Österreichische Soldaten mit Waffen im Freien, im dunkelgrünen Tarnanzug
© Bundesheer

Großes Aufrüsten für steirische Rüstungsaufträge

Die EU-Kommission hat angekündigt, 800 Milliarden Euro in die Aufrüstung Europas zu investieren. Auch heimische Unternehmen wollen davon profitieren. Es gibt aber Grenzen.

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Aktualisiert am 03.04.2025

Manche Wege an die Front bleiben unergründlich. Sie führen vorbei an Sanktionen, weichen Embargos aus und umkurven über Zwischenhändler Compliance-Richtlinien. Welche Route beispielsweise Standardchips nach ihrem erstmaligen Verkauf einschlagen, ist damit selbst für deren Hersteller meist nicht nachzuvollziehbar. Konzerne wie die niederländische NXP, die in Gratkorn einen Standort betreibt, oder der deutsche Industrieriese Siemens, kennen das Dilemma. Bauteile aus deren Produktion fanden sich in nordkoreanischen Raketen und Drohnen, mit denen die russische Armee die Ukraine
angriff. 

Das ist jene Seite der Rüstungsindustrie, über die alle Beteiligten aus unterschiedlichen Motiven lieber schweigen. Aber auch über legale Geschäfte mit militärischen Gütern wurde bislang selten gesprochen. Das hat sich geändert, nachdem EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unter dem Eindruck der aktuellen Entwicklungen auf
der politischen Weltbühne kürzlich ankündigte, in den Mitgliedsstaaten 800 Milliarden Euro für Verteidigungsausgaben zu mobilisieren. Seither hat die Zurückhaltung einem Selbstbewusstsein Platz gemacht. Die Hoffnung: mit aufgepumpten Rüstungsetats die auf niedriger Flamme dahinlodernde Konjunktur durch entsprechend lukrative Industrieaufträge anzufachen. So hat das Kieler Institut für Weltwirtschaft prognostiziert, dass die Wirtschaftsleistung in der EU um 0,9 bis 1,5 Prozent im Jahr steigen könnte, wenn die EU-Staaten ihre Militärausgaben gemäß Nato-Plänen von zwei auf 3,5 Prozent des BIP steigern würden. Wichtige Bedingung: Die Investitionen dürften nicht weiter vorwiegend in US-Systeme, sondern müssten in heimische Produkte fließen.  

„Überproportionales Wachstum“

An diesem Punkt ortet Wolfgang Plasser, CEO des obersteirischen Metallveredlers Pankl, jedoch eine gravierende Schwachstelle: „Warum gelingt es innerhalb der EU, Plastikflaschenverschlüsse zu regeln, aber keinen Binnenmarkt für europäische Verteidigung zu schaffen“, kiritisierte er zuletzt in einem Interview. Über fehlende Nachfrage kann er jedenfalls nicht klagen. Im vor zwei Jahren eröffneten Luftfahrtwerk in Kapfenberg werden Leichtbau-Antriebskomponenten und -systeme für die zivile und militärische Nutzung produziert (siehe rechts unten). Bei Pankl rechnet man so mittelfristig im Defence-Bereich mit zehn bis 15 Prozent Wachstum. Auch beim Kranhersteller Palfinger erwartet man durch Aufträge aus der Verteidigungsgüterindustrie ein „überproportionales Wachstum“. Der Kapazitätsaufbau werde jetzt, wo Europa „nicht mehr länger moralische Großmacht mit erhobenem Zeigefinger“ sein könne, wohl um einiges schneller gehen als bisher, formulierte Plasser spitz. „Europa muss insbesondere angesichts der aktuellen sicherheitspolitischen Bedrohungen in der Lage sein, eigene Hochtechnologie für die Verteidigung herzustellen“, fordert auch Herbert Decker, Geschäftsführer der Maschinenfabrik Liezen und Gießerei (MFL). Sein Ennstaler Unternehmen hat kürzlich einen Großauftrag im zweistelligen Millionenbereich des Rüstungskonzerns KNDS an Land gezogen (siehe rechts oben). 

Europa muss in der Lage sein, eigene Hochtechnologie für die Verteidigung herzustellen.


Von zunehmender Investitionstätigkeit in diesem Bereich profitiert haben zuletzt auch Magna über die Militärversion der Mercedes G-Klasse (siehe links unten), für die in Kalsdorf eine eigene Fertigungsanlage geschaffen wurde, sowie der oberösterreichische Spezialmotorenbauer Steyr Motors, der Hochleistungsmotoren für militärische Spezialfahrzeuge und Boote der US Navy Seals sowie Hilfsaggregate für Kampfpanzer und Lokomotiven produziert. Auch beim Flugzeugzulieferer FACC und dem Militärfahrzeugspezialisten STI Steyr mit Sitz im Traunviertel steigen die Anfragen. 

