Informationen zum Barrierefreiheitsgesetz
Anwendbar ab 28. Juni 2025
Lesedauer: 8 Minuten
Das Barrierefreiheitsgesetz (BaFG) wurde am 19. Juli 2023 im Bundesgesetzblatt BGBl. I Nr. 76/2023 veröffentlicht.
Das Gesetz umfasst folgende Maßnahmen
- Festlegung von Barrierefreiheitsanforderungen für die vom Barrierefreiheitsgesetz erfassten Produkte und Dienstleistungen
- Verpflichtung der Unternehmen, nur dem Barrierefreiheitsgesetz entsprechende, barrierefreie Produkte und Dienstleistungen auf den Markt zu bringen
- Einrichtung einer Marktüberwachung (Sozialministeriumservice)
Mit dem BaFG wurde die europäische Barrierefreiheitsrichtlinie RL (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (EEA) umgesetzt und ist anwendbar nach dem 28. Juni 2025.
Auswirkungen auf Unternehmen:
Mit dem Gesetz werden private Wirtschaftsakteure verpflichtet, Barrierefreiheits-anforderungen einzuhalten, wenn ihre Produkte oder/und Dienstleistungen in den Anwendungsbereich des BaFG fallen. Ausnahmen gelten für Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen anbieten oder erbringen, weiters in Fällen, in denen bestimmte Barrierefreiheitsanforderungen zu einer grundlegenden Veränderung des Produkts oder der Dienstleistung oder zu einer unverhältnismäßigen Belastung für die Unternehmen führen.
Geltungsbereich (§ 2 BaFG)
In § 2 BaFG werden taxativ all diejenigen Produkte und Dienstleistungen aufgezählt, die in den Anwendungsbereich fallen.
Produkte, für die u.a. Barrierefreiheit verlangt wird:
- Hardwaresystem für Universalrechner für Verbraucherinnen und Verbraucher inkl. Betriebssysteme (z. B. Computer)
- Selbstbedienungsterminals, beispielsweise Geldautomaten, Fahrkartenautomaten oder Check-In-Automaten
- Verbraucherendgeräte, die für elektronische Kommunikationsdienste gebraucht werden (z.B. Mobiltelefone)
- Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang (z.B. interaktive Fernseher)
- E-Book-Lesegeräte
Dienstleistungen, für die u.a. Barrierefreiheit verlangt wird:
- elektronische Kommunikationsdienste (z.B. Internet- und Videotelefonie, Online-Messengerdienste etc.)
- Dienste, die den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten ermöglichen (zB Apps und Websites)
- Elemente der Personenbeförderungsdienste wie beispielsweise Websites, Apps, elektronische Tickets und elektronische Ticketdienste (für Stadt-, Vorort- und Regionalverkehrsdienste nur interaktive Selbstbedienungsterminals)
- Bankdienstleistungen
- E-Book-Software
- Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr im Rahmen eines Verbrauchervertrages (betrifft daher alle Onlineshop- und Webseiten-Betreiber im Kontext mit B2C-Geschäften).
Das gilt insbesondere für:
- Web-Shops und Apps im E-Commerce
- Hotel- und Reiseportale, auf denen Buchungen getätigt werden können
- Online-Termin-Buchungs-Tools (auch wenn die Dienstleistung als solche nicht unter das BaFG fallen würde wie etwa Tourismusbetriebe, die ihre Dienstleistung (z.B. Hotel/ Zimmer) online direkt verkaufen)
- Verlage, die digitale Publikationen anbieten
- Webseiten, auf denen digitale Mitgliedschaften und Abonnements abgeschlossen werden können
Betroffene Unternehmen
Unter das BaFG fallen Hersteller, Händler und Importeure der oben genannten Produkte sowie die Erbringer der oben genannten Dienstleistungen.
Beispiel 1
Ein Fußpflegeunternehmen hat mehr als 10 MA und einen Jahresumsatz von mehr als
2 Mio. Euro (kein Kleinstunternehmen). Auf der Website des Unternehmens können Kunden Termine online buchen und Pflegeprodukte kaufen. Weder Pflegeprodukte noch Fußpflegedienstleistungen werden in § 2 BaFG genannt. Dennoch muss das Unternehmen die Barrierefreiheitsanforderungen beachten, da es über die Website sogenannte „Dienstleistungen im elektrischen Geschäftsverkehr“ betreibt. Daraus folgt, dass die gesamte Website barrierefrei zu gestalten ist.
