Fluch und Segen offener Märkte
Im Wettstreit der Wirtschaftsgroßmächte USA und China steigt der Druck auf den europäischen Außenhandel. Auch für heimische Exporteure wird es rauer, warnt Ökonom Gabriel Felbermayr.
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Das neue Smartphone aus den USA, der Pullover von der italienischen Modekette, die Spielkonsole aus China, der Rotwein aus Frankreich, die neuen Ski zwar eine österreichische Marke, aber produziert in Bulgarien, und die schicken Selbstbaumöbel aus Schweden: Der Gabentisch unterm Christbaum ist nicht selten ein Spiegel der globalisierten Wirtschaft. Dazu steht vor der Türe ein Auto, zusammengeschraubt aus Komponenten, die über ein weltweites Lieferkettengeflecht zwischen den einzelnen Produktionsstätten herumtransportiert werden. Ein Gesamtsystem, das dank Energie aus dem arabischen Raum oder Russland am Laufen gehalten wird.
Freihandelszonen, -abkommen und -verträge beziehungsweise Zusammenschlüsse zu einer Wirtschafts- und Währungsunion beschleunigen und vereinfachen dabei den Austausch von Waren und Dienstleistungen über Staatsgrenzen hinweg. Das führt generell zu einer effizienten Ressourcennutzung, niedrigeren Preisen und einer breiten Auswahl für Verbraucher.
Bremsen des Handels
Handelsbarrieren wie Zölle, Sanktionen oder durch Krieg, Pandemie oder Havarien verstopfte Güterwege bremsen dagegen diese Art der polyglotten Kreislaufwirtschaft. „Spätestens mit dem Ausbruch der Coronapandemie erlebten wir hautnah, wie sehr unsere Volkswirtschaften im globalen Maßstab mit anderen Ländern verflochten sind“, erinnert WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr in seinem aktuellen Buch (siehe rechts).
Der Ökonom analysiert darin den diesbezüglichen Status quo der Weltwirtschaft. Nur positiv fällt die Bilanz nicht aus. Dafür hätte es keine Ankündigungen wie zuletzt vom designierten US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump gebraucht, der Strafzölle – je nach Produkt und Herkunft – zwischen 20 und 100 Prozent für Importe in die USA angekündigt hat. Dazu kommen mit Lieferkettengesetzen, der zollpolitischen Absicherung nationaler Klimapolitik und Wirtschaftssanktionen immer neue Handelsbarrieren. Felbermayr ortet eine „Abkehr vom Freihandel als die idealtypische Zielvorstellung“.
Gerade für Europa und insbesondere Österreichs exportorientierte Wirtschaft wachsen damit die Herausforderungen. Denn der heimische Wohlstand basiert auf einer mittelständisch geprägten Wirtschaftsstruktur, die auf den freien Welthandel angewiesen ist. „Nur so finden hochspezialisierte Unternehmen genügend Absatzmärkte und sorgen für Wohlstand und hohe Löhne in ihrer Heimat“, verweist Felbermayr aber auch auf Wirkzusammenhänge, die in klassischen Handelsbilanzen nicht vollständig abgebildet werden. So hat Österreich zuletzt Waren im Wert von 201,64 Milliarden Euro importiert (2023). Im gleichen Zeitraum wurden Waren im Wert von 200,55 Milliarden Euro exportiert. Daraus resultiert ein Handelsbilanzdefizit von 1,09 Milliarden Euro.
Doppelte Abhängigkeit
Der Zweck der Importe ist dabei aber nicht immer der Letztverbrauch, sondern die Weiterverarbeitung. Felbermayr präferiert daher als „Leitwährung“ die Außenhandelsquote. Sie ist ein Maß für die Handelsoffenheit einer Volkswirtschaft, also wie sehr ein Land in das internationale Handelssystem integriert ist, und errechnet sich, indem Importe und Exporte von Gütern und Dienstleistungen addiert und
ins Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt gesetzt werden. Dabei kommt man für Österreich auf einen Wert von 111 Prozent – und zeigt damit, dass ein wesentlicher Teil der Importe eben wieder reexportiert wird, was die klassische Handelsstatistik unterschlägt.
Diese Spezialisierung auf die Weiterverarbeitung wurde zwar charakteristisch für die Volkswirtschaften Mitteleuropas und Fundament ihres Wohlstands. Es entstehe, so Felbermayr, aber eine doppelte Abhängigkeit vom außenhandelspolitischen Umfeld: einerseits von den Zulieferern, andererseits von den Absatzmärkten. „Diese Mittellage in der Wertschöpfung hat erhebliche strategische Konsequenzen: Offene Märkte sind für das Wohl und Wehe der Staaten Mitteleuropas viel wichtiger als für andere Länder“ (Felbermayr). Um festzustellen, wie wichtig der heimische Beitrag zum Endprodukt ist und welche ökonomischen Abhängigkeiten tatsächlich bestehen, müsse daher der Wertschöpfungsanteil herausgerechnet werden. Für Österreich kommt der Wirtschaftsforscher auf einen Wert von 70 Prozent. Die Differenz zu 100 Prozent zeigt die Importabhängigkeit von Vorprodukten, die benötigt werden, um überhaupt exportieren zu können.