RWR-Karte MAN Leopoldsdorf
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Rot-Weiß-Rot-Karte: Know-how aus dem Ausland

Der Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften steigt – auch in NÖ. Die Rot-Weiß-Rot-Karte hilft, Fachkräfte aus Drittstaaten ins Land zu holen. Doch sie muss weiter gestärkt werden. 

Lesedauer: 8 Minuten

Aktualisiert am 25.04.2024

"Ein bisschen aufgeregt, aber positiv. Ich bin sehr gespannt auf meine Arbeit bei MAN Truck & Bus Leopoldsdorf“, sagt Raslen Ghanmi und hievt seinen Koffer vom Förderband am Flughafen in Wien Schwechat. „Ich habe in Tunis schon an Lkw von Renault gearbeitet und kenne einige Arbeitskollegen von den Schnuppertagen vergangenen Herbst“, erzählt der Tunesier weiter und betont: „Sie wieder zu sehen und gemeinsam mit ihnen Projekte umzusetzen, darauf freue ich mich am meisten.“ 
Der Kfz-Techniker ist einer von 14 Arbeitskräften, die Anfang März zur Unterstützung der österreichischen Wirtschaft mit der Rot-Weiß-Rot-Karte – kurz RWR-Karte – aus Tunesien angekommen sind – vermittelt durch recruit-me by integration von Arno Krzywon. „Wir sind einer der größten Arbeitsvermittler und Integrationspartner von Fachkräften aus Drittstaaten nach Österreich. Eines unserer Haupt-Integrationsländer ist Tunesien, da es aufgrund des hohen Ausbildungsniveaus, der Vielsprachigkeit und der modernen Lebenseinstellung der Menschen ideale Voraussetzungen bietet“, erklärt Krzywon, der die Gruppe am Flughafen in Empfang nimmt.

Österreich beliebt

In Tunesien bestehe unter Fachkräften eine große Bereitschaft, nach Österreich auszuwandern. Es wird bereits früh damit begonnen, Deutsch zu lernen. „2023 konnten wir 450 Fachkräfte erfolgreich vermitteln. Im Moment setzen wir mehrere Projekte um, etwa mit Senecura NÖ, Kages, der Vinzenzgruppe oder MAN“, erzählt Krzywon. Vermittelt werden Elektrotechniker, Kfz-Mechaniker, Mechatroniker, IT- & SAP-Spezialisten, Mitarbeiter für den Verschub, für Energieversorger, Solartechnik-Unternehmen und den Pflegebereich.

 „Ich komme mit meinem Unternehmen MEDBest GmbH aus dem Gesundheitswesen und dem Handel mit Medizinprodukten. Vor etwa  drei Jahren habe ich den Bedarf an medizinischen Fachkräften erkannt. Da es in Österreich eine Vielzahl an  Mangelberufen gibt, haben wir begonnen, Mitarbeiter aller Branchen und Ausbildungsgrade zu vermitteln – die in unseren eigenen Sprachschulen in Tunesien bereits gute Deutschkenntnisse erworben haben“, informiert Krzywon und lenkt die Reisegruppe zum Flughafenausgang. 

Herzlicher Empfang in NÖ

Bei der Unterkunft von Ghanmi angekommen, wartet schon Jan-Erik Beerstecher, Personalleiter von MAN in Österreich, auf seinen neuen Mitarbeiter. Die Begrüßung fällt sehr herzlich aus, man umarmt sich, freut sich über das Wiedersehen und kommt gleich ins Gespräch. „Es wird immer schwieriger, Fachkräfte in der EU zu finden, deshalb haben wir uns als eine Möglichkeit auch für die Akquise von Mitarbeitern aus Drittstaaten entschieden“, erklärt Beertecher und ergänzt mit Blick auf Ghanmi: „Die drei Mechatroniker aus Tunesien – Ghanmis Kollegen kommen in ein paar Wochen – sind unsere ersten Mitarbeiter mit RWR- Karte am Standort in NÖ.“ Im Herbst 2023 war das Trio bereits zum Schnuppern in Leopoldsdorf – bei Betriebsleiter Herbert Kainrath. 

Es hat sehr gemenschelt. Chemie und Einstellung haben super gepasst.

