Investitionsschutz und Investor-Staat-Streitbeilegung
Eine Kurzdarstellung aus Sicht der österreichischen Wirtschaft
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Investitionsschutz samt damit verbundener Streitbeilegung zählt zu den größten öffentlichen und politischen „Aufregern“ bzw. zu den heikelsten Punkten in Freihandelsabkommen, welche die EU mit Drittstaaten verhandelt (z.B. CETA, TTIP, Japan etc.) bzw. abschließt.
Dabei handelt es sich um kein neues Thema. Da es für ausländische Direktinvestitionen – anders als für den Handel mit Gütern oder Dienstleistungen – kein multilaterales Regelwerk gibt, werden diesbezüglich bereits seit Jahrzehnten bilaterale Investitionsschutzabkommen abgeschlossen, die Investoren in der Regel vier Garantien bieten:
- Schutz vor Diskriminierung,
Schutz vor kompensationsloser (auch indirekter) Enteignung,
Schutz vor unbilliger und ungerechter Behandlung (z. B. Zugang zum nationalen Rechtsweg) und
Garantie eines freien Transfers von Kapital.
Bei den meisten dieser Abkommen wird Investoren explizit die Möglichkeit eingeräumt, zur Klärung von Vertragsverletzungen ein internationales Schiedsgericht anzurufen. Die Urteile sind dann endgültig und bindend. Diese sogenannte Investor-Staat-Streitbeilegung (ISDS) ist Bestandteil der über 1.400 Investitionsabkommen von EU-Mitgliedstaaten bzw. der etwa 3.000 weltweit abgeschlossenen Abkommen. Auch Österreich hat im Laufe der Zeit über 60 solcher bilateraler Investitionsschutzabkommen abgeschlossen und damit gute Erfahrungen gemacht.
Die bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs), die zwischen Österreich und diversen Drittstaaten abgeschlossen wurden, haben österreichischen Unternehmen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten im Ausland bisher gute Dienste erwiesen. Sie haben einen wesentlichen Beitrag zur Rechtssicherheit im Zusammenhang mit Investitionsvorhaben im Ausland geleistet.
Österreichischen Unternehmen wurde damit ein vorhersehbares Umfeld für die Realisierung unterschiedlichster Projekte in den jeweiligen Gastländern geboten und haben diese auch immer wieder bestärkt, Investitionen zu tätigen. Dadurch erweist sich der Investitionsschutz auch als Instrument, mit dem Staaten weltweit ausländische Direktinvestitionen anziehen und bei sich im Land halten, um ihre Wirtschaft zu stärken.
Investitionen stellen einen entscheidenden Faktor für Wachstum und Beschäftigung dar, vor allem in der EU, deren Wirtschaft sehr auf die Offenheit gegenüber Handel und Investitionen angewiesen ist. Sie sind unerlässlich für die Schaffung und den Erhalt von Unternehmen und Arbeitsplätzen.
Mithilfe von Investitionen bauen Unternehmen die globalen Wertschöpfungsketten auf, die in der modernen Weltwirtschaft eine immer wichtigere Rolle spielen. Sie eröffnen damit nicht nur dem Handel neue Möglichkeiten, sondern tragen auch zu Wertschöpfung, Arbeitsplätzen und Einkommen bei. Aus diesem Grund sollten durch Handelsabkommen Investitionen gefördert und den Unternehmen weltweit neue Investitionsmöglichkeiten eröffnet werden.
Insbesondere der in den Investitionsschutzabkommen vorgesehene Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus ist dabei besonders positiv und als wichtig hervorzuheben, da durch ihn im Konfliktfall, verglichen mit Verfahren vor drittländischen Behörden und Gerichten (meist in völlig anderen Rechtssystemen und natürlich anderer Sprache), rechtssichere und relativ rasche Lösungen möglich sind und eine jahrelange Verzögerung von Verfahren vermieden wird.
Die Probleme von Investoren reichen von Enteignungen durch das Gastland, über Diskriminierung im Vergleich zu anderen in- und drittländischen Investoren, Entzug der Gewerbeerlaubnis und anderen Missständen im Gaststaat, wie z. B. das Fehlen ordnungsgemäßer Gerichtsverfahren, bis hin zu ungerechtfertigten Zugriffen auf das unternehmerische Kapital österreichischer Investoren.
Derzeit gibt es keine anderen internationalen Regelungen, welche Investoren zuverlässiger absichern als einschlägige internationale Vertragsbestimmungen zum Investitionsschutz, über deren Einhaltung im Streitfall renommierte internationale Schiedsgerichte entscheiden.
