Zeitraum 1900 bis 1909
© WKO Steiermark

Teil 6. Gründerzeit für Leitbetriebe

Im habsburgischen Vielvölkerstaat liegen Graz und das Herzogtum Steiermark am Übergang zum slawischen Raum. Diese besondere Lage, die Expertise in der Eisen- und Stahlverarbeitung sowie unternehmerische Innovationskraft sind ab dem 19. Jahrhundert das Fundament für viele Unternehmensgründungen. Viele prägen bis heute als Leitbetriebe den Standort.

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Aktualisiert am 26.03.2025

Befeuert von der Industrialisierung, setzt in der Steiermark ab 1850 eine Gründerwelle ein. Einige Leitbetriebe, wie Andritz, prägen den Standort noch heute.

Vom Eisenhändler an die Weltspitze

„Herr Körösi beabsichtigt eine wirklich großartige Fabrik zu errichten.“ In allerhöchs­ten Tönen kommentiert der Grazer Magistrat 1852 die unternehmerischen Aktivitäten von Josef Körösi. Den gebürtigen Ungar hatte es 20 Jahre davor als Arbeiter nach Graz verschlagen. Schon 1835 bekam er die Chance, die Kettenfabrik seines Arbeitgebers  zu erwerben. Er baut sukzessive aus, bis der Standort in der später nach Körösi benannten Straße zu klein wird und er vor den damaligen Toren der Stadt ab 1852 eine eigene Maschinenfabrik und die Eisengießerei aufbaut, die Drahtnägel, Ketten, Eisengitter, Grabkreuze und Maschinenbestandteile produziert. Es ist die Keimzelle der Andritzer Maschinenfabrik (MFA) – der heutigen Andritz AG.  

Produktionshalle
© Andritz Produktionshalle in der Maschinenfabrik Andritz 1914


Wesentliche legistische und technische Veränderungen sorgten damals für Umbrüche in der unternehmerischen Landschaft. Zum einen wurden 1859 die Zünfte – sie sorgten für die Berufsausbildung, kontrollierten Rohstoffe und die Qualität der Verarbeitung und regelten die Preise – abgeschafft und durch ein einheitliches Gewerberecht ersetzt, das vom Grundsatz der Gewerbefreiheit getragen wurde. Zum anderen führten neue Techniken im Zuge der Industrialisierung zu einer Rationalisierung und Steigerung der Produktion. An die Stelle von Manufakturen und Werkstätten traten Fabriken, Handwerker, Gesellen und Lehrlinge wurden durch Fabrikarbeiter ersetzt. Auch in Körösis aufstrebendem Unternehmen: Zwischen 1854 und 1862 stieg der Beschäftigungsstand von 100 auf 600.

Nach Kriegswirren, exis­tenzgefährdenden Krisen, einer offensiven „Wachstum durch Zukauf“-Strategie und einem Management-Buyout durch den langjährigen Vorstand Wolfgang Leitner sind beim mittlerweile börsennotierten Unternehmen heute rund 30.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an 280 Standorten in über 80 Ländern beschäftigt. Der Konzern gilt als weltweit führender Anbieter von Anlagen, Ausrüstungen, Automatisierungslösungen und Serviceleistungen für Wasserkraftwerke, die Zellstoff- und Papier-, Stahl- und metallverarbeitende Industrie. Die Zentrale steht weiterhin in Andritz.

Logo der Andritz AG am Gebäude
© Andritz


Der Beginn vieler Leitbetriebe

Böhler: Ausgehend von ihrer 1870 in Wien gegründeten Gesellschaft, deren Geschäftszweck der Handel mit steirischem Stahl ist, kaufen die  Gebrüder Böhler 1894 das Stahlwerk in Kapfenberg. Um 1900 entwickeln sie dort einen Schnellarbeitsstahl. 1975 fusionieren Böhler, Schoeller-Bleckmann und die steirischen Gußstahlwerke zur VEW (Vereinigte Edelstahlwerke), die 1988 aufgeteilt wird . Böhler wird Teil von Böhler-Uddeholm und 2008 von der Voestalpine übernommen. 

Böhler, altes Foto
© Stadtgemeinde Kapfenberg


Stahl Donawitz: 1881 übernimmt die „Österreichische-Alpine Montangesellschaft“ das Stahlwerk in Donawitz, dessen Wurzeln bis auf ein Hammerwerk aus dem Jahr 1436 zurückreichen, und baut es zu einem Träger- und Schienenwalzwerk aus. Bis 1912 wächst der Standort zur größten zusammenhängenden Stahlwerksanlage in Europa. 1973 erfolgt die Fusionierung mit der Vereinigte Österreichische Eisen- und Stahlwerke AG (VOEST), der Vorgängerin des heutigen voestalpine-Konzerns. 