Ausnahmen:
Ausnahme für Mikrounternehmen, die Dienstleistungen erbringen:
Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen erbringen, sind vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen (§ 6 Abs. 1 BaFG)
(Kleinstunternehmen sind Unternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Mio. Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Mio. Euro beläuft)
Beispiel 2:
Hat das Fußpflegeunternehmen nur 3 MA und einen Jahresumsatz von 800 000 Euro fällt es nicht unter das BaFG, obwohl es Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr anbietet.
- Keine Ausnahme:
Kleinstunternehmen, die Produkte innerhalb des Geltungsbereichs dieses Bundesgesetzes herstellen, importieren oder handeln, sind von der Ausnahmeregelung nicht umfasst.
Allerdings sind für sie entsprechende Erleichterungen vorgesehen, um ihren Verwaltungsaufwand zu verringern.
Ausnahmetatbestände für Wirtschaftsakteure (§§ 17,18 BaFG)
- Würde die Einhaltung einzelner Barrierefreiheitserfordernisse eine unverhältnismäßige Belastung darstellen, kann sich ein Wirtschaftsakteur auf die vorgesehenen Ausnahmetatbestände nach §§ 17,18 BaFG berufen.
- Zum einen muss ein Wirtschafsakteur die Barrierefreiheitsanforderungen dann nicht einhalten, wenn die Einhaltung zu einer grundlegenden Veränderung seines Produkts oder seiner Dienstleistung führen würde (§ 17 BaFG). Von einer grundlegenden Veränderung ist insbesondere dann auszugehen, wenn der ursprüngliche, intendierte Zweck eines Produkts oder einer Dienstleistung nicht mehr erreicht wird.
- In Anlage 4 sind die Kriterien zur Beurteilung der unverhältnismäßigen Belastung gemäß § 18 Abs. 2 aufgelistet, z.B. wenn die Einhaltung der Barrierefreiheitsanforderungen eine zusätzliche übermäßige organisatorische bzw. finanzielle Belastung für den Wirtschaftsakteur darstellt und es ihm nach vernünftigem Ermessen nicht möglich wäre, eine oder mehrere der Barrierefreiheitsanforderungen dieses Gesetzes vollumfänglich anzuwenden.
In beiden Fällen muss der Wirtschaftsakteur die Beurteilung dokumentieren und diese Beurteilung 5 Jahre lang aufbewahren. Dienstleistungserbringer müssen die entsprechende Beurteilung mindestens alle 5 Jahre vornehmen.
- Ausnahme für Kleinstunternehmen:
Diese müssen die Beurteilung nicht dokumentieren. Wenn das Sozialministeriumservice sie dazu auffordert, müssen sie diesem jedoch die für die Beurteilung maßgeblichen Fakten übermitteln.
Verpflichtende Barrierefreiheitsanforderungen (§ 4 BaFG)
Produkte und Dienstleistungen sind nach dem BaFG barrierefrei, wenn sie für Menschen mit Behinderung in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Dies bedeutet, dass eine Wahrnehmung immer über mindestens zwei Sinne möglich sein muss.
Die konkreten Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen werden in der Anlage I des BaFG angeführt (Anhang II der Richtlinie (EU) 2019/882 enthält zudem indikative unverbindliche Beispiele möglicher Lösungen, die zur Erfüllung der Barrierefreiheitsanforderungen beitragen könnten).
Beispiel 3
Informationen zur Nutzung des Produkts (Kennzeichnung, Gebrauchsanleitungen und Warnhinweise) müssen über mehr als einen sensorischen Kanal (z.B. schriftlich und über Sprachausgabe) zur Verfügung gestellt und in verständlicher Weise dargestellt werden. Die Informationen müssen so dargestellt werden, dass Verbraucherinnen und Verbraucher sie wahrnehmen können, z.B. dass der Text für sehbehinderte Menschen lesbar ist (Schriftart mit angemessener Schriftgröße, mit ausreichendem Kontrast sowie anpassbarem Abstand zwischen den Buchstaben, Zeilen und Absätzen).
