Johannes Kopf im blauen Anzug
© AMS/Tanja Hofer

AMS-Chef Kopf: „Die Streiks bedrohen die Stabilität nicht“

Johannes Kopf, Leiter des Arbeitsmarktservice, über Streiks als „letztes Mittel“, die Integration ausländischer Arbeitskräfte, Herdprämien und die bevorstehende Erhöhung des Frauenpensionsalters. 

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Aktualisiert am 23.11.2023

Österreich gilt in Bezug auf Streiks als „unanfällig“. Jetzt ist die Situation im Zuge der KV-Verhandlungen eskaliert. Wie sehr beeinflusst das die Stabilität des Arbeitsmarkts?

Johannes Kopf: Im europäischen Vergleich ist Österreich tatsächlich kein Land mit großer Streiktradition. Ein Streik ist ja auch das letzte Mittel, das Arbeitnehmervertretern zur Verfügung steht. Ich denke nicht, dass aufgrund der aktuellen Entwicklung die Stabilität bedroht ist, hoffe aber, dass sich die Sozialpartner rasch einigen können, um weitere Eskalationen zu vermeiden. 

Zuletzt stiegen die Arbeitslosenzahlen leicht. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Johannes Kopf: Der österreichische Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Monaten als sehr robust gegenüber den konjunkturellen Turbulenzen erwiesen. Dass die Arbeitslosigkeit trotz Rezession nicht stärker gestiegen ist, ist erfreulich. Manche Branchen wie etwa der Bau sind aber wegen ihrer Konjunktursensibilität stärker betroffen als andere. Es bleibt zu hoffen, dass sich wie prognostiziert die Konjunktur nächstes Jahr wieder erholen wird.

Wird sich die Lage am Arbeitsmarkt weiter verschlechtern, da die Rezession mittlerweile auch in Österreich angekommen ist?

Johannes Kopf: Unsere Prognosen sowie jene von WIFO und IHS gehen davon aus, dass es auch nächstes Jahr ein leichtes Steigen der Arbeitslosigkeit geben wird. Man beobachtet heute das Phänomen des Labour Hoardings: Betriebe wissen, wie schwer es aktuell ist und auch in Zukunft sein wird, Mitarbeiter zu finden, und vermeiden es deswegen tunlichst, Leute freizusetzen. 

Wie groß wird dieses Problem Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel noch – nämlich aufgrund der Demografie?

Johannes Kopf: Die Pensionierung geburtenreicher Jahrgänge in näherer Zukunft wird für manche Branchen eine große Herausforderung sein, insbesondere für die öffentliche Verwaltung. Gegen demografische Effekte gibt es kein einfaches und vor allem schnelles Rezept. Ich kann Betrieben nur raten, so fokussiert wie möglich auf ihre Arbeitgeberattraktivität zu achten und sich mit den Wünschen und Bedürfnissen potenzieller Arbeitskräfte und bereits bestehender Mitarbeiter auseinanderzusetzen.

Ein Hebel, um den Mitarbeiterbedarf zu decken, wäre, auch verstärkt auf ausländische Arbeitskräfte zurückzugreifen.

Johannes Kopf: Hier muss man deutlich differenzieren: Rund ein Viertel der Beschäftigten in Österreich sind ausländische Staatsbürger. Ohne sie ginge in Österreich nichts, weder im Bau noch in der Pflege noch in Forschung und Entwicklung. Wo wir vor Problemen stehen, ist die Arbeitsmarktintegration von geflüchteten Personen.

Da haben Sie 50 bis 100 Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen gefordert ...

Johannes Kopf: ... und ich freue mich, dass dieser Wunsch nach einem Integrationsbudget für Geflüchtete bei Arbeits- und Wirtschaftsminister Kocher Anklang gefunden hat. Wir werden mit dem Geld eine Art ganztägiges Jugend-College aufsetzen, das es Geflüchteten ermöglichen soll, nach 14 bis 18 Monaten eine Lehre beginnen zu können.

Männer machen Überstunden, Frauen machen Teilzeit. Die Gründe sind vielfältig, haben oft mit meist unbezahlter „Care-Arbeit“ zu tun. Was müsste die Politik machen, um dieses Ungleichgewicht abzuschwächen? 

Johannes Kopf: Wenn ich nur eine Maßnahme gegen den Fachkräftemangel wählen müsste, dann wäre es die Schaffung flächendeckender, kostengünstiger Ganztageskinderbetreuungsangebote. Die Politik setzt diesbezüglich ja – endlich – auch im ländlichen Raum Taten. Bei Frauen, die aufgrund von Betreuungspflichten nur Teilzeit arbeiten, gibt es ein großes Arbeitskräftepotenzial. Es ist aber an der Zeit, dass auch Männer sich mehr in die Care-Arbeit einbringen und es zu mehr Ausgewogenheit zwischen kommt.

Was halten Sie von Prämien für Frauen, die den Nachwuchs daheim betreuen?

Johannes Kopf: Von einem arbeitsmarktpolitischen Standpunkt – und auch von einem feministischen – ist es kontraproduktiv, Anreize zu setzen, die Frauen vom Erwerbsleben fernhalten. Nicht nur, dass dem Arbeitsmarkt kostbares Potenzial entgeht, Erwerbslosigkeit bedeutet Abhängigkeit und stellt viele Frauen in der Pension vor große Probleme.

Ab nächstem Jahr wird das Frauenpensionsalter schrittweise angehoben. Schlummert da ein ungenutzter Schatz an Arbeitskräften?

Johannes Kopf: Es ist eine glückliche Fügung, dass vor etlichen Jahrzehnten eine Bundesregierung beschlossen hat, das Pensionsalter der Frauen ab 2024 progressiv an dasjenige der Männer anzugleichen. Jedes Jahr werden rund 20.000 Frauen länger am Arbeitsmarkt bleiben. Das ist ein immenses Potenzial für die Betriebe, das sie in ihren Bemühungen um Personal auch ansprechen sollten. 


Zur Person

Johannes Kopf ist Vor­standsvorsitzender des Arbeitsmarktservice (AMS). Davor war der Jurist bei der Industriellenvereinigung und 2003 bis 2006 im Kabinett des damaligen Wirtschaftsministers Martin Bartenstein.