„Anfangs gab es schon Bedenken wegen der Sprachkenntnisse, die damals kaum vorhanden waren“, erinnert sich Beerstecher. „Doch erfreulicherweise bestand von Anfang an ein gefühlt blindes Vertrauen auf der fachlichen Ebene, das hat eine Verständigung reibungslos gemacht. Zudem hat es sehr gemenschelt, Chemie und Einstellung haben super gepasst. Und jetzt, ein halbes Jahr später, hat Raslen durch diverse Sprachkurse tolle Fortschritte in Deutsch gemacht.“ 

Es sei ein Pilotprojekt, ein kleines Puzzleteil, um dem Fachkräftemangel entgegenzutreten. „Natürlich setzen wir weiterhin verstärkt auf die Lehre und die Ausbildung unserer Mitarbeiter im Betrieb. Aber wenn das mit Tunesien gut läuft, werden wir die Akquise in Drittstaaten künftig weiter als festes Standbein forcieren.“

„Alle sind nett und hilfsbereit“

„Alles was Mechatroniker machen“, sagt Ghanmi und greift zu seinem Werkzeug. „Es geht um Reparatur und Service von Lkw, Bussen und Vans.“ Ein paar Tage nach seiner Ankunft in NÖ hat der Tunesier seine Arbeitserlaubnis von der Behörde erhalten und seinen Dienst bei MAN aufgenommen. „Es macht Spaß, alle sind nett und hilfsbereit“, meint er zuversichtlich und fügt lachend hinzu: „Und ich hoffe bald auf wärmeres Wetter.“

„An sich“, so Beerstecher, „verliefen die Behördengänge in Sachen RWR-Karte reibungslos, wenngleich das Prozedere natürlich schneller hätte gehen können.“ Aber für MAN sei der ganze bürokratische Aufwand im Vorfeld weder überschaubar noch zu stemmen gewesen. „Deshalb haben wir uns für die Zusammenarbeit mit einem Dienstleister entschieden, der auch Wert auf eine erfolgreiche, dauerhafte Integration und Nachbetreuung legt und hier unterstützt. Damit sich die neuen Kollegen dauerhaft in Österreich bei MAN wohlfühlen.“

Nostrifikation als Nadelöhr

„Es wird besser“, bestätigt Arno Krzywon. „Behörden kennen die RWR-Karte mittlerweile zumindest – und auch die Prozesse werden schneller umgesetzt. Dennoch: Es  braucht Verbesserungen. Im Gesundheitsbereich etwa ist das Nadelöhr die Nostrifikation, die Zeit, Geduld und Unmengen an Dokumenten und Beglaubigungen braucht.“ Auf der Suche nach geeigneten Fachkräften für (nieder-)österreichische Unternehmen arbeitet recruit-me auch eng mit der Wirtschaftskammer Österreich zusammen. „Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit den weltweiten AußenwirtschaftsCentern, werden informiert und nutzen Delegationsreisen, um Partnerschaften zu schließen und vor Ort Arbeitskräfte zu rekrutieren.“

Vorteil, um Unternehmenserfolg zu sichern

Auch bei dsm-firmenich in Getzersdorf (Bezirk St. Pölten Land) – einem global tätigen, hoch spezialisierten Unternehmen im Bereich Biotechnologie – setzt man auf die Expertise aus dem Ausland. „Viele unserer Mitarbeiter bringen internationale Ausbildungs- und Berufserfahrung mit. Die RWR-Karte ist eine transparente Möglichkeit für uns, Stellen zu besetzen, die wir am österreichischen Arbeitsmarkt so nicht besetzen könnten. Ein klarer Vorteil, um unseren Unternehmenserfolg weiter zu sichern“, weiß Country HR Business Partner Marina Nolz.

Elle Chadwick dsm-firmenich
© dsm-firmenich Elle Chadwick

Eine dieser Fachkräfte ist Elle Chadwick. „Als Kind wollte ich Tierärztin werden. In den USA ist eine Veterinärausbildung aber teuer. So entschied ich mich für das Studium der Geflügel- und Tierwissenschaften, weil ich dann immer noch mit Tieren arbeiten konnte“, erzählt die Amerikanerin – Marketingspezialistin für Geflügelfutterqualität und seit April 2021 Teil des Spezialisten für Ernährung, Gesundheit und Schönheit. „Ich habe mich für dsm-firmenich entschieden, weil ich die Möglichkeit haben wollte, im Ausland zu arbeiten, verschiedene Märkte auf der ganzen Welt zu erkunden und dabei mein landwirtschaftliches Wissen einzusetzen“, skizziert Chadwick.

