Mineralölindustrie, Fachverband

Vision 2050

Weiterentwicklung von Raffinerien und flüssigen Energieträgern

Lesedauer: 5 Minuten

13.03.2023
Vision 2050: Weiterentwicklung von Raffinerien und flüssigen Energieträgern
© FVMI

Die Europäische Union verfolgt das ambitionierte Ziel, bei der Bewältigung des Klimawandels weltweit führend zu sein.

Die Mineralölindustrie in der EU wird wesentliche Beiträge zur Zielerreichung leisten, sowohl durch die Reduzierung von CO2 -Emissionen in Raffinerien als auch durch die Reduzierung der Treibhausgasemissionen der flüssigen Kraft- und Brennstoffe sowie anderer Produkte, die von Wirtschaft und Verbrauchern benötigt werden.

Die Entwicklung verschiedener Energieformen und Energieträger gibt einer Wirtschaft Flexibilität, Robustheit und die Möglichkeit, für jeden Sektor und jede Anwendung die optimale Lösung zur Energieversorgung zu finden. Dabei haben flüssige Kraftstoffe dank ihrer spezifischen Eigenschaften auch langfristig insbesondere in vielen Bereichen des Verkehrssektors eine große Bedeutung. Daher werden die europäischen Raffinerien in der Zukunft eine wichtige Rolle in der Energieversorgung einnehmen, da sie treibhausgasreduzierte oder sogar treibhausgasneutrale flüssige Kraft- und Brennstoffe als wichtige Ergänzung zu "grünem" Strom, Gas und Wasserstoff herstellen. Moderne Technologien und eine enge Kooperation mit anderen Industriezweigen werden die Produktion dieser treibhausgasarmen Energieträger ermöglichen.

Der angestrebte Wandel der europäischen Raffinerielandschaft sollte in die Industriestrategie der Europäischen Union integriert werden. Geeignete Rahmenbedingungen würden den europäischen Raffinerien die Möglichkeit geben, trotz zu erwartender rückläufiger Binnennachfrage und einem zunehmend härteren internationalen Wettbewerb den Wandel zu gestalten und international wettbewerbsfähig zu bleiben.

Vision für treibhausgasreduzierte flüssige Energieträger in Europa

  • In unserer Vision werden Europas Bürger und Unternehmen mit flüssigen Kraftstoffen und Produkten versorgt, deren Treibhausgasintensität immer geringer wird. Die Nutzung solcher flüssiger Kraft- und Brennstoffe in immer effizienteren Fahrzeugen führt langfristig zu einer emissionsarmen und gleichzeitig starken europäischen Wirtschaft.
  • In unserer Vision werden Raffinerien der Zukunft, deren Stärke auf ihrem technologischen Know-how und einer flexiblen Versorgungsstruktur beruht, zunehmend neue Rohstoffe wie beispielsweise erneuerbare Energien, Sekundärbrennstoffe und CO2 in hocheffizienten Produktionsstätten einsetzen. In integrierten Wertschöpfungsketten können sie im Zusammenspiel mit anderen Industriezweigen wie z. B. der Chemie, der Fernwärme, der Herstellung von nachhaltigen Biokraftstoffen und mit Stromversorgern Synergieeffekte erzielen. Diese Industriecluster sind gekennzeichnet durch die Produktion und den Austausch einer Vielzahl von Rohstoffen und Vorprodukten, wie z. B. von „grünem“ Wasserstoff, überschüssigem Kohlenstoff, nachhaltiger Biomasse, Sekundärbrennstoffen, Restwärme, konventionellem und synthetischem Rohöl sowie Ökostrom.
  • Unsere Vision ist ehrgeizig, aber erreichbar. Sie basiert auf bereits bestehenden und entstehenden Technologien wie auch auf industrieller Zusammenarbeit mit einem Fokus auf Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz. Ohne geeignete Rahmenbedingungen ist unsere Vision jedoch nicht umsetzbar.
  • Unsere Vision, kombiniert mit einer immer effizienteren Nutzung treibhausgasreduzierter Produkte im Verkehr und anderen Wirtschaftszweigen, ermöglicht der EU, ihre Klimaschutzziele zu erreichen.
  • Unsere Vision ist eine Chance für Europas Industrie, treibhausgasarme Technologien zu entwickeln und sie der Welt als einen wesentlichen Teil zur Lösung der globalen Klimaherausforderung zur Verfügung zu stellen.

Wir sind fest dazu entschlossen, mit anderen Industriezweigen und politischen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten, damit die Vision umgesetzt werden kann. Wir wollen wesentliche Beiträge dazu leisten, wenn es darum geht, für Europa eine langfristige Lösung bei Industrie- und Energiefragen zu bieten, die der EU eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz ermöglicht und gleichzeitig zum wirtschaftlichen Wohlstand beiträgt.

