Bonin im Bild
© IHS/Berger

„Man wird an vielen kleinen Schrauben drehen müssen“

IHS-Chef Holger Bonin drängt auf eine Budgetsanierung auch mit Unterstützung der Pensionisten, hält die Teilzeitdebatte für verengt und sieht das Binnenklima der Sozialpartnerschaft unter Druck.

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Aktualisiert am 09.01.2025

Die Politik ist mit Turbulenzen ins neue Jahr gestartet. Was bedeutet das für die Vertrauenswürdigkeit des Wirtschaftsstandorts?

Holger Bonin: Vertrauenswürdigkeit ist schwer zu beurteilen, was es aber auf jeden Fall bedeutet, ist zusätzliche Unsicherheit. Wir wissen ja weder, ob man in der neuen Konstellation zusammenkommt, noch, wie jetzt das wirtschaftliche Konsolidierungsprogramm aussieht. Denn die Wahlprogramme und Verlautbarungen insbesondere der FPÖ sind nicht so konkret und auch nicht so realistisch, dass das in der aktuellen Budgetsituationen wirklich funktionieren könnte. Ob sich jetzt Investoren und Konsumenten alleine auf das wohle Gefühl verlassen, es könnte jetzt eine wirtschaftsfreundlichere Politik gemacht werden als unter der zunächst vorhandenen Koalition, weiß ich nicht.

Die Drei-Parteien-Verhandler hatten sich auf einen siebenjährigen Budgetsanierungspfad verständigt. Sollte die mögliche neue FPÖ-ÖVP-Regierung stärker aufs Ausgabenbremspedal steigen?

Von einer Regierung, die einen doch umfassenden Reformanspruch hat und eine neue Politik für Österreich machen möchte, würde man sich erwarten, dass das Neue auch darin besteht, dass man sich wirklich auf langfristig strukturell wirkende Maßnahmen einigt, die über fünf oder sieben oder vielleicht auch über zehn Jahre hinausreichen. Denn gerade von dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, aber auch der Anforderungen durch den technologischen Wandel und der Notwendigkeit, irgendetwas für den Klimaschutz zu tun, steigen die Anforderungen. Und denen muss man sich stellen.

Die Zeit drängt jedenfalls: Am 21. Jänner gibt es ein Ratstreffen der Wirtschafts- und Finanzminister in Brüssel, wo ja erwartet wird, dass Österreich Vorschläge für Maßnahmen zur Senkung des Budgetdefizits vorlegt. Kann man das so einfach negieren?

Ich vermute, dass man – da es ja offenkundig keine handlungsfähige Regierung gibt, die so einen Sparplan vorlegen könnte – irgendeine Lösung findet, die gesichtswahrend für Österreich ist.

Wenn nicht, würde es ein Defizitverfahren der EU geben – für das Sie sich ausgesprochen haben. Warum?

Ja, ich habe mich für ein Defizitverfahren ausgesprochen, aber da muss man auf die Argumentation aufpassen: Nicht, weil man damit insgesamt weniger sparen muss – was wahrscheinlich die Motivation der SPÖ war, sich für das Defizitverfahren auszusprechen –, sondern um im laufenden Jahr eben nicht so viel sparen zu müssen, was bei einer eventuell anziehenden Konjunktur helfen würde. Man muss sich aber insgesamt dennoch ein großes Sparpaket vornehmen, wo 18 Milliarden ja eher die Untergrenze sind, die man über die nächsten Jahre braucht, wenn man noch irgendwelche Spielräume haben will, um Zukunftsprojekte voranzubringen.

Welche Ausgaben kann sich der Staat sparen beziehungsweise nicht mehr leisten?

Wenn es um langfristige Kostentreiber geht, sind das – insbesondere wenn man sich die Vorhersagen und demografische Alterung anschaut – das Gesundheitswesen und das Pensionssystem. Da wird man um strukturelle Reformen nicht umhinkommen. Und es ist das komplexe Thema der föderalen Beziehungen. Die Perspektive, dass es da zu Reformen kommen wird, ist eher negativ, weil meinem Eindruck nach weder die ÖVP noch die FPÖ ein starkes Interesse daran haben, sich da Konflikte mit der Landesebene einzuhandeln, die aber unausweichlich wären. 

Stichwort Pensionssystem: Wie kann eine Sanierung gelingen?

