Vorurteile als Falle bei der Personalsuche
Vor Voreingenommenheit ist niemand gefeit, doch gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist Offenheit gefragt.
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Man stelle sich folgende Situation vor: Eine Personalistin lädt einen 50-jährigen Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch ein. Doch bereits nach wenigen Minuten glaubt sie zu erkennen, dass dieser für die gesuchte Stelle nicht geeignet ist. Jahrelang als Einkaufsleiter mit einem Team von sechs Leuten tätig, hat sich der Mann auf die Stelle eines Einkäufers ohne Führungsposition beworben. Für die Personalerin ist klar: Hier stimmt etwas nicht. Der Mann ist überqualifiziert. Er erhält eine Absage. Was die Personalistin nicht weiß: Der Mann möchte keine Führungsrolle mehr haben. Stattdessen will er einen Schritt zurücktreten und einfach das machen, was ihm Freude bereitet: Angebote einholen und Waren beschaffen. Oder: Sandra Bauer und Meryem Öztürk bewerben sich auf eine Stelle als Bilanzbuchhalterin. Ihre Qualifikationen sind gleich. Der Name und das Aussehen sind es nicht. Öztürk trägt Kopftuch. Laut Uni Linz muss sie sich um 7,6 Mal häufiger bewerben als Bauer.
Situationen wie diese kennt Ute Muster, selbständige Headhunterin in Graz, nur zu gut. Das seien klassische Fälle eines „Unconscious Bias“ – also einer unbewussten Voreingenommenheit. „Gewisse Vorurteile hat man einfach. Da muss man sich oft selbst an der Nase nehmen“, erzählt die Expertin. „Ich höre derzeit jeden Tag, dass Unternehmen keine geeigneten Fachkräfte finden. Umgekehrt sagen mir Arbeitssuchende, dass sie keine Stelle bekommen oder gar nicht erst zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Oft werden potentielle Kandidaten allein aus einem unbewussten Schubladendenken heraus früh aus dem Bewerbungsprozess ausgesiebt. Diese Kandidaten könnten aber eigentlich passen“, so Muster.
Seit 16 Jahren ist sie im Bereich Personal tätig. Was ihr auffällt? Das volksmündliche „Gleich und gleich gesellt sich gern“ ist bei der Einstellung neuer Mitarbeiter oft gang und gäbe. Heterogene Teams? Fehlanzeige. Dabei wären sie gerade in Zeiten des Fachkräftemangels wichtig. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass eine vielfältige Belegschaft nicht nur zufriedener ist, sondern auch bessere Leistungen erbringt.
Strategien gegen Bias
Voreingenommenheiten gibt es viele (siehe unten). Ganz lösen könne man sich von ihnen nicht, es helfe aber, sie zu erkennen. Auch Muster selbst tappe immer wieder gerne in die gleichen Fallen. Vor allem das „Ähnlichkeits-Bias“ beeinflusse die eigene Entscheidung schnell: „Menschen, die einem selbst ähneln, findet man meistens sofort sympathisch – zum Beispiel wenn jemand das gleiche Hobby hat.“ Davon beirren lassen sollte man sich aber nicht, vielmehr gelte es sich auf die Fähigkeiten von Kandidaten zu fokussieren und einen Bias frühzeitig zu entschlüsseln. Dabei helfen können unterschiedliche Strategien wie beispielsweise Sensibilisierungstrainings. Sie zielen darauf ab, das Bewusstsein für unbewusste Voreingenommenheiten zu schärfen. Eigene Denkmuster können so hinterfragt werden, um möglichst objektive Entscheidungen zu treffen. Auch strukturierte Interviews, die einem festen Fragenkatalog folgen, können subjektive Einschätzungen minimieren. „Man stellt jedem Bewerber die gleichen Fragen und kann im Anschluss die Antworten sachlich vergleichen“, erklärt Muster. Zugleich gilt: Je vielfältiger das Auswahlkomitee und je reflektierter und erfahrener die Personalentscheider, desto besser.