Schon keimt vielerorts die Hoffnung, die Rüstungsbranche könnte die Ausfälle in der  lahmenden Autoindustrie substituieren.  Tatsächlich hat der Rüstungskonzern Rheinmetall zuletzt das VW-Werk in Osnabrück in Bezug auf eine Herstellung gepanzerter Fahrzeuge geprüft, und auch für das gerade stillgelegte Audi-Werk in Brüssel gibt es Umrüstpläne. De facto aber braucht es dafür umfangreiche Zertifizierungs- und Sicherheitsüberprüfungsverfahren und Exportgenehmigungen. Diesbezüglich spannt  in Österreich eine „Militärgüterliste“ im Außenwirtschaftsgesetz den entsprechenden legistischen Rahmen auf für die „Ausfuhr, Durchfuhr, innergemeinschaftliche Verbring-ung und Vermittlung“ entsprechender Produkte von Handfeuerwaffen über Bomben, und Sprengstoff bis zu Kriegsschiffen. Auch entsprechende Endverbleibserklärungen und 17 Embargoländer wie Iran, Russland oder Eritrea sind darin gelistet.


Pflicht für „Made in Austria“

Die Industrie ortet dennoch Potential. Es gehe nicht nur um nationale Sicherheit, sondern auch um den Aufbau einer innovationsgetriebenen Verteidigungsindustrie, so MFL-Eigen-tümervertreter Reinhard Haider: „Wir haben das Know-how, wir haben die Betriebe – jetzt müssen wir dafür sorgen, dass diese auch am heimischen Markt zum Zug kommen und langfristig wettbewerbsfähig bleiben.“ Er fordert daher, dass große Beschaffungsvorgänge des Bundesheers künftig einen verpflichtenden Fertigungsanteil für österreichische Unternehmen beinhalten. 


Weltmarktführer mit Helmen und Waffen 

Der 1864 gegründete Waffenhersteller Steyr Arms hat sich mit Schusswaffen für Polizei und Militär einen Namen gemacht und liefert weltweit. Produziert wird in Kleinraming nahe Steyr. Mit Glock gibt es eine weitere rot-weiß-rote Weltmarke im Waffensegment. Ulbrichts Protection aus Schwanenstadt entwickelt und produziert ballistische Helme aus Titan und Titan-Hybrid sowie Visiere für Polizeieinheiten und Militärs. Das Unternehmen zählt zu den weltweiten Pionieren im Bereich des ballistischen Kopfschutzes.

Militärhelm im Bild
© Ulbrichts Protections


„Kampfanzug“ für die G-Klasse aus Graz 

Der deutsche Rüstungskonzern Rheinmetall hat eine für militärische Einsätze adaptierte  Version der Mercedes G-Klasse am Markt. Der „Caracal“ gilt als schnell, wendig und dank Allradantrieb auf jedem Untergrund einsatzfähig. Der leichte Aufbau kann mit Schutzelementen für ballistische und Minenbedrohungen sowie Infanteriewaffen und Anti-Panzer-Waffen bestückt werden. Das ebenfalls auf der G-Klasse basierende Vorgängermodell „Wolf“ war beispielsweise ab den 1990er-Jahren in der deutschen Bundeswehr im Einsatz. 

Militärische Mercedes G-Klasse
© Rheinmetall


MFL-Millionenauftrag für Panzergehäuse 

Die Maschinenfabrik Liezen (MFL) fertigt Turmgehäuse für den Kampfpanzer „Leopard 2“. Die tonnenschweren Schweißkonstruktionen sind essenziell für den Schutz der Besatzung und der Hightech-Systeme des Panzers. „In der Verteidigungsindustrie können wir unsere Kompetenz bei präzisen Schweißkomponenten und Gussteilen einbringen“, so der MFL-Geschäftsführer Herbert Decker. Am Liezener Standort wurden bis in die 1980er-Jahre von der Voest die Noricum-Artilleriegeschütze produziert.

Ein Mann schweißt an einem großen Bauteil in einer Halle
© MFL


Pankl liefert Heli-Teile für die US-Armee 

Mit mindestens 20 Millionen Euro pro Jahr beziffert man bei Pankl in Kapfenberg den Umsatz mit Lösungen für Militärfahrzeuge, Hubschrauber, Jets und Drohnen. Für den Helikopter Bell Invictus 360 der U.S. Army hat Pankl Aerospace Systems etwa am kalifornischen Standort Cerritos Mainrotor Masts gefertigt. Auch für französische und italienische Kunden nehmen aktuell Aufträge im Bereich Helikoptertechnologien zu. Damit gleicht diese Branche die weggefallenen KTM-Aufträge etwas aus.

Militärhubschrauber in der Luft
© Bell