Dr. Roman Bertenrath, Wirtschaftsforscher bei Economica
© Daniel Roth

Mehr regional als Wettbewerbsvorteil

Wirtschaftsforscher Roman Bertenrath ortet hinter den aktuellen Preissteigerungen auch strategische Überlegungen. Noch heuer erwartet er aber eine Normalisierung der Handelsströme.

Lesedauer: 3 Minuten

Aktualisiert am 13.03.2023

Die Unternehmen sind aktuell mit massiv gestiegenen Energie- und Materialkosten konfrontiert. Waren diese Preissteigerungen aus Ihrer Sicht absehbar?

Roman Bertenrath: Natürlich hat sich durch Corona mit Maßnahmen wie Grenzsperren, Lockdowns etc. die Verfügbarkeit von Rohstoffen und von verschiedenen Produkten aus fernen Destinationen verschlechtert. Ein Teil ist aber sicher auch auf eine strategische Rohstoffpolitik zurückzuführen. China etwa hat sich seit über einer Dekade Rohstoffquellen sehr geschickt und strategisch mit langfristigen Lieferverträgen auch in anderen Ländern in Asien und Afrika gesichert.


Und übt damit Druck aus? 

Es gibt jedenfalls Beispiele, etwa 2010 das Ausfuhrverbot für seltene Erden gegenüber Japan, das einen Preissprung an den internationalen Rohstoffmärkten ausgelöst hat. Oder 2019 der Konflikt mit den USA, wo auf die Beschränkungen der USA für Huawei mit Beschränkungen bei Rohstoffzugängen geantwortet wurde. Man hat es in China auch sofort als Angriff auf die eigene Vormachtstellung interpretiert, als man in Australien Erschließungsprojekte für seltene Erden, die sonst vor allem in China vorhanden sind, gestartet hat.


Wagen Sie vor diesem Hintergrund – Corona-Auswirkungen einerseits, wirtschaftspolitische Strategien andererseits – eine Prognose, wie lange die Preissteigerungen noch anhalten werden?

Der Großteil der Störungen in den Lieferketten geht auf Staus der Containerschiffe vor den  Häfen in Hongkong,  Shanghai oder den nordamerikanischen Häfen zurück; reagiert China erneut mit einer Zero-Covid-Politik auf die Ausbreitung der Omikron-Variante, könnten 15% aller weltweiten Güter auf Schiffen festliegen.  Hier deutet Vieles darauf hin, dass sich dieser Stau im zweiten bis dritten Quartal des Jahres merklich reduzieren wird. Es sollte also – wenn nicht eine neue Corona-Variante dazwischenfunkt – zu einer größeren Normalisierung der Handelsströme kommen, was sich auch preisdämpfend auf die Rohstoffsituation auswirken würde. 

 

Bleibt den Betrieben in dieser Situation einfach nur das Abwarten oder sehen Sie Strategien, wie man als Unternehmen diesen Belastungen begegnen könnte?

Eine Möglichkeit sind natürlich strategische Einkäufe, wo schon im Voraus für einen Termin gekauft wird. Viele Betriebe machen das ja auch so. Im Prinzip stehen Unternehmen und Staaten vor einer ähnlichen Situation wie Haushalte, wo man ja auch überlegen muss, wann man etwas günstig kaufen kann, welche Vorräte man anlegt, etc. Vor einem Zusammentreffen mehrerer Krisen wie gegenwärtig, können sich Unternehmen aber nur bedingt schützen. Sie könnten aber ihre Lieferketten genauer dokumentieren um herauszufinden, welche Zulieferer dem größten Risiko ausgesetzt sind. Im Moment ist das freilich schwierig, was ein Stück auch den Strukturen in den Rohstoffmärkten geschuldet ist – der dritten Dimension neben Corona und strategischen Überlegungen. Das schlägt etwa im Energiebereich stark durch, aber nicht nur. Wer jetzt für sein Produkt – also etwa seltene Erden oder Gas - hohe Preise erzielen kann, macht das natürlich dann auch. Die USA gehen als Reaktion darauf etwa massiv dazu über, die Lithium-Produktion zur Herstellung von Batterien massiv auszuweiten, um sich von einer Situation des Ausgeliefertseins zu befreien. Die EU denkt auch darüber nach, entsprechende Wege zu gehen.

 

Hat Europa hier zuletzt etwas versäumt? Müsste man auch Produktion wieder verstärkt nach Europa holen?

Wenn Unternehmen im Ausland produzieren lassen, folgt das natürlich einem klaren wirtschaftlichen Kalkül einer global vernetzten, effizienten Produktion.. Eine kurzfristige Abkehr vom globalen Handel mit einer Rückverlagerung der internationalen Produktion nach Österreich würde unser BIP zweistellig einbrechen lassen. So genannte schwarzen Schwäne wie COVID19 sind einfach nicht vorhersehbar.

Vielleicht führt all dies aber auch zu einem langfristigen Umbau der Produktions- und Lieferketten mit einer positiven Entwicklung für heimische Produktionsbetriebe und heimische Arbeitnehmer, dass wir als Antwort auf Corona oder Handelsbeschränkungen durch die chinesische Industriepolitik geradezu gezwungen sind, langfristig mehr regional zu produzieren und uns als regionale Anbieter zu etablieren. Das könnten auch Investoren an der Börse honorieren. Wenn wir in Europa als „First Mover“ schnell eine CO2-neutrale Wirtschaft etablieren, kann daraus ein klarer Wettbewerbsvorteil werden, da die Klimaschutzkosten durch Abwarten immer höher werden.


Wo sehen Sie im Zuge einer solchen Neuaufstellung die Chancen eines kleinen Landes wie Österreich? 

Bei der Energieversorgung der Wirtschaft sehe ich Österreich mit seiner Wasserkraft sehr gut aufgestellt und mit einem Wettbewerbsvorteil hinsichtlich einer verlässlichen Stromerzeugung gegenüber vielen europäischen Ländern ausgestattet. Allerdings braucht es auch in Österreich noch verstärkte Investitionen in die Netzinfrastruktur, nicht zuletzt um den Stromkostennachteil gegenüber Deutschland zu minimieren. Bei der Einkaufsstrategie von Rohstoffen befindet sich Österreich mit größeren Ländern wie Deutschland oder Frankreich in einem Boot. Da ist eine europäische Rohstoff-Einkaufsstrategie in der Industriepolitik gefragt, erste Abstimmungen dazu gibt es bereits.


Zur Person

  • Dr. Roman Bertenrath studierte Betriebswirtschaftslehre und Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln.
  • Seit 2022 ist er Syndikusrechtsanwalt des Wirtschaftsforschungsinstituts Economica.
  • Seine Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem die ökonomische Analyse des Rechts, Umwelt-, Energie- und Ressourcenökonomie, Regionalökonomik und den wirtschaftlichen Strukturwandel.