Europa und die Welt werden flüssige Kraft- und Brennstoffe noch für Jahrzehnte benötigen

  • Auch nach über einhundert Jahren sind kohlenwasserstoffhaltige flüssige Kraftstoffe aufgrund ihrer hohen Energiedichte und einfachen Speicherbarkeit im Verkehrssektor unverzichtbar; ganze Verkehrs- und Industriezweige würden ohne flüssige Kraft- und Brennstoffe nicht funktionieren.
  • Um die europäischen und globalen Klimaschutzziele zu erreichen und gleichzeitig die für Bürger und Wirtschaft wichtige bezahlbare Mobilität zu gewährleisten, werden sowohl erneuerbarer Strom als auch treibhausgasarme flüssige und gasförmige Energieträger benötigt. Während Strom als Energiequelle für Personenkraftwagen und Lieferwagen in Städten eine Alternative darstellt, werden treibhausgasarme flüssige Kraftstoffe insbesondere für den Langstrecken-Lkw, die Luftfahrt und den Seeverkehr sowie für petrochemische Vorprodukte, Schmierstoffe und weitere Produkte benötigt.
  • Treibhausgasreduzierte flüssige Brennstoffe haben das Potenzial, zu den kosteneffizientesten Lösungen für die CO2 -Minderung im Verkehrsbereich zu gehören. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass bereits heute eine umfassende und zuverlässige Infrastruktur vorhanden ist; das ist ein klarer Vorteil gegenüber anderen Energieträgern, für die die Infrastruktur – oft mit öffentlichen Mitteln – erst errichtet werden muss.
  • Beim Übergang zu einem emissionsärmeren Straßenverkehr tragen kohlenstoffarme flüssige Energieträger dazu bei, die Emissionen aller Bestandsfahrzeuge zu verringern; dagegen dauert die Einführung alternativer Technologien, um spürbare Verbesserungen zu erzielen, wesentlich länger.
  • Zur Herstellung treibhausgasarmer Energieträger gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher technologischer Verfahren, die in allen Verkehrssektoren über den gesamten Lebenszyklus hinweg eine emissionsarme Mobilität ermöglichen können; dazu zählen nachhaltige Biokraftstoffe, erneuerbarer Wasserstoff, strombasierte flüssige Kraftstoffe (Power-to-Liquids) sowie Verfahren zur Kohlenstoffabscheidung und -nutzung (CCS bzw. CCU).

Raffinerien der Zukunft und ihr Beitrag zur Energiewende

  • Raffinerien in der EU sind gut geeignet, um sich zu Produktionszentren für treibhausgasarme Energieträger integriert in regionale Wertschöpfungsketten zu entwickeln. Sie verfügen über erhebliches technisches Knowhow, um die Herstellungsprozesse der verschiedenen Produkte zu kombinieren und zu optimieren. Bereits heute stellen sie unter Beweis, wie mit Hilfe einer weitgehenden Integration in Standorte der petrochemischen Industrie Synergien erzeugt werden und so die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industriestandorte insgesamt erhöht werden kann.
  • Eine große Chance besteht darin, in der Zukunft die industrielle Vernetzung noch weiter auszubauen, so dass verschiedene Industriezweige an gemeinsamen Initiativen zur Entwicklung innovativer, treibhausgasarmer Technologien mitwirken. Dadurch können die Gesamtemissionen ganzer industrieller Cluster reduziert werden.
  • Raffinerien der Zukunft werden ihre CO2 -Effizienz stetig verbessern, indem sie die Weiterentwicklung ihrer Energiemanagementsysteme und die Einführung neuer Technologien kontinuierlich vorantreiben.
  • Sie werden darüber hinaus Investitionen für die Herstellung von treibhausgasarmen Kraftstoffen und anderer treibhausgasarmer Produkte unterstützen.
  • Sie werden sich dafür einsetzen, Kooperationsprojekte mit anderen Industrien zu erweitern, zu vertiefen und weiterzuentwickeln, um Emissionsreduzierungen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu ermöglichen.

Während und auch nach der Energiewende werden die Raffinerien treibhausgasreduzierte und perspektivisch treibhausgasneutrale Produkte liefern, gleichzeitig qualifizierte Arbeitsplätze schaffen sowie wichtige technologische und finanzielle Beiträge für die Volkswirtschaften in der EU leisten. Diese Vision wird zudem die Basis für die Energieversorgung verbreitern und so die Versorgungssicherheit der EU gewährleisten. Durch die Zusammenarbeit verschiedener Industriezweige kann die EU zu einem weltweiten technologischen Vorbild für den Übergang in eine treibhausgasneutrale Zukunft werden und neue Exporttechnologien und Geschäftsmodelle aufzeigen.

Politische Handlungsempfehlungen

Wir appellieren an die EU und ihre Mitgliedstaaten, den EU-Raffineriesektor dabei zu unterstützen, diese Vision durch folgende Maßnahmen zu realisieren:

  • Diese Vision muss fester Bestandteil der EU-Industrieund Technologiestrategie sowie der Forschungs- und Entwicklungsprogramme werden. So kann die EU die Entwicklung und den Einsatz von Basistechnologien für treibhausgasarme Flüssigkeiten und weitere Produkte unterstützen; dasselbe gilt für die notwendige Zusammenarbeit verschiedener Branchen, um eine Produktion im großen Stil zu ermöglichen.
  • Für den Erfolg dieser Weiterentwicklung des Raffineriesektors ist ein konsistenter politischer Rahmen (über mehr als 20 Jahre) unbedingt erforderlich, der Investoren Stabilität und Vorhersehbarkeit garantiert und Technologieneutralität gewährleistet.
  • Auf Basis heutiger Technologien und zu erwartender Lernkurven dürften die Kosten für den Einsatz treibhausgasarmer Lösungen zunächst hoch sein. Daher wird eine geeignete Regulierung erforderlich sein, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in der EU sicherzustellen und eine Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Klimazielen zu vermeiden, was nur zu einem Anstieg der Produktimporte und einer geringeren Versorgungssicherheit führen würde.