Ihr Hauptinteresse gilt der Lebensmittelsicherheit, wo dsm-firmenich eine starke internationale Präsenz mit einem der größten verfügbaren Portfolios hat. „Das eröffnet mir zahlreiche Chancen für meine Karriere. Ich lerne regelmäßig neue Möglichkeiten kennen, meine Fähigkeiten anzuwenden.“ Den großen Unterschied, so die Amerikanerin, machen aber die Menschen. „Ich lerne jeden Tag von meinen Branchenkollegen über ihre Erfahrungen und ihre Kultur. Darüber bin ich sehr dankbar“, sagt sie und blickt lächelnd zu Marina Nolz.

RWR-Karte braucht gewisse Zeit

„Es ist wichtig zu bedenken, dass eine RWR-Karte nicht innerhalb eines Tages ausgestellt wird“, gibt Nolz zu bedenken. „Es muss also möglich sein, auf die neuen Mitarbeiter mehrere Wochen warten zu können.“ Im Recruiting setzt das  schweizerisch-niederländische Unternehmen mit 30.000 Mitarbeitern in 60 Ländern vor allem auf LinkedIn (Direktansprache und Posting von Jobs) und die Erfahrungen eines externen Partners, der „uns im Prozess um die RWR-Karte unterstützt, damit wir uns auf unsere Hauptaufgaben konzentrieren können – vitale Nährstoffe, Aromen und Düfte zu erfinden, zu produzieren und neu zu vereinen.“

Experte im Interview: Maximilian Buchleitner, Leiter IFO

Wie können Unternehmen passende Fachkräfte aus dem Ausland finden?

Maximilian Buchleitner: Wir haben mit der Internationalen Fachkräfte-Offensive (IFO) fünf Fokusländer ausgewählt, auf die sich Unternehmen bei der Rekrutierung verlassen können: Albanien, Kosovo, Brasilien, Indonesien und die Philippinen. Je nach Branche gibt es dort exzellent ausgebildete Fachkräfte, die Wege sind durch uns aufbereitet und ein breites Serviceangebot steht zur Verfügung.

Worauf ist im Hinblick auf die RWR-Karte zu achten?

Speziell der Bereich der Mangelberufe ist relevant: Es gibt 55 Punkte zu erreichen, ein großer Block ist dabei die Berufsausbildung. Nur wenn die ausländische Ausbildung mit der österreichischen Berufsausbildung vergleichbar ist, gibt es Punkte. Daher ist sicher der größte Stolperstein die Identifikation von geeigneten Bildungseinrichtungen im Ausland. Darüber hinaus spielen Sprachkenntnisse (insbesondere Deutsch & Englisch) und das Alter der Fachkraft eine Rolle. Als Wirtschaftskammer-Organisation beraten wir natürlich gerne zur Rot-Weiß-Rot-Karte, und auch unsere Kooperationspartnerin, die Austrian Business Agency, steht speziell unseren Mitgliedsbetrieben zur Verfügung. 

Wie unterstützt die WK Unternehmen bei der Suche nach internationalen Fachkräften?

Die IFO der WKÖ bietet konkrete Services bei der Rekrutierung von qualifizierten Fachkräften in Mangelberufen in den Fokusländern. Diese Unterstützung reicht vom „Straßen bauen“ – dem Schaffen der Voraussetzungen in Vollzug und Gesetzgebung, den Abschluss bilateraler Abkommen & dem gemeinsamen Entwickeln von Geschäftsmodellen – bis hin zu branchenspezifischen Rekrutierungs- und B2B-Vernetzungsevents, Wirtschaftsmissionen und Kompetenzfeststellungstools. Mit einer eigenen Dachmarke „Your Future Made in Austria“ bewerben wir den Arbeitsstandort Österreich und unterstützen damit Betriebe bei ihren Rekrutierungsbemühungen. In Albanien, Kosovo, Brasilien und den Philippinen beraten an unseren AußenwirtschaftsCentern eigene „IFO Key Account Manager“.Unter wko.at/ifo finden sich außerdem Veranstaltungen zur Rekrutierung und Vernetzung.