Arbeiter bei der Arbeit
© KK


Brauerei Puntigam: Bereits 1478 gibt es im Grazer Süden eine erste Brauerei, später ein Vorstadtgasthaus mit eigener Bierproduktion. 1838 wird schließlich die Brauerei am Gelände des Puntigamerhofs gegründet. Bereits 1872 braut man hier 100.000 Hektoliter Bier, heute sind es rund eine Million Hektoliter pro Jahr. Die Brauerei in Graz wurde 1977 Teil der Steirerbrau (mit Gösser und Reininghaus) und ist heute über die Brauunion Teil des Heineken-Konzerns. 

Altes Bild der Brauerei
© GrazMuseum


Kastner & Öhler: Der Buchhändler Carl Kastner und sein Verkäufer Hermann Öhler nützen die Turbulenzen des Börsenkrachs 1873, kaufen mit Bargeld Waren und gründen im heutigen Tschechien die „Kurzwarenhandlung Kastner & Öhler“. 1883 mietet Kastner in der Sackstraße in Graz ein freies Lokal, das 1913 ausgebaut und zur Unternehmenszentrale wird. Hier etablieren sich schon in den 1880er-Jahren Fixpreise, der Postversand und Sozialleistungen für Mitarbeiter.

Innenfoto Kastner in schwarz-weiß
© Kastner&Öhler


Pölser Papierfabrik: 1905 startet in Pöls die industrielle Zellstoffproduktion, 1910 geht eine Papiermaschine in Betrieb. Es ist ein Comeback: Bereits 200 Jahre zuvor wurde am Standort im oberen Murtal Papier aus Stoffresten hergestellt. Im 20. Jahrhundert durchlebt man die allgemeinen Krisen durch Kriege und Verstaatlichung, ehe im Jahr 2000 die international agierende Heinzel-Gruppe die Zellstoff-Pöls AG übernimmt und schrittweise modernisiert und ausbaut. 

Holz gestapelt vor Fabriksgelände
© KK


Elin: Der junge Ingenieur und Erfinder Franz Pichler gründet 1892 die Pichler-Werke und erhält im gleichen Jahr die Starkstromlizenz. 1908 entsteht daraus die ELIN mit Spezialisierung auf den Generator-, Trafo-, Schaltanlagen-, Leitungs- und elektrischen Anlagenbau. Die Verstaaatlichung und mehrere Umstrukturierungen und Eigentümerwechsel später gehört ELIN Motoren mit Hauptsitz in Preding heute zur Voith Group.

Franz Pichler
© ELIN


Gründen als „steirischer Brauch“

Von der Stahlindustrie bis zur Mikroelektronik, von global tätigen Konzernen bis zu lokalen Start-ups: Die Betriebslandschaft bleibt fruchtbar und bunt.

Die Chronik steirischer Leitbetriebe ist ein unvollendetes Buch. Immer wieder werden neue Kapitel hinzugefügt. Unternehmerischer Mut, Innovationskraft in den betriebseigenen Entwicklungsabteilungen und enge Verbindungen zu den universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sorgen für einen fruchtbaren Boden, in dem regelmäßig neue Geschäfts-ideen sprießen. So werden in der Steiermark jeden Tag dreizehn neue Unternehmen gegründet. Allein vergangenes Jahr waren es 4.928. Dazu kamen – als Gradmesser für die stete Innovationskraft des Standorts – rund 450 Patente, die 2024 von steirischen Betrieben angemeldet wurden (von österreichweit 2.200). 

In dieser Statistik auf einen Spitzenplatz gebucht ist AVL List. Das auf Motorenentwicklung und Prüfstandtechnologie spezialisierte Unternehmen aus Graz wurde 1948 von Hans List gegründet und steht als Leuchtturm für die steirischen Gründungsaktivitäten nach dem Zweiten Weltkrieg, die aufbauend auf vorhandener Expertise in traditionellen Wirtschaftsfeldern neue Branchen und Nischen für sich erschlossen. 

Partner der Formel 1

Die AVL (Anstalt für Verbrennungskraftmaschinen) mit ihren 12.200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an mehr als 90 Standorten weltweit gilt heute als hochbegehrter Partner von Formel-1-Rennställen und namhaften Automobilherstellern. Man bietet Simulations- und Virtualisierungstechnologie,  Testautomatisierung und Fahrzeugsoftware. 