Die Anzahl der Klagen vor einem Schiedsgericht ist im Vergleich zu den hunderttausenden täglich getroffenen Investitionsentscheidungen, von denen die Gastländer und die ausländischen Investoren profitieren, gering. Zudem sind die Staaten mehrheitlich Gewinner dieser Schiedsverfahren.
Der Bestand an österreichischen Direktinvestitionen im Ausland im Jahr 2015 betrug an die 187 Milliarden Euro. Diese beeindruckende Zahl veranschaulicht die Bedeutung eines gut funktionierenden Systems bzw. das Vorhandensein von Verträgen, um österreichische Vermögenswerte und Investitionen im Ausland zu schützen.
Seit einigen Jahren verhandelt auch die EU über Investitionsschutz als Teil von Freihandelsabkommen oder über reine Investitionsabkommen, da seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Dezember 2009 die Zuständigkeit für den Bereich ausländische Direktinvestitionen auf die Europäische Union übergegangen ist (Art. 207 AEUV), wobei die Mitgliedstaaten weiterhin nationale bilaterale Abkommen mit Drittstaaten abschließen dürfen, sofern mit diesen Staaten keine europäischen Abkommen verhandelt werden oder geplant sind.
Die Investitionsschutzkapitel der Freihandelsabkommen mit Kanada, Singapur und Vietnam sind bereits ausverhandelt (aber noch nicht in Kraft), die Verhandlungen mit Indien, Thailand und Japan sind noch im Gange. Mit China befindet sich die Europäische Kommission seit 2013 in Verhandlungen zum ersten „stand alone“-Investitionsabkommen, es soll Investitionsschutz und verbesserten Marktzugang für Investoren beinhalten. Seit 2014 verhandelt die Europäische Kommission außerdem das erste reine Investitionsschutzabkommen mit Myanmar/Burma.
Reformen der Europäischen Kommission im Investitionsschutz und der damit verbundenen Investor-Staat Streitbeilegung
Seit den Verhandlungen des Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP), gibt es zahlreiche Vorwürfe gegenüber dem vorherrschenden System, die sogar dazu führten, dass die Verhandlungen mit der USA im März 2014 im Bereich Investitionsschutz ausgesetzt wurden.
Die größten Kritikpunkte dabei sind die Einschränkung des Handlungsspielraumes der Staaten bei ihrer Gesetzgebung, demokratisch nicht legitimierte Geheimgerichte, parteiliche Schiedsrichter und intransparente Verfahren. Auch wird die Notwendigkeit eines Streitbeilegungsmechanismus zwischen Industriestaaten mit hochentwickelten Rechtssystemen oftmals in Abrede gestellt.
Die europäische Kommission führte daraufhin von März bis Juli 2014 eine Öffentliche Konsultation zum Investitionsschutz und zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Investor und Staat (ISDS) durch. Die Europäische Kommission wollte mit der öffentlichen Konsultation erreichen, dass die Lage in Bezug auf den Schutz von Investoren in TTIP und anderen künftigen Investitionsabkommen der EU wesentlich klarer wird als in den über 3.000 Investitionsabkommen, die derzeit weltweit in Kraft sind.
In der öffentlichen Konsultation ging es vor allem um die Frage, das richtige Gleichgewicht zwischen dem Schutz von Investoren einerseits und andererseits der Wahrung des Rechtes von Staaten, Regelungen im öffentlichen Interesse zu erlassen („right to regulate“), zu finden. Wesentlicher Inhalt war auch eine Reform des Investor-Staat- Streitbeilegungsmechanismus (ISDS).
Die zum überwiegenden Teil ablehnend und kritisch eingegangenen Stellungnahmen deuteten darauf hin, dass einige Bereiche für die Teilnehmer der Befragung besondere Bedeutung hatten, diesen Themen hat sich die Europäische Kommission daraufhin eingehend gewidmet.
Das im Mai 2015 vorgelegte Konzeptpapier stellte keine endgültige Haltung der Europäischen Kommission zur Reform des Investitionsschutzes dar, lieferte aber eine wichtige Diskussionsgrundlage für die entsprechenden europäischen Entscheidungsgremien und wurde im Mai 2015 mit den Abgeordneten des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments und dem Rat der Handelsminister besprochen.