Hat man sich für einen Kandidaten entschieden, rät die Expertin noch zu einem finalen Anti-Bias-Check: „Zum Schluss stelle ich mir immer noch zwei Fragen: Erstens: Was war mein erster Impuls bei dieser Person? Zweitens: Wie sehr hat dieser Impuls meine Gesamtbeurteilung beeinflusst. Seien Sie hier ruhig ehrlich zu sich selbst.“
Wer kennt es nicht? Der Bewerber ist sehr freundlich, also geht man als Personalverantwortlicher davon aus, dass er auch zuverlässig ist. Aber stimmt das? Vielleicht, doch es handelt sich nur um eine Annahme. Im Recruiting spricht man vom sogenannten „Halo-Effekt“. Man beurteilt eine Person nur anhand eines ausgewählten Merkmals. Dabei überstrahlt dieses – in den Augen des Gegenübers – alles andere, was diese Person in Wirklichkeit ausmacht.
2. Nur der schlechte Eindruck zählt
„Der Kandidat kam zum Vorstellungsgespräch fünf Minuten zu spät. Auf den kann man sich sicher nicht verlassen.“ – Laut Ute Muster ist das ein klassisches Beispiel für den „Horn-Effekt“. Im Gegensatz zum „Halo-Effekt“ dominiert hier der negative Eindruck. Unabhängig davon, was der Grund des Zuspätkommens ist, wird der Bewerber insgesamt negativ beurteilt – auch wenn es viele positive Aspekte gibt.
3. Mit Ähnlichkeiten punkten können
Das Phänomen ist bekannt: Wer uns ähnlich ist, ist uns automatisch sympathisch. „Der Ähnlichkeits-Bias ist eigentlich die gemeinste Falle, in die wir tappen können“, erklärt Ute Muster. Interviewer bevorzugen Kandidaten, die ein ähnliches Hobby, ähnliche Interessen oder einen ähnlichen Bildungsweg eingeschlagen haben. Sätze wie „Der war auf der gleichen Uni wie ich. Der passt!“ oder „Ah, Sie spielen auch Tennis? Das ist auch mein Hobby. Den nehmen wir.“ dürften vielen Personalverantwortlichen nicht gänzlich unbekannt sein.
Das Bewusstsein gegenüber Vorurteilen bezüglich Geschlecht, Alter oder Nationalität wächst, doch manche Stereotype halten sich hartnäckig. So kann zum Beispiel ein Interviewer unbewusst annehmen, dass eine ältere Person nicht so technisch versiert ist wie eine junge, oder man glaubt, dass ein Bewerber allein aufgrund seines Namens gewisse Eigenschaften hat. Gleiches gilt auch, wenn Frauen oder Männern allein aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Fähigkeiten zu- oder abgesprochen werden.
5. Eigene Fähigkeit überschätzen
Nicht nur Bewerber können ihre eigenen Fähigkeiten überschätzen – auch Personalverantworliche neigen dazu, ihrem Urteilsvermögen zu sehr zu vertrauen. Bekannt ist das Phänomen als „Overconfidence Bias“. Was dagegen hilft, ist laut Ute Muster ein vielfältiges Auswahlkomitee. Dieses besteht aus Mitgliedern mit unterschiedlichen Hintergründen und Perspektiven. Entscheidungen können so vielfältiger und ausgewogener gefällt werden.
6. Nur sehen, was man sehen will
„Ich habe dir ja gleich gesagt, dass der Kandidat nicht passt.“ oder „Wenn er das nicht weiß, dann kann er das auch nicht.“ – Werden die eigenen Annahmen bestätigt, stellt sich oft Triumph ein. Doch mit der Realität hat das oft wenig zu tun. Stattdessen spielt vielen Interviewern die selektive Wahrnehmung einen Streich. Bei der Bewertung eines Gesprächs kann man sich oft nur an die guten oder an die schlechten Aspekte erinnern. Der gute oder schlechte Eindruck wird so bestätigt.