Ebenfalls in der Motorsportszene fest verankert hat sich die 1985 in Kapfenberg gegründete und auf Komponenten für Motoren- und Antriebssysteme spezialisierte Pankl AG. Sie schreibt wie beispielsweise die 1942 gegründete Breitenfeld Edelstahl AG im Mürztal die Metallverarbeitungstradition in der Obersteiermark weiter. Die massive Krise in den 1980er-Jahren hat dort zu einem Innovationsschub geführt. So haben sich aus der verstaatlichten Industrie heraus der 1981 entstandene Halbleiterspezialist AMS in Premstätten und der 1987 gegründete Leiterplattenhersteller AT&S in Leoben entwickelt. Dazu kommen unternehmerische Erfolgsgeschichten wie die ab 1922 entstandene Anton Paar oder der 1952 gegründete Intralogistikspezialist Knapp. Diese heute global tätigen Unternehmen stehen beispielhaft für eine neue Generation an steirischen Leitbetrieben. 

AT&S Mitarbeiter
© AT&S Bei AT&S in Leoben wird Leiterplattentechnologie für den Weltmarkt entwickelt.


Anlässlich eines Länderkampfes zwischen den USA und England stiftet der amerikanische Tennisspieler Dwight Filley Davis einen Silberpokal. Er wird seither als „Davis-Cup“ jährlich ausgespielt. 

In Paris finden die II. Olympischen Spiele statt. An den Wettkämpfen in 16 Sportarten nehmen 1.344 Aktive – darunter erstmals zwölf Frauen – aus 22 Ländern teil. 

Der Wiener Arzt Sigmund Freud veröffentlicht „Die Traumdeutung“. Es ist die erste große Abhandlung seiner Schule der Psychoanalyse, als deren Erfinder er gilt. 

Die selbständigen Gebiete Neusüdwales, Victoria, Queensland, Süd- und  Westaustralien und Tasmanien schließen sich zum „Commonwealth of Australia“ zusammen.

In Graz gründet sich der „Grazer Athletiksport Klub“ (GAK). Neben Fußball und Tennis gibt es im Lauf der Geschichte Sektionen für 14 weitere Sportarten.

Die Steiermärkische Elektrizitäts-AG (STEG) wird gegründet. 1992 verkauft der Schweizer Bankverein seinen 98-Prozent-Anteil an den Verbund, der davon 29 Prozent an die STEWEAG weitergibt.

Bei Assuan am Nil wird der größte Staudamm der Welt eingeweiht. An der Fertigstellung des Bauwerkes haben 25.000 Menschen vier Jahre lang gearbeitet. 

Auf dem Markusplatz in Venedig wird der Grundstein für den Neuaufbau des Campanile von San Marco gelegt. Das Wahrzeichen der Stadt war im Juli 1902 eingestürzt.

In Paris startet eine Rad-Rundfahrt durch Frankreich, die über sechs Etappen in einem Zeitraum von drei Wochen führt. An dieser ersten „Tour de France“ nahmen 60 Fahrer teil.

Den Brüdern Orville und Wilbur Wright gelingt im US-Bundesstaat North Carolina der erste gesteuerte Motorflug. Das Fluggerät landet nach 35 Metern ohne nennenswerte Schäden. 

Gründung der „Kleinen Zeitung“ durch den „Katholischen Preßverein in der Diözese Graz-Seckau“. Heute erscheint die Zeitung mit 18 Regionalausgaben in der Steiermark und Kärnten.

Die Bergakademie in Leoben wird zur Montanistischen Hochschule erhoben und erlangte durch die Verleihung des Promotionsrechtes die völlige Gleichstellung mit den Technischen Hochschulen 

Die Steirischen Gußstahlwerke in Judenburg werden  gegründet. Neben einem Walzwerk wird der erste Elektrostahlofen in Österreich-Ungarn betrieben. Erzeugt wird vor allem Bau- und Werkzeugstahl.

Erste Wahlen zum Reichsrat nach der Einführung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts für Männer. Die Sozialdemokraten stellen die meisten Abgeordneten.

Die Produktion für das „Ford T“-Modell („Tin Lizzie“, die „Blechliesel“) – das erste Automobil, das auf automatisch angetriebenen Fließbändern hergestellt wurde – läuft an.  

Die Jahresversammlung der Österreichischen Friedensgesellschaft findet in Wien unter dem Vorsitz Bertha von Suttners statt, die 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis erhielt.