Autobranche vor großem Umbruch
Die Verwerfungen der europäischen und vor allem deutschen Autoindustrie erhöhen auch für steirische Zulieferer den Druck.
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Am Schreibtisch von Oliver Hohnhold in Lebring treffen sich Licht und Schatten. Auf der einen Seite ist ihm mit seinem Unternehmen Autforce eine erfolgreiche Transformation gelungen. „Wir haben uns vom klassischen Softwarelieferanten für die Automobilbranche hin zum Maschinenbauer entwickelt und können nun ein Package aus digitaler Plattform und Anlage anbieten“, so Hohnhold stolz.
Mit den Prüfanlagen können Produktionsfehler erkannt und Qualitätsabweichungen erfasst werden. Dazu kommt die hauseigene Softwareplattform, mit der die Prüfstände gesteuert und optimiert werden. „Unser Know-how liegt in der stets komplexer werdenden Fahrzeug-Kommunikation und dessen Bussystemen“, erklärt Hohnhold. Mit dieser Geschäftsfelderweiterung verbunden ist ein Ausbau am Standort südlich von Graz.
Hohnhold kennt aber auch die aktuellen Schattenseiten der Branche. So musste er dieser Tage bei einem ebenfalls im Automotive-Bereich tätigen Betrieb ein Sanierungsverfahren eröffnen – eine direkte Folge der heftigen Turbulenzen in der deutschen Autoindustrie. Und nicht die einzige, die bis in die Steiermark spürbar ist. Auch bei der Radkersburger Metal Forming muss Geschäftsführer Stefan Wiery massive Einschnitte vermelden. Nach einem Umsatzeinbruch von 30 bis 40 Prozent wird das südsteirische Unternehmen zwanzig Prozent seiner Mitarbeiter abbauen. „Wir haben schon Leiharbeiter reduziert, jetzt trifft es leider auch die Stammmannschaft.“
„Existenzbedrohend“
Es ist ein Teufelskreis: Man bekomme von Kunden nur spät oder gar keinen konkreten Forecast, damit hängt die eigene Kosten-Mengen-Planung in der Luft. Parallel werden auch aus China und den USA Projektverschiebungen gemeldet. Angesichts der geringen Margen wird das schnell „existenzbedrohend“, so Wiery.
Zuletzt musste auch Magna Powertrain 200 Jobs streichen. In Lannach hätten die Motoren für die E-Autos von Fisker gebaut werden sollen. Daraus wird nach der Milliarden-Pleite von Fisker nichts. Parallel gab es für das Magna-Stammwerk in Graz eine Absage von Ineos und keine Verlängerung für die auslaufende Jaguar-Produktion. 2026 verabschieden sich auch BMW/Toyota aus Graz. Dann bleibt nur noch die Mercedes G-Klasse, die in Graz gefertigt wird und wo zuletzt 50 Millionen Euro in den Ausbau der bis 2029 gesicherten Produktion investiert wurden.
Neugewichtung
Zur fehlenden Vollauslastung gesellen sich jetzt die Alarmmeldungen aus Deutschland rund um Europas größten Automobilhersteller Volkswagen. Wesentliche Teile der heimischen Zulieferindustrie trifft dieses Erdbeben mit voller Wucht. „In Österreich betreiben wir die Spitzenabdeckungswerke für die deutschen Großkonzerne – wenn es dort kracht, ziehen sie ihre Kapazitäten in den Zentralen zusammen“, beschreibt der steirische WKO-Vizepräsident Herbert Ritter die aktuellen Verschiebungen am Markt in Zusammenhang mit dem Hadern rund um die Antriebswende. Parallel fehle es in Europa in Sachen Elektromobilität an entsprechender Infrastruktur, Rohstoffen und Wertschöpfung. „Das technologische Wissen, ein europäisches Stärkefeld, ist bei der E-Mobility nicht mehr in diesem Ausmaß notwendig“, sagt Ritter.
Der Weg aus dem Tal der Tränen führe über eine Steigerung der Produktivität, entsprechende Rahmenbedingungen, die Motivation für Mehrleistung bieten, und Zielvorgaben statt Technologievorgaben. „Die heimischen Zulieferer brauchen eine Neugewichtung der Wertschöpfung in Richtung Digitalisierung“, leuchtet auch Christa Zengerer, Geschäftsführerin des Mobilitätsclusters ACStyria, mögliche Zukunftsfelder aus: „Wir benötigen Software, Sensorik, Chips und andere digitale Technologie.“
Zumindest kurzfristig sorgen Aufträge wie jener von BMW für sanfte Entspannung. Die Bayern lassen bei Magna bei den von einer massiven Rückrufaktion betroffenen Fahrzeuge die Bremsen nachbessern. Und die britisch-abudhabische Elektro-Luxusmarke „Forseven“ will in Graz ab 2027 Elektro-Autos fertigen lassen.
Hoffnungsmarkt
Mit 80 Millionen Einwohnern und der höchsten Dichte von ausgebildeten Ingenieuren in Indien gehört der südindische Bundesstaat Tamil Nadu auch zu den wirtschaftsstärksten Regionen des Subkontinents. Zu-dem gilt er als eines der weltweiten Zentren der Automotive- und IT-Industrie. Mit Thiaga Rajan, Minister für IT & Digital Services, besuchte kürzlich ein hochrangiges Regierungsmitglied aus Tamil Nadu die Steiermark. Neben Arbeitsgesprächen auf politischer Ebene, bei denen zentrale Themen der wirtschaftlichen Kooperation erörtert wurden, folgten B2B-Gespräche mit Unternehmen wie TCM International, Dewetron und Pankl Racing Systems, bei denen die jeweiligen Expansionspläne der steirischen Unternehmen nach Indien und das Nutzen potenzieller Synergien zwischen den beiden Regionen besprochen wurden. Auch AVL-Chef Helmut List unterstrich beim Besuch Rajans in der Zentrale des Motorenentwicklers in Graz das Potenzial des indischen Marktes für die Automobilindustrie und hob die strategische Bedeutung einer verstärkten Zusammenarbeit in den Bereichen Automotive, Elektromobilität und emissionsfreier Antriebstechnologien hervor.
Möglichkeiten, die wirtschaftlischen Beziehungen und Kontakte zu vertiefen, gibt es im Rahmen einer vom Internationalisierungscenter Steiermark (ICS) initiierten Wirtschaftsmission des Landes Steiermark im März kommenden Jahres nach Tamil Nadu und weitere indische Hotspots der indischen Automobilindustrie.
Klaus Höfler