Beispiel 4
Bei Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr, also z.B. Online-Shops, werden vor allem erhöhte Informationspflichten gestellt:
- Informationsbereitstellung über die Funktionsweise der Dienstleistung über mehr als einen sensorischen Kanal, also neben Schrift zum Beispiel Vorlesefunktion
- einfache Darstellung, barrierefreie Texte, ausreichend große Schriftarten, etc.
- Möglichkeit, bei Darstellungen im Vordergrund den Kontrast zu erhöhen, damit sie von Menschen mit Sehschwäche erkannt werden können
- Websites/Online-Applikationen/mobile Applikationen
- Sofern verfügbar: Kontaktdaten für Hilfe (help desks, call centers, etc.)
Konformitätsvermutung § 5 BaFG
Die Konformitätsvermutung bei Heranziehung von EU-harmonisierten Normen und technischen Spezifikationen soll die Bewertung der Konformität mit den geltenden Barrierefreiheitsanforderungen erleichtern.
Derzeit werden verschiedene neue technische Standards auf europäischer und nationaler Ebene erarbeitet.
Prüf-, Nachweis- und Mitteilungspflichten der Wirtschaftsakteure (§§ 9 bis 16 BaFG)
Die Aufteilung der Pflichten auf die einzelnen Wirtschaftsakteure erfolgt im 3. Abschnitt.
Diese betreffen die Bereiche
- Herstellung, Konformitätsbewertung, Dokumentation und CE-Kennzeichnung
- Kennzeichnungs- u. Informationspflichten
- Rückverfolgbarkeit und Begleitinformationen
- Maßnahmen gegen nicht konforme Produkte
- Kooperation mit der Marktüberwachungsbehörde
Pflichten der Hersteller, u.a.:
- nur Produkte in Verkehr zu bringen, wenn diese entsprechend den Barrierefreiheitsanforderungen gestaltet und hergestellt worden sind
- Erstellung der technischen Dokumentation (Aufbewahrungsfrist 5 Jahre)
- Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahren
- Erstellung der EU-Konformitätserklärung (Aufbewahrungsfrist 5 Jahre)
- CE-Kennzeichnung anbringen
- Informations- und Kennzeichnungspflichten: Typen-, Chargen- oder Seriennummer, sowie Name, eingetragener Handelsname oder eingetragene Handelsmarke und Kontaktanschrift sind entweder auf dem Produkt oder, wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung oder in einer dem Produkt beigefügten Unterlage anzugeben. In der Anschrift muss eine zentrale Stelle angegeben sein, an der der Hersteller kontaktiert werden kann. Die Kontaktangaben sind in deutscher oder englischer Sprache abzufassen.
- Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen müssen in deutscher Sprache beigefügt sein
- Korrekturmaßnahmen bei Nichtkonformität des Produktes
- Pflicht, die Marktüberwachungsbehörden zu informieren, wenn ein Produkt den Barrierefreiheitsanforderungen nicht entspricht
- Führung eines Verzeichnisses, in welchem die Produkte erfasst sind, über deren Nichtkonformität er die Behörden informiert hat als auch diesbezügliche Beschwerden
Pflichten der Importeure, u.a.:
- nur konforme Produkte in Verkehr zu bringen
- vergewissern, dass der Hersteller die o.a. Pflichten erfüllt hat
- seinen Namen, seinen eingetragenen Handelsnamen oder seine eingetragene Handelsmarke und seine Kontaktanschrift entweder auf dem Produkt selbst oder, wenn dies nicht möglich ist, auf der Verpackung oder in einer dem Produkt beigefügten Unterlage anzugeben. Die Kontaktangaben sind in deutscher oder englischer Sprache abzufassen
- solange sich ein Produkt in der Verantwortung des Importeurs befindet, hat dieser sicherzustellen, dass die Lagerungs- oder Transportbedingungen die Barriere-freiheitsfunktion des Produkts nicht beeinträchtigen
