Detailansicht eines Aktenstapels, im Hintergrund verschwommen Taschenrechner mit Brille daraufliegend
© onephoto | stock.adobe.com

Anfechtung im Insolvenzverfahren

Welche Verträge kann der Insolvenzverwalter anfechten?

Lesedauer: 5 Minuten

1. Allgemeines

Das Anfechtungsrecht der Insolvenzordnung berührt nicht nur den Schuldner selbst, sondern vor allem auch Dritte, die vom Schuldner vermögenswerte Leistungen (z.B. Zahlungen/Sicherstellungen) bezogen haben:

Das Insolvenzverfahren soll in erster Linie eine Gleichbehandlung aller Gläubiger gewährleisten, alle angemeldeten Forderungen sind - abgesehen von den "privilegierten“ Forderungen der Aussonderungs-, Absonderungs- und Massegläubiger - im gleichen Ausmaß zu befriedigen. Hiefür wird prinzipiell das gesamte Vermögen des Schuldners herangezogen ("insolvenzunterworfenes“ Vermögen).

Im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens, insbesondere bei drohender Insolvenz, besteht die Gefahr, dass dieser primäre Zweck des Insolvenzverfahrens vereitelt wird: Mehr oder weniger bedeutende Vermögensbestandteile des Schuldners werden an Dritte (oft Verwandte) übereignet, um diese dem Gläubigerzugriff zu entziehen, "lästige“ (oder auch dem Schuldner besonders am Herzen liegende) Gläubiger werden noch schnell zur Gänze befriedigt, während sich die anderen mit der - in der Regel ohnehin äußerst geringen und durch dieses Verhalten noch schlechteren - Insolvenzquote begnügen müssen.

Das Gesetz versucht nun, dieser Problematik dadurch zu begegnen, indem es zum einen eine Gläubigerbegünstigung durch den Schuldner unter Strafdrohung stellt (gerichtlich strafbares Delikt der Gläubigerbegünstigung). Zum anderen schafft es - zwecks nachträglicher Wiederherstellung der Gleichbehandlung aller Gläubiger - einen schuldrechtlichen Anspruch der Insolvenzmasse (vertreten durch den Insolvenzverwalter) gegen den Bezieher von Leistungen aufgrund anfechtbarer Rechtshandlungen/Unterlassungen, den "Anfechtungsgegner“, auf Rückerstattung. Auch die Masse hat ihrerseits die von ihr bezogene Gegenleistung zurückzustellen, soweit sie in dieser noch unterscheidbar vorhanden ist oder soweit die Masse um ihren Wert bereichert ist.

Da der Insolvenzverwalter gesetzlich verpflichtet ist, möglichst viel für den für die Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehenden "Topf“ zu lukrieren, wird vielfach versucht, zunächst außergerichtlich mit einer "anfechtungsrechtlichen“, aber nicht unbedingt zutreffenden Argumentation vom Schuldner erbrachte Leistungen zurückzufordern.

Oft reicht es dann, dass sich der Anfechtungsgegner - als Empfänger einer Zahlung/Sicherstellung des Schuldners - gegen ein entsprechendes schriftliches Begehren des Insolvenzverwalters durch ein einfaches Antwortschreiben, in dem die Anfechtungsvoraussetzungen bestritten werden, zur Wehr setzt.

Sind jedoch die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Anfechtung gegeben, ist die erhaltene Zahlung/Sicherstellung vom Anfechtungsgegner (und auch dessen Erben) der Masse herauszugeben, andernfalls der Insolvenzverwalter verpflichtet wäre, die Anfechtungsklage spätestens ein Jahr nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Insolvenzgericht einzubringen! Die Jahresfrist verlängert sich einmalig um maximal drei Monate, wenn Insolvenzverwalter und Anfechtungsgegner dies vereinbaren.

2. Anfechtungsvoraussetzungen

Hinsichtlich der Anfechtungsvoraussetzungen sind folgende Arten der Anfechtung zu unterscheiden:

Jede Anfechtung setzt voraus, dass dadurch die Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger verbessert werden (Befriedigungstauglichkeit). An dieser Voraussetzung fehlt es z.B. bei der Anfechtung der Veräußerung einer mit Pfandrechten überbelasteten Liegenschaft.

Wichtig ist, dass Leistungen auf Grund von Einzelverkäufen beweglicher Sachen im gewerbsmäßigen Betrieb des Schuldners nur wegen Benachteiligungsabsicht angefochten werden können. Damit soll sichergestellt werden, dass die Fortführung des Unternehmens bzw. der Abschluss eines Sanierungsplans möglich bleibt.

  • Anfechtung wegen Benachteiligungsabsicht
  • Anfechtung wegen Begünstigung
  • Anfechtung unentgeltlicher Verfügunge
  • Anfechtung wegen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldun
  • Anfechtung wegen Vermögensverschleuderung 

3. Anfechtung wegen Benachteiligungsabsicht

Benachteiligungsabsicht liegt dann vor, wenn der Schuldner davon ausgeht, durch die gegenständliche Rechtshandlung werde letztlich die Befriedigung wenigstens eines (anderen) Gläubigers endgültig vereitelt

Anfechtbar sind alle Rechtshandlungen, die der Schuldner in der dem anderen Teil bekannten Benachteiligungsabsicht in den letzten zehn Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat.

