
Teil 7/2. "Blick zurück auf die eigene Schuld"
Die Folgen von Kriegen hören nicht auf, wenn die Waffen schweigen“, warnt Historikerin Barbara Stelzl-Marx vor einer Erinnerungsmüdigkeit.
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Sie forschen seit drei Jahrzehnten zu Kriegen und ihren Folgen. Wie kann Frieden gelingen?
Friedensarbeit kann nur gelingen, wenn sie auf Basis von gegenseitigem Respekt, langfristigem Dialog und auch ehrlicher Aufarbeitung passiert. Dazu gehört auch gemeinsames Erinnern.
Gibt es da Unterschiede in der Aufarbeitung nach den beiden Weltkriegen?
Die Hinorientierung zu Deutschland, die es 1918 gegeben hat, wo man diese Phantomschmerzen des zerfallenen großen Reiches gehabt hat und sich nicht gedacht hat, dass Österreich allein überlebensfähig ist und dass man da den Anschluss an Deutschland braucht, das war 1945 komplett überwunden.
Warum hat sich die Opferthese nach dem Zweiten Weltkrieg so lange halten können?
Da spielt die Moskauer Deklaration von 1943 eine große Rolle, in der es heißt, Österreich sei das erste Opfer des Nationalsozialismus gewesen. Darauf fußt diese These, die sich nach Kriegsende etablieren konnte. Das, was aber auch in der Moskauer Deklaration steht, nämlich, dass Österreich eine Mitschuld trägt, war etwas, was man sowohl von der Politik in Österreich als auch im kleinen, privaten Rahmen in der Gesellschaft sehr rasch und sehr gerne unter den Teppich gekehrt hat. Weil es um einiges angenehmer ist, wenn man sich als Opfer denn als Täter bezeichnet.

Die Entnazifizierung blieb damit stecken?
Sie war durch die Alliierten, aber auch von österreichischer Seite her zwar bis 1947 intensiv, danach hat sie aber immer mehr abgenommen. Es hat dann für lange Zeit in erster Linie einen Blick nach vorne gegeben und relativ ungern den Blick nach hinten beziehungsweise den unbequemen Blick auf die eigene Schuld. Die große Kehrtwende kam erst 1986.
Mit der Waldheim-Affäre.
Von da an hat man nicht mehr unkritisch sagen können: „Ich habe nur meine Pflicht getan.“ Es war auch der Startschuss für die Entschädigungen, die Gründung des Nationalfonds und Zukunftsfonds sowie die sukzessive Aufarbeitung in der Forschung.
Wie wichtig sind Zeitzeu-gen für diese Arbeit?
Zeitzeugen sind sehr wichtig und durch nichts zu ersetzen. Wir haben jetzt die Situation, dass es noch Zeitzeugen gibt, die den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg als Kinder oder Jugendliche selbst miterlebt haben und drüber berichten können. Aber es wird zunehmend schwieriger und in absehbarer Zeit weniger bis kaum mehr Menschen geben, die diesen ganz unmittelbaren, direkten Einblick geben können. Das und die Tatsache, dass diese Epoche für die heutigen Kinder oder Jugendliche schon relativ weit weg ist, macht es nicht einfacher.
Merken Sie 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine gewisse Erinnerungsmüdigkeit?
Ja, die gibt es – dass manche sagen, jetzt haben wir das eh schon so oft gehört. Nichtsdestotrotz finde ich es gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen extrem wichtig, den Blick auch in die Vergangenheit zu werfen, um zu sensibilisieren. Nach dem Motto „Niemals wieder!“ – auch wenn wir gerade jetzt auf entsprechende Befürchtungen stoßen.
Wo?
Wir haben etwa ihm Rahmen des Buchprojekts „Roter Stern über Graz“ Interviews mit 80 Zeitzeugen geführt, die das Ende des Zweiten Weltkriegs in Graz als Kinder oder Jugendliche erlebt haben. Und da haben sehr, sehr viele von sich aus ihre eigenen Erlebnisse, die Luftangriffe und die Bomben, mit den Bildern vom Ukraine-Krieg in Verbindung gebracht und ihre Angst geäußert, dass es wieder zu einem größeren Krieg kommen könnte.