- Aufbewahrung einer Kopie der EU-Konformitätserklärung (5 Jahre)
- sicherzustellen, auf Verlangen die technische Dokumentation vorlegen zu können
- Korrekturmaßnahmen bei Nichtkonformität des Produktes
- Die Pflichten zur Auskunft und Zusammenarbeit mit der Marktüberwachungsbehörde entsprechen den Pflichten des Herstellers
Pflichten der Händler, u.a.:
Darf nur Produkte bereitstellen, wenn
- das Produkt mit der CE-Kennzeichnung versehen ist
- dem Produkt die erforderlichen Unterlagen sowie eine Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen in deutscher Sprache beigefügt sind
- die Kennzeichnungspflichten des Herstellers bzw. des Importeurs erfüllt wurden
- solange sich ein Produkt in seiner Verantwortung befindet, hat er sicherzustellen, dass die Lagerungs- oder Transportbedingungen die Barrierefreiheitsfunktion des Produkts nicht beeinträchtigen
- Korrekturmaßnahmen bei Nichtkonformität des Produktes
- die Pflichten zur Auskunft und Zusammenarbeit mit der Marktüberwachungsbehörde entsprechen denen des Herstellers und des Importeurs
Pflichten der Dienstleistungserbringer, u.a.:
- in einer Barrierefreiheitserklärung oder in AGB darüber aufzuklären, wie die Dienstleistung die Barrierefreiheitsanforderungen erfüllt (Anlage 3 des BaFG)
- Daneben müssen in barrierefreier Weise folgende Informationen erfolgen:
- eine Beschreibung der Dienstleistung in barrierefreiem Format
- eine Beschreibung der Funktionsweise der Dienstleistung
- Korrekturmaßnahmen bei Nichtkonformität der Dienstleistung
- Informations- und Kooperationspflichten gegenüber der Marktüberwachungsbehörde
>> Weitere Informationen zum Barrierefreiheitsgesetz im E-Commerce
Bauliche Umwelt (§ 15 BaFG)
Dienstleistungserbringer, die Dienstleistungen über Selbstbedienungsterminals (Fahrkartenautomaten, Bankomaten oder Check-In-Automaten) erbringen, sind verpflichtet, Informationen über die bauliche Umwelt, etwa via Website, der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Das betrifft z.B. den Zugang, die Gerätehöhe, Wendebereiche oder vorhandene Orientierungssysteme an den jeweiligen Standorten.
Marktüberwachungsmaßnahmen (6. Abschnitt)
Zur effektiven Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen ist eine Marktüberwachung vorgesehen, die durch das Sozialministeriumservice durchgeführt wird.
Verwaltungsstrafbestimmungen (§ 36 BaFG)
Das Sozialministeriumservice ist auch die zuständige Verwaltungsstrafbehörde. Zusätzlich zu den o.a. Maßnahmen können bei Verstößen Geldstrafen bis zu einem Maximalbetrag von 80 000 Euro verhängt werden. In den Erläuterungen erfolgt eine ausdrückliche Klarstellung, dass im Falle einer erstmaligen oder geringfügigen Übertretung dem Grundsatz „Beraten vor strafen“ besondere Bedeutung beigemessen wird. Für kleine und mittlere Unternehmen sowie für Kleinstunternehmen gelten geringere Maximalstrafen (siehe Katalog der Pflichtverstöße in § 36).
Übergangsfristen (§ 37 BaFG)
Vor dem 28. Juni 2025 vereinbarte Dienstleistungsverträge bis zu ihrem Ablauf, allerdings nicht länger als fünf Jahre ab diesem Datum, dürfen unverändert fortbestehen (§ 37 Abs. 2 BaFG). Bis dahin müssen die Vertragsparteien ihre bestehenden Verträge entweder durch Änderungen an die Barrierefreiheitsanforderungen des BaFG anpassen oder sie beenden.
Vor dem 28. Juni 2025 eingesetzte Selbstbedienungsterminals dürfen bis 28. Juni 2040, maximal aber bis 20 Jahre nach der ersten Ingebrauchnahme, verwendet werden (§ 37 Abs. 3 BaFG).