Durch die Erhöhung des effektiven Pensionsalters als kurzfristige Maßnahme. Ebenfalls diskussionswürdig wäre ein langsameres Ansteigen der Pensionen, auch unterhalb der Inflationsrate, um auch die aktuellen Pensionistinnen und Pensionisten an der Finanzierung des Systems zu beteiligen und nicht alles durch Schulden auf die junge Generation oder die künftigen Generationen zu übertragen.

Und bei Förderungen und Subventionen? Diesbezüglich ist Österreich ja talentiert, mit Gießkannen die Landschaften zu bewässern?

Es gibt da diese wunderbare lange Liste, die der Fiskalrat erstellt hat. Dass da Einsparungspotenziale vorhanden sind, lässt schon allein die Länge der Liste erkennen. Aber man kann da nicht generalisieren und es wäre nicht der richtige Ansatz, mit dem Rasenmäher durchs Budget zu gehen und überall irgendwie zehn Prozent zu kürzen. Vielmehr wird man wirklich jede einzelne dieser Förderungen durchgehen müssen. Ob das dann in der Praxis so einfach ist, ist fraglich, weil ja auch viele Förderungen zum Beispiel auch den Unternehmen zugutekommen, die man ja mit Sicherheit eher hofieren möchte. Umgekehrt ist das Streichpotenzial, wenn man sich allein auf den Sozialstaat beschränkt, bei den Pensionen nichts antastet und im Gesundheitswesen nicht weiterkommt, verhältnismäßig klein.

Weiter wie bisher ist aber wohl keine Option.

Man wird das politisch und praktisch nur lösen können, indem man an vielen, vielen kleinen Schrauben dreht und von allen ein bisschen was wegnimmt statt den großen Streichposten zu haben. Ein großer Posten wäre jedenfalls der Klimabonus, den man ganz oder zumindest teilweise streichen muss.

Ein OECD-Vergleich zeigt, dass die Arbeitszeit pro Erwerbstätigem in Österreich im langfristigen Trend überdurchschnittlich stark gesunken ist. Wir gelten bald als Teilzeitweltmeister. Ist das ein strukturelles oder mentales Problem? 

Diese Debatte ist sehr verengt, weil sie sich immer auf die wöchentliche Arbeitszeit bezieht. Ich glaube, wir müssen sehr viel genauer hinschauen und Angebote machen, wie wir die effektive Lebensarbeitszeiten verlängern. Wir sehen diesen Trend zur Teilzeit ja weltweit. Das hat mit veränderten Verhandlungsmöglichkeiten einer Generation von Digital Natives zu tun, die sehr viel besser über die Schlüsseltechnologien verfügen als die Älteren, die weniger Konkurrenz am Arbeitsmarkt haben – schlichtweg, weil die Jahrgangsstärken kleiner geworden sind – und die eine Erbengeneration ist, die von den Aufbauleistungen der vorigen Generationen profitiert. Und die es sich damit leisten kann, tatsächlich nicht mehr so viel arbeiten zu müssen. Daher wird man das bei den Besserqualifizierten nicht in die Box kriegen. Entscheidender ist daher die Flexibilisierung von Arbeitszeiten. Das ist gerade auch für die Vereinbarkeitsfrage ein wesentlicher Schlüssel. Da müssen Unternehmen noch sehr viel kreativer werden.

Was können Unternehmer selbst machen, um wettbewerbsfähig zu bleiben?

Jetzt zu sagen, werdet einfach mal innovativ oder so etwas, das ist auch nicht hilfreich. Ein wesentlicher Punkt ist, dass man schon durchaus bestehende Flexibilisierungspotenziale nutzt, also dass man strenger, schärfer verhandeln muss, was die Lohnkosten angeht. Denn die Verteilungskämpfe werden schärfer werden. In der aktuellen Situation ist die Lohnquote durch das schwache Wirtschaftswachstum und gleichzeitig inflationsbedingt hohe Lohnabschlüsse sprunghaft gestiegen. Also eigentlich nicht das, was die Benya-Formel erreichen soll, nämlich dass die Lohnquote stabil bleibt. Im Gegenteil. Da wird man also härtere Bandagen anlegen müssen.

Das bricht aber mit der langen Tradition der Sozialpartnerschaft.

Inwieweit so ein Traditionsbruch möglich ist, ist die Frage. Inwieweit der Umstand, dass jetzt auf einmal eine dritte Partei parallel da ist, das etablierte Modell der Sozialpartnerschaft, das ich nicht kleinreden will und das auch viele Vorteile hat, unter Druck bringen wird, wird man sehen.