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Teil 4/3. Soziale Errungenschaften: "Es gab tiefe Brüche im Sozialstaat"

Michaela Tasotti, Historikerin am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Uni Graz, über Fortschritte und Einschnitte der Sozialpolitik.

Lesedauer: 2 Minuten

Aktualisiert am 07.03.2025

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war geprägt von Bevölkerungswachstum und Wirtschaftsaufschwung durch die Industrialisierung. Die breite Bevölkerung und Kleingewerbetreibende lebten aber im Schatten des Wohlstands. Wie hat der Staat auf diese Not reagiert? 

Tasotti: Als Reaktion begannen sich die staatlichen Institutionen intensiver mit sozialpolitischen Regulierungen zu beschäftigen. So kam es zu einem strengeren Arbeitnehmerschutz, beispielsweise durch die Novelle der Gewerbeordnung im Jahr 1885, die eine Beschränkung der Arbeitszeit von Kindern und Frauen vorsah. Diese Maßnahmen markieren die Anfänge der staatlichen Sozialpolitik in Österreich. Und auch wenn es noch kein ausgereiftes System der Sozialversicherung gab, wurden damals die Grundfesten für spätere Modelle gelegt. Darauf aufbauend kam es vor allem zu Beginn der Ersten Republik trotz schwieriger wirtschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen zu einem bemerkenswerten Ausbau der Sozialpolitik.

Wie haben sich die beiden Weltkriege auf das System ausgewirkt? 

Sie führten regelmäßig zu tiefen Brüchen im Sozialstaat.

Wie kann man sich das vorstellen?

Während des Ersten Weltkriegs kam es kriegsbedingt zu regressiven Tendenzen, beispielsweise wurde die davor eingeführte Maximalarbeitszeit wieder aufgehoben. Während des Zweiten Weltkriegs war man in den Fabrikshallen überhaupt einer militärischen Disziplin unterworfen.

Mit welchen gesellschaftlichen Folgen? 

Aufgrund der Notwendigkeit von Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie bekamen während des Kriegs und der frontdienstbedingten Abwesenheit der Männer und dadurch fehlende Arbeitskräfte auch vermehrt Frauen in Fabriken Jobs. Nach den Kriegen und der Rückkehr der Männer wurden sie aber sukzessive – beispielsweise durch stärkere arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen – wieder aus diesem Arbeitsmarkt gedrängt.

Portrait Michaela Tasotti
© Klaus Höfler Michaela Tasotti, Historikerin an der Uni Graz


Wie ging es nach dem Zweiten Weltkrieg weiter? 

Die Sozialpolitik musste sich damals zunächst auf die Grundversorgung der Bevölkerung und die Wiedereinführung demokratischer Strukturen konzentrieren. Erst nach und nach kam es zur Rückkehr zu österreichischen Regelungen und einem Festigen und Ausbau sozialstaatlicher Strukturen, beispielsweise durch die Einführung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes 1955 und die massive Expansion des Wohlfahrtsstaats unter dem damaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky in den 1970er-Jahren. 

Durch Gratis-Schulbus, Gratis-Schulbücher und das Abschaffen der Studiengebühren wurde damals versucht, Chancengleichheit zu schaffen. Ist das nachhaltig gelungen?

Im internationalen Vergleich liegt der „Sozialstaat Österreich“ weit vorne. Es gibt aber auch Schwachpunkte. Wie selten wo wird Bildung bei uns von der Familiengeschichte geprägt und vererbt. Akademikereltern haben studierende Kinder. Durchlässigkeit und Chancengerechtigkeit in diesem Bereich bleiben so eingeschränkt.   

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