Liegt nicht nur Benachteiligungsabsicht vor, sondern führt diese auch zu einer tatsächlichen Benachteiligung der Gläubiger, so reicht für die Anfechtbarkeit schon fahrlässige Unkenntnis des anderen Teiles von der Benachteiligungsabsicht. Die Frist beträgt diesfalls jedoch nur zwei Jahre vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Werden solche Rechtshandlungen gegenüber nahen Angehörigen vorgenommen, so tritt eine Beweislastumkehr in Kraft: Nicht der Insolvenzverwalter trägt die Beweislast für die fahrlässige Unkenntnis des Anfechtungsgegners von der Benachteiligungsabsicht, sondern dem Anfechtungsgegner obliegt der Beweis, das er davon weder wusste noch wissen musste.

Auch eine GmbH kann anfechtungsrechtlich "nahe Angehörige“ haben: Als solche gelten die Gesellschafter der GmbH bzw. ehemalige Gesellschafter, die innerhalb eines Jahres vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Gesellschaft ausgeschieden sind. 

4. Anfechtung wegen Begünstigung

Anfechtbar ist eine nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder in den letzten sechzig Tagen vorher, jedoch frühestens ein Jahr vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, vorgenommene Begünstigung durch Sicherstellung oder Befriedigung eines Gläubigers, wenn diesem die Begünstigungsabsicht des Schuldners bekannt war oder bekannt sein musste.  

Bei Sicherstellung oder Befriedigung naher Angehöriger tritt hinsichtlich der Kenntnis bzw. fahrlässiger Unkenntnis von der Begünstigungsabsicht wieder Beweislastumkehr ein.

Begünstigungsabsicht liegt dann vor, wenn der Schuldner davon ausgeht, durch die gegenständliche Rechtshandlung werde die Befriedigung anderer (eines anderen) Gläubiger(s) zwar erschwert bzw. verzögert, nicht aber endgültig vereitelt (im Gegensatz zur Benachteiligungsabsicht). Der spätere Schuldner bevorzugt hiebei bewusst diesen einen Gläubiger, rechnet aber – wegen der erhofften Sanierung – damit, auch seine übrigen Gläubiger befriedigen zu können.

Unabhängig von einer Begünstigungsabsicht kann ferner - innerhalb des selben Zeitraumes - jede Sicherstellung oder Befriedigung angefochten werden, wodurch der Gläubiger etwas erhält, was ihm dem Gegenstand, der Zeit oder dem Ort nach nicht gebührt (z.B. durch Zahlung einer noch nicht fälligen Schuld durch den Schuldner). Das Gesetz nimmt schon wegen der Abweichung vom Geschuldeten Begünstigung an, dem Gläubiger ist aber der Gegenbeweis gestattet, dass trotz der Abweichung eine Begünstigung objektiv nicht stattgefunden hat (z.B. weil es sich um Zug-um-Zug-Zahlungen/Sicherstellungen gehandelt hat). 

5. Anfechtung unentgeltlicher Verfügungen

Anfechtbar sind alle in den letzten zwei Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch den Schuldner vorgenommenen unentgeltlichen Verfügungen, soweit es sich nicht um die Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder um übliche Gelegenheitsgeschenke oder Spenden handelt. 

6. Anfechtung wegen Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung

Anfechtbar sind alle nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, nicht mehr als sechs Monate vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommenen Rechtshandlungen: 

  • durch die ein naher Angehöriger des Schuldners für seine Insolvenzforderung Sicherstellung oder Befriedigung erlangt, und alle vom Schuldner mit diesen Personen eingegangenen, für die Gläubiger (unmittelbar oder mittelbar) nachteiligen Rechtsgeschäfte, es sei denn, dass dem nahen Angehörigen bei der Sicherstellung oder Befriedigung oder bei einem unmittelbar nachteiligem Rechtsgeschäft die Zahlungsunfähigkeit oder der Eröffnungsantrag weder bekannt war noch bekannt sein musste und dass bei einem sonst nachteiligen Rechtsgeschäft zudem der Eintritt des Nachteils nicht objektiv vorhersehbar war. 

  • durch die ein anderer Insolvenzgläubiger Sicherstellung oder Befriedigung erlangt, und alle vom Schuldner mit anderen Personen eingegangenen, für die Gläubiger unmittelbar nachteiligen Rechtsgeschäfte, wenn dem anderen Teil die Zahlungsunfähigkeit oder der Eröffnungsantrag bekannt war oder bekannt sein musste. 

  •  alle vom Schuldner mit anderen Personen eingegangenen, für die Gläubiger nachteiligen Rechtsgeschäfte, wenn dem anderen Teil die Zahlungsunfähigkeit oder der Eröffnungsantrag bekannt war oder bekannt sein musste und der Eintritt eines Nachteils für die Insolvenzmasse objektiv vorhersehbar war. Eine solche objektive Vorhersehbarkeit liegt insbesondere dann vor, wenn ein Sanierungskonzept offensichtlich untauglich war.

Ein Kennenmüssen der Zahlungsunfähigkeit wird in der Regel bei offenkundiger Verfolgung des Schuldners mit Exekutionen angenommen. 

7. Anfechtung wegen Vermögensverschleuderung 

Anfechtbar sind die im letzten Jahr vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner eingegangenen Kauf-, Tausch- und Lieferungsverträge, sofern der andere Teil in dem Geschäft eine die Gläubiger benachteiligende Vermögensverschleuderung erkannte oder erkennen musste.

Stand: 01.01.2025