Schaffung eines Multilateralen Investitionsgerichtshofes (MIC)
Position der WKÖ
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Ausgangssituation
Im Jahr 2014 startete die EU eine öffentliche Konsultation zum Ansatz der EU für Investitionsschutz und Investitionsstreitbeilegung in der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft EU-USA (TTIP). In diesem Zusammenhang wiesen einige Stakeholder darauf hin, dass die Reform des Investitionsstreitbeilegungssystems (Schiedsgerichte, ISDS) am besten multilateral statt bilateral erfolgen sollte. Die Idee einer multilateralen Reform des Investitionsstreitbeilegungssystems wurde anschließend vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten unterstützt.
Die Europäische Kommission hat in ihrem Konzeptpapier "Investitionen in der TTIP und darüber hinaus: der Reformkurs" vom 5. Mai 2015 darauf hingewiesen, dass parallel zum Reformprozess in bilateralen EU-Verhandlungen (1), mit der Einrichtung eines multilateralen Systems für die Lösung von internationalen Investitionsstreitigkeiten begonnen werden sollte.
Auf dem Weg zu einer verantwortungsbewussteren Handels- und Investitionspolitik ist es das Ziel der Europäischen Kommission, mit Partnern Vereinbarungen für ein vollwertiges, ständiges internationales Investitionsgericht zu schließen, um eine kohärente, einheitliche und wirksame Politik der Investitionsstreitbeilegung zu entwickeln. Eine Reihe konkreter Vorschläge für multilaterale Reformen sind in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang aufgetaucht. Gleichzeitig wird in mehreren Drittländern und internationalen Organisationen (UNCTAD, OECD, UNCITRAL und Weltbank), die sich mit Investitionen befassen, die Idee einer multilateralen Reform des Investitionsstreitbeilegungssystems erörtert.
Position der WKÖ
Grundsätzlich stehen wir der Idee einer multilateralen Lösung hinsichtlich einer Investitionsgerichtsbarkeit offen gegenüber. Diese wird von uns als eine logische, praktische und effiziente Weiterentwicklung in diesem Bereich gesehen, die insgesamt auch zu einer breiteren öffentlichen Akzeptanz und Legitimität des Systems führen kann. Dabei ist es für österreichische Unternehmen besonders wichtig, dass auch künftig Rechtssicherheit und Rechtsklarheit besteht und der schnelle, sowie ungehinderten Zugang zu einem effizienten Streitbeilegungsverfahren gewahrt bleibt.
Vor diesem Hintergrund bestehen seitens der WKÖ Bedenken hinsichtlich der im Raum stehenden Ausgestaltung eines MIC, wobei sich diese mit unserer bisherigen Position betreffend die bilaterale Investitionsgerichtsbarkeit decken.
Es geht dabei um die folgenden Punkte:
Auswahl der Richter und Besetzung der Spruchkammern
Aus Sicht der Wirtschaft ist wesentlich, dass Richter nicht nur über rechtliche Expertise im internationalen Investitionsschutzrecht, sondern auch über Verständnis für Wirtschaftsfragen verfügen. Es muss jedenfalls vermieden werden, dass die (wohl staatlich nominierten) Richter, tendenziell zugunsten der beklagten Staaten entscheiden. Schiedsrichter sollen unabhängig und unparteiisch sowie frei von Voreingenommenheit oder Interessenkonflikten agieren.
Eine Politisierung des Investitionsschutzes und der Streitschlichtung muss unbedingt vermieden werden, da ansonsten ein wichtiges völkerrechtliches Schutzinstrument an Bedeutung verlieren würde. Vor diesem Hintergrund wäre es daher insbesondere zu begrüßen, wenn einerseits ein Anhörungsrecht der Wirtschaft hinsichtlich des staatlich nominierten Richters vorgesehen wäre und andererseits auch künftig die klagende Partei ein Mitspracherecht bei der Auswahl zumindest eines der für das Verfahren zuständigen Richter (Spruchkammer) hätte.
Die Qualität bzw. Qualifikation der Schiedsrichter liegt klar im Interesse der WKÖ.
Im Allgemeinen erscheint eine Verbreiterung der wirtschaftlichen Expertise in einem möglichen MIC auch dadurch realisierbar, dass fachkundige Personen aus dem Kreise bestimmter Verbände oder sozialpartnerschaftlich organisierter Einrichtungen mit beratender Funktion beigezogen werden (vgl. das System der Laiengerichtsbarkeit im österreichischen Recht).
Berufungsinstanz
Wir halten fest, dass wir im Hinblick auf eine effiziente Verfahrensführung und auf rasche Entscheidungen der Einführung einer Berufungsinstanz nach wie vor kritisch gegenüberstehen, da hierdurch eine Verlängerung der Verfahrensdauer und eine Erhöhung der Verfahrenskosten zu befürchten ist.
Vollstreckbarkeit von Urteilen
Die unmittelbare Vollstreckbarkeit von Urteilen muss auch im neuen System (nach dem Vorbild der Vollstreckbarkeit bei ICSID) gegeben sein und die Notwendigkeit eines nationalen Exequatur Verfahrens muss vermieden werden. Insbesondere sollten Schiedssprüche nicht durch nationale Gerichte überprüfbar sein und sei es bloß hinsichtlich des ordre public.
