Maßnahmenpaket für mehr Leistungsfreundlichkeit
Anlässlich ihres 175-Jahr-Jubiläums hat die WKO Steiermark eine umfassende Standortanalyse durchgeführt – und leitet daraus 100 Maßnahmen für die Zukunft ab.
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Von Klaus Höfler
Gerade einmal neun Jahre – von 1848 bis 1857 – dauerte der Bau der gesamten Südbahnstrecke von Wien bis Triest. Zum Vergleich: 1983 wurden erste detaillierte Pläne für den Semmeringbasistunnel vorgelegt. Nach ersten Trassengenehmigungsverfahren im Jahr 1989 und der Baugenehmigung 1994, zahlreichen Einsprüchen, Gerichtshofurteilen und Neuprojektierungen erfolgte der tatsächliche Baustart erst im Jahr 2012. Offizielle Inbetriebnahme des 27 Kilometer langen Tunnels: 2030.
Die Gegenüberstellung zwischen damals und heute zeigt eines der latenten Problemfelder, mit denen der Standort zu kämpfen hat – und woraus Wirtschaftskammerpräsident Josef Herk einen klaren Handlungsauftrag an die Politik ableitet: „Denn von Standortfaktoren wie der Infrastruktur sowie den Kosten der Energieinfrastruktur hängt die internationale Konkurrenzfähigkeit der hier ansässigen Unternehmen ab.“
Woher wir kommen
Denn gerade die – vergleichsweise – schlechte Erreichbarkeit treffen die Steiermark und Gesamtsüdösterreich massiv, was Einfluss auf die Innovationsperformance beziehungsweise deren ökonomische Nutzung vor Ort habe, mahnt Herk. Dazu kämen Digitalisierung, neue Mobilitätsformen, der demographische Wandel und globale Krisenherde, die viele Geschäftsmodelle grundlegend verändern.
Herausforderungen, die aber – blickt man auf die Vergangenheit – gerade in der Steiermark nicht neu sind. „Das Land hat eine enorm bewegte Wirtschaftsgeschichte hinter sich, die voll von Bruchstellen und Krisen ist, zeigt aber auch eine immer wiederkehrende Lösungskompetenz“, analysiert Historiker Thomas Krautzer vom Institut für Wirtschafts-, Sozial- und Unternehmensgeschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz.
Zusammen mit Eric Kirschner, Leiter der Abteilung Regionalökonomie und Strukturpolitik am Joanneum Research, und Ewald Verhounig, Leiter des Instituts für Wirtschafts- und Standortentwicklung (IWS), hat Krautzer im Auftrag der WK Steiermark eine umfassende Standortanalyse anlässlich des bevorstehenden 175-Jahr-Jubiläums der Wirtschaftskammer 2025 vorgenommen. Krautzer verweist auf wesentliche und bis heute wirksame Entwicklungsstränge. „Neben einer ersten Gründerwelle, die eine heute noch wirkende Substanz geschaffen hat, hat die Gründung der steirischen Universitätslandschaft am nachhaltigsten gewirkt“, so der Historiker. Aus teils tiefgreifenden Krisen wie jener der Verstaatlichten Industrie und den daraus folgenden Transformationen sei ein moderner, innovations- und forschungsgetriebener Wirtschaftstandort gewachsen.
Wo wir jetzt stehen
Kleiner sind die Herausforderungen aber nicht geworden. „Die steirische Wirtschaft und insbesondere die Industrie befinden sich seit rund zwei Jahren in einer Rezession“, bilanziert Kirschner: „Die Wettbewerbsfähigkeit ist, nicht zuletzt aufgrund von überdurchschnittlich hohen Lohnzuwächsen und teurer Energie im Vergleich zu den Konkurrenzregionen, gesunken.“ Gleichzeitig werde der demographische Wandel immer mehr zu einer zentralen Herausforderung, betont der erfahrene Regionalökonom. Ein weiteres Beschäftigungswachstum könne daher nur über qualifizierte Zuwanderung erreicht werden. „Aus diesem Grund fordern wir mehr internationales Recruiting und einen Abbau der Hürden für die Rot-Weiß-Rot-Karte“, fügt Herk hinzu.
Wohin wir sollten
Ihm dient die gesammelte Expertise als Grundlage für ein umfassendes Zukunftsprogramm, in dem insgesamt hundert Maßnahmen für eine leistungsfreundliche Steiermark zusammengefasst sind. Die Palette reicht von Standort- und Wettbewerbspolitik über die Bildung, den Arbeitsmarkt bis hin zur Innovation, Energie und Nachhaltigkeit sowie finanz- und infrastrukturpolitischen Maßnahmen. Das Konvolut sei auch als Aufgabenkatalog für die neue Bundes- und Landesregierung zu verstehen, so Herk. IWS-Chef Ewald Verhounig verweist diesbezüglich neben wirtschaftlichen Kerndaten vor allem auf ein entsprechendes Angebot an „Soft Skills“, die die Steiermark zu einem „Lebensstandort“ machen sollen. Dazu gehört neben harten Standortfaktoren auch eine Vielzahl an sogenannten weichen Standortfaktoren – Beispiel Kinderbetreuungsangebot. „In diesem Bereich Schlusslicht zu sein, ist keine Standortwerbung“, verweist Herk auf einen eklatanten Nachholbedarf der Steiermark im Vergleich zu anderen Bundesländern: Sowohl bei den Unter-3-Jährigen als auch bei der entsprechenden Versorgung der Kindergartenkinder liegt die Steiermark an letzter Stelle.
Deutliche Standortnachteile ortet Verhounig weiters im Bereich der Energiekosten. Die Systemnutzungstarife im Bereich Strom liegen, wenngleich historisch und strukturell bedingt, in de facto allen wirtschaftsrelevanten Netzebenen massiv über dem österreichischen Durchschnitt, kritisiert er. „Diesbezüglich und auch mit Blickrichtung auf den Ausbau der Energieinfrastruktur braucht es gesamtösterreichische Lösungen, etwa einen einheitlichen Netztarif sowie einen weitestgehend kostenneutralen Netzausbau, da die Energiewende nicht allein von der energieintensiven Wirtschaft getragen werden kann und die Steiermark in puncto Ausbaupotentiale natürlichen Beschränkungen unterliegt“, betont Verhounig.
Was der Standort braucht
„Die historisch gewachsene Krisenfestigkeit beziehungsweise Krisenlösungskompetenz ist eine durch und durch steirische Eigenschaft“, so Herk. Sie gelte es in den kommenden Jahren wiederzuentdecken, „wenn wir den Standort Steiermark erfolgreich in Richtung der kommenden Dekade bringen wollen“. Die Forderungen im Detail: www.wko.at/stmk/news/forderungskatalog
111,5 Prozent Plus gab es seit 1974 bei der Zahl der erwerbstätigen Frauen. Die Zahl der erwerbstätigen Männer nahm im selben Zeitraum nur um 14,7 Prozent zu.
124 Prozent Wachstum bei den im Dienstleistungssektor Beschäftigten gab es in der Steiermark in den vergangenen 50 Jahren.