Im Wesentlichen wurden folgende konkrete Reformen für ISDS vorgeschlagen:
Stärkung der staatlichen Rechtssetzungsbefugnis („right to regulate“)
Verbesserung der Zusammensetzung und Funktionsweise der Schiedsgerichte
Einführung einer Berufungsinstanz
Klare Regelung des Verhältnisses zwischen nationalen Gerichten und privaten Schiedsgerichten zur Vermeidung von Parallel- und Mehrfachklagen
Die geplanten Reformen sollten nicht nur in TTIP, sondern auch in allen zukünftigen Investitionsabkommen der EU zur Anwendung kommen.
Am 8. Juli 2015 verabschiedete das Europäische Parlament eine TTIP-Resolution. Darin sprachen sich die Abgeordneten für ein umfassendes Abkommen aus und stellen ihre Forderungen bezüglich eines Verhandlungsergebnisses mit den USA dar. So sollte zum Beispiel der Investorenschutz reformiert und die Transparenz erhöht werden. Eine angemessene Balance zwischen dem Schutz von Investoren und der Wahrung von souveränen Rechten der Staaten bezüglich nationaler Rechtsprechung und Gemeinwohlzielen wurde gefordert. Das Europäische Parlament hatte außerdem einen Wechsel weg von den internationalen Schiedsgerichten hin zu einem öffentlich-rechtlichen Investitionsgerichtshof samt Berufungsinstanz gefordert und sprach sich dadurch nach schwierigen Verhandlungen grundsätzlich für einen Streitbeilegungsmechanismus im Investitionsschutz aus.
Die Europäische Kommission präsentierte im September 2015 einen Vorschlag für ein neues, transparentes Streitbeilegungssystem für Investoren und Staaten – die Investitionsgerichtsbarkeit.
Der Vorschlag für eine Investitionsgerichtsbarkeit beruhte auf den inhaltlichen Beiträgen des Europäischen Parlaments, der Mitgliedstaaten, der einzelstaatlichen Parlamente und interessierter Kreise, die sich im Wege der öffentlichen Konsultation zu ISDS geäußert hatten. Es sollte sichergestellt werden, dass alle Akteure der Gerichtsbarkeit uneingeschränkt vertrauen können. Diese hat dieselben Bestandteile wie einzelstaatliche und internationale Gerichte. Festgeschrieben wurde dabei auch das Recht der Regierungen zu regulieren („right to regulate“) und es wurde für Transparenz und Verantwortlichkeit gesorgt.
Hauptbestandteile der Reform:
Öffentliche Investitionsgerichtsbarkeit bestehend aus einem Gericht erster Instanz und einem Berufungsgericht
Öffentlich ernannte Richter mit hoher Qualifikation (ähnlich IGH oder WTO Berufungsgremium)
Die Schiedsbank soll mit 15 bzw 6 (Berufungsinstanz) durch die Vertragsstaaten bestellte und auf Abruf bereite Richter und Richterinnen besetzt werden, wobei im Regelfall in Kammern mit 3 Richtern entschieden wird. Richter dürfen nicht parallel als Schiedsanwalt tätig werden und auch nicht als Berater oder Zeugen in anderen Schiedsverfahren fungieren. Urteile müssen innerhalb vorgegebener Fristen gefällt werden. Genaue Festlegung der Möglichkeiten von Investoren, einen Fall vor Gericht zu bringen.
Ausschluss unberechtigter Klagen: Klagen in Hinblick auf Investitionen, die betrügerisch, unter Zuhilfenahme von Korruption oder verfahrensmissbräuchlich getätigt wurden, sind unzulässig.Festlegung des Rechts der Regierungen auf Regulierung („right to regulate”) in einer eigenen Vertragsnorm
Das System der Investitionsgerichtsbarkeit soll den bestehenden Streitbeilegungsmechanismus (ISDS) in allen laufenden und zukünftigen Verhandlungen der EU über Investitionen ablösen (TTIP, aber auch Myanmar, China, Japan, etc.).
Langfristiges Ziel der Europäischen Kommission ist ein multilateraler Investitionsgerichtshof.
Durch diese umfangreichen Reformen im Bereich der Investitions-Streitbeilegung seitens der europäischen Kommission sollten eigentlich die Bedenken der Kritiker hinsichtlich Einschränkung des Regelungsrechtes der Staaten, fehlender Transparenz oder parteilicher Schiedsrichter ausgeräumt sein.
Modernisierte Investitionsschutzregelungen sind bereits in den Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) und Vietnam verankert
Die Europäische Kommission und die kanadische Regierung einigten sich im Rahmen des umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada (CETA) im Februar 2016 auf einen neuen Ansatz beim Investitionsschutz und bei der Beilegung von Investitionsstreitigkeiten.