Prozesskosten
Ein wesentlicher Aspekt bei der allfälligen Schaffung eines MIC, sollte die Reduzierung der Prozesskosten insbesondere für KMU sein, da sich diese derzeit stark prohibitiv auswirken und somit den Zugang zu einer effektiven und unabhängigen Streitbeilegung häufig jenen Parteien vorbehalten, die über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügen. Eine Lösung dieser Problematik würde auch dazu beitragen die Legitimität des Systems zu erhöhen.
Bei den Prozesskosten ist zwischen den folgenden beiden Punkten zu unterscheiden:
Gerichtsgebühren:
Gerichtsgebühren sollten möglichst niedrig gehalten werden, um den weitest möglichen Zugang zum Recht („access to justice“) für Unternehmen zu gewährleisten. Dabei sollte insbesondere auf die Bedürfnisse von KMU Rücksicht genommen werden, deren finanzielle Ressourcen in den meisten Fällen eingeschränkt sind. Zusätzlich angedachte „user fees“, die von Unternehmen bei Inanspruchnahme des MIC eingehoben werden sollen, lehnen wir daher strikt ab.
Anwaltskosten:
Der wesentlichste Kostenfaktor bei Investitionsstreitigkeiten sind die Honorare der Parteienvertreter. Um diese künftig zu reduzieren sollte der für Entwicklungsländer angedachte Mechanismus einer Beratungsstelle bzw. Verfahrenshilfe auch generell für KMU in Erwägung gezogen werden. Ein solcher Mechanismus könnte auf EU-Ebene eingerichtet werden und europäischen KMU Rechtsberatung in Investitionsstreitigkeiten anbieten.
Die Beratungsstelle würde teilweise aus dem EU-Budget und teilweise aus fixen Gebühren, die von den klagenden Unternehmen zu bestreiten sind, finanziert werden. Die Höhe der Gebühren sollte sich dabei nach der Größe des Unternehmens richten. Um eine missbräuchliche Verwendung zu verhindern, würden an die Beratungsstelle herangetragene Fälle zunächst hinsichtlich ihrer rechtlichen Erfolgsaussichten überprüft und offensichtlich aussichtlose Fälle abgelehnt. Die Beratungsstelle wäre ausschließlich für seitens der EU mit Drittstaaten geschlossene Abkommen zuständig. Klagen aus intra-EU BITs und BITs der Mitgliedstaaten mit Drittstaaten würden nicht erfasst.
Eine weitere Option zur Senkung der Anwaltskosten wäre die Schaffung eines einheitlichen Anwaltstarifs, der, analog zum österreichischen Rechtsanwaltstarif, fixe Stundensätze für die rechtsfreundliche Vertretung in Investitionsstreitigkeiten festlegt. Ein solcher Tarif könnte im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrags vereinbart werden und würde auf Streitigkeiten Anwendung finden, die in die Zuständigkeit des MIC fallen.
Zuständigkeit des MIC für bestehende BITs und weitere Abkommen
Vermieden werden soll eine Situation oder Ausgangslage, die Vertragsparteien dazu verpflichtet, die Anpassung bestehender Abkommen in die Wege zu leiten, die bisherige materiell-rechtliche Regeln nicht bloß ergänzen, sondern auch inhaltlich abändern würden. Bestehende Schutzstandards dürfen durch die Schaffung eines MIC somit jedenfalls nicht angetastet werden.
Einer Erweiterung der Wahlmöglichkeit bestehender Schiedseinrichtungen (ICSID, ICC und UNCITRAL) auf Wunsch beider Vertragsparteien stehen wir positiv gegenüber. Es sollte aber nicht zu einer Situation kommen, in der ausschließlich die Anrufung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs möglich ist. Aus Sicht der Wirtschaft ist das Nebeneinander verschiedener Institutionen zur Streitbeilegung ein Vorteil. Nicht nur, weil dadurch im spezifischen Streitfall die Wahlmöglichkeit besteht. Sondern auch, weil durch eine Konkurrenz der Systeme Anreize zu deren Weiterentwicklung geschaffen werden. Die laufenden Reformbemühungen müssen aus unserer Sicht dazu beitragen, Auslandsinvestitionen wirksam zu schützen und weltweite Investitionen zu fördern.
Grundsätzlich kritisch gesehen werden Überlegungen wonach ein MIC auch für weitere Abkommen, die nicht den Investitionsschutz betreffen, zuständig gemacht werden könnte. Aus Sicht der WKÖ sollte der MIC, auch vor dem Hintergrund der Qualität der Schiedssprüche, eine grundsätzlich auf Investitionsstreitigkeiten beschränkte Einrichtung bleiben, zumal es sich beim Investitionsschutzrecht um eine hoch spezialisierte Völkerrechtsmaterie handelt.
(1) Ein bilateraler Investitionsgerichtshof samt Berufungsinstanz wurde bereits in den beiden Handelsabkommen mit Kanada und Vietnam vorgesehen. Betreffend Mexiko, Myanmar, Japan, Tunesien und China wird noch verhandelt.