle tatkräftig unterstützt. „Das hat uns sehr geholfen“, weiß die Unternehmerin mit Herz.  
Und was sagt Jakob dazu, dass er bald eine richtige Ausbildung anfangen kann? „Toll. Da muss ich viel lernen, aber die Kathrin hilft mir. Und dann gehör‘ ich auch endlich richtig dazu. Nicht nur im Betrieb, sondern auch für die Gesellschaft“, sagt er und strahlt seine Chefin an. „Das kriegen wir schon hin“, meinte diese zuversichtlich. „Am Ende bist dann unser Betonprofi.“ 

Eine Win-win-Situation für alle

Jungwirth formt nicht nur Beton, Jungwirth formt auch Menschen. Denn, so Kathrin Jungwirth: „Inklusion ist eine Win-win-Situation für alle. Die Menschen mit Behinderung, die Mitarbeiter und das Unternehmen. Wir wollen das Netzwerk Inklusion weiter wachsen lassen. Denn die Gesellschaft braucht alle Menschen, um sich weiterentwickeln zu können.“

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© Jungwirth Jakob Wagner (Down-Syndrom) ist mit vollem Elan bei der Arbeit.


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© Jungwirth Gerhard Breineßl arbeitet seit eineinhalb Jahren mit Down-Syndrom in der Produktion mit.


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© Jungwirth Werner und Kathrin Jungwirth leben in ihrem Unternehmen Inklusion.

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