Um ihrer Selbstverpflichtung zu mehr Transparenz nachzukommen, hat die Europäische Kommission am 29. Februar 2016 den vereinbarten, juristisch geprüften Wortlaut des CETA, einschließlich des überarbeiteten Teils zum Investitionsschutz und zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, veröffentlicht.
Der ursprüngliche Text des CETA, der im August 2014 veröffentlicht wurde, sah bereits das bis dorthin fortschrittlichste System für den Investitionsschutz und die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten vor: klar definierte Schutzstandards, völlige Transparenz der Verfahren, Verbot des „Forum Shopping“ (Wahl des günstigsten Gerichtsstands), Auslegungshoheit der Regierungen in Bezug auf das Abkommen, strenger Verhaltenskodex, frühzeitige Abweisung unbegründeter Klagen, Anwendung des „Loser-pays“-Prinzips zur Vermeidung von Klagemissbrauch.
In die endgültige Fassung des CETA wurden nun auch alle wesentlichen Elemente des neuen EU-Ansatzes im Bereich Investitionen aufgenommen, die bereits im EU-Vorschlag für TTIP vom November 2015 und im kürzlich fertiggestellten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Vietnam enthalten sind (Internationale Investitionsgerichtsbarkeit).
Dies bedeutete eine klare Abkehr vom alten System der Investor-Staat-Streitbeilegung und zeigte die gemeinsame Entschlossenheit der EU und Kanadas, das alte ISDS-System durch einen neuen Streitbeilegungsmechanismus zu ersetzen und einen ständigen multilateralen Investitionsgerichtshofs zu schaffen. Der überarbeitete CETA-Text ist darüber hinaus ein klares Signal für die Absicht der EU, diese neue Herangehensweise bei den Investitionsverhandlungen mit allen ihren Partnern zu verfolgen.
Auch mit Myanmar wurde bereits vereinbart, den reformierten Streitbeilegungsmechanismus in das in Verhandlung stehende Investitionsschutzabkommen aufzunehmen. Japan wurde der Vorschlag im Rahmen der Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union ebenfalls unterbreitet. Die Europäische Kommission hat auch den chinesischen Verhandlungspartnern ihren reformierten Ansatz im Investitionsschutzbereich dargelegt, China möchte die neuen Vorschläge noch prüfen.
Bestrebungen der Europäischen Kommission zur Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofes (Multilateral Investment Court, MIC)
Auf dem Weg zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik ist es das Ziel der europäischen Kommission, mit Partnern Vereinbarungen für ein vollwertiges, ständiges internationales Investitionsgericht zu schließen, um eine kohärente, einheitliche und wirksame Politik der Investitionsstreitbeilegung zu entwickeln.
Am 13. und 14. Dezember 2016 fanden auf Initiative der Europäischen Kommission und der kanadischen Regierung in Genf erste Gespräche zur Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofes statt.
170 Vertreter aus über 60 Staaten und 8 Internationale Organisationen nahmen an dieser Veranstaltung teil, um ihre Interessen und Sichtweisen hinsichtlich dieser neu zu begründenden Institution einzubringen. Ein multilateraler Investitionsgerichtshof soll die Schiedsgerichtsbarkeit (ISDS) der bestehenden und zukünftigen bilateralen Investitionsschutzabkommen sowie die bilaterale Investitionsgerichtsbarkeit in Freihandelsabkommen der EU (CETA, Vietnam) ablösen.
Die Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshof war auch Thema auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos (Jänner 2017).
Im Dezember 2016 startete die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation zur Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofes.
Dazu gab es 193 Rückmeldungen mit 43 beigefügten Positionspapieren, Österreich befand sich auf Platz 4 bezüglich der eingegangenen Antworten (nach Belgien, Deutschland und Großbritannien). Das Ergebnis war eine breite Unterstützung der Initiative, wenn auch viele Aspekte der technischen Umsetzung in Frage gestellt wurden bzw. offen blieben.
Es gibt auch bereits einen Mandatsvorschlag der Europäischen Kommission für Verhandlungen für eine Konvention hinsichtlich des MIC:
Auch im Rahmen der UNCITRAL (United Nations Commission of International Trade Law) wurde einer Arbeitsgruppe bereits das Mandat erteilt, an der multilateralen Reform der Investor-Staat Streitbeilegung und der möglichen Errichtung eines multilateralen Investitionsgerichtshofes (MIC) zu arbeiten.
Stand: 08.08.2019