"Es ist ein anderer Zugang zur Arbeit"
Eine junge Foodbloggerin und ein Friseurmeister mit 70-jähriger Berufserfahrung über ihr Verständnis von Arbeit, die Kunst des Abschaltens, Zielgruppen und Mundpropaganda und den Reiz der Selbständigkeit.
Lesedauer: 5 Minuten
Wie viele Stammkunden haben Sie?
Rudolf Megyeri: Ich schätze rund 200. Die meisten meiner Stammkunden, die mit mir alt geworden sind, sind ja mittlerweile schon am Friedhof.
Wie viele Follower haben Sie?
Bettina Ganglberger: Auf Instagram mehr als 43.000. Megyeri: Toll! Das interessiert mich. Wie lange machen Sie das schon? Ganglberger: Seit rund vier Jahren. Megyeri: Und wie kommt man auf so etwas? Ganglberger: Kochen und Fotografieren waren immer meine Hobbys. Dann habe ich begonnen, die Fotos vom Essen auf Instagram zu stellen. Zunächst habe ich mich dafür fast geniert und niemandem gesagt, was ich da mache. Aber das Interesse im Netz ist ziemlich schnell gestiegen. Mittlerweile sind es mehrere Standbeine. Ich produziere und verkaufe Lebensmittel, habe meinen Foodblog und biete Workshops an. Megyeri: Kann man davon leben? Ganglberger: Ja. Ich bin ein Start-up und will in Kürze expandieren.
Würden Sie online Lebensmittel kaufen?
Megyeri: Eigentlich nicht, aber wenn es so ausgefallene Pralinen wie ihre sind – warum nicht? Grundsätzlich finde ich aber, dass viel zu viel über das Internet gekauft wird. Da gehen vermeintliche Kunden ins Geschäft, probieren Schuhe – und kaufen dann im Internet. Wohin soll das führen?
Braucht umgekehrt ein Friseur einen Internetauftritt?
Ganglberger: Ich informiere mich schon übers Netz über diverse Angebote und orientiere mich an den Rezessionen und Bildern. Megyeri: Aber im Ort bringt Mundpropaganda mehr. Ganglberger: Wer ist Ihre Zielgruppe? Megyeri: Alle, kreuz und quer vom Kind bis zur Pensionistin.
Ganglberger
Wie viel Stunden arbeiten Sie?
Megyeri: Wir haben früher um sechs Uhr in der Früh begonnen, mittags durchgearbeitet und bis zum Abend weitergemacht. Da sind schon 50 Stunden zusammengekommen. Heute sind es nur noch drei Tage. Ganglberger: Ich kann das nicht so abgrenzen. Bei mir verschwimmen Freizeit und Beruf. Vieles, was ich privat anschaue, nutze ich als Inspirationsquelle.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Arbeit ausreichend wertgeschätzt wird?
Megyeri: Da treffen Sie eine Wunde. Wir haben die Preise kürzlich erhöhen müssen. Da haben sich wohlhabende Kunden dann wegen vier Euro aufgeregt. Aber dass ich meine Rente dazuzahlen muss, dass es sich im Geschäft ausgeht, das kann es ja auch nicht sein. Ganglberger: Nach außen hin glauben viele, dass das, was ich mache, keine Arbeit ist. Aber Storys zu filmen, Videos zu schneiden oder Rezepte zu entwickeln – das ist definitiv Arbeit. Bis ein 20-Sekunden-Video fertig ist, dauert es beispielsweise rund drei Stunden. Dazu kommen das Erstellen und Ausprobieren von Rezepten und die Herstellung meiner eigenen Produkte. Das kann auch von Montag bis Sonntag durchgehen. Anfangs war es schon komisch, für ein Hobby Geld zu bekommen. Mittlerweile gibt es fixe Tarife für die verschiedenen Leistungen.
Wenn Sie am Ende eines Tages das Geschäft zusperren: Nehmen Sie die Arbeit da „im Kopf“ mit nach Hause?
Megyeri: Man denkt schon nach, was gut gelaufen ist und was nicht hätte sein müssen. Aber ich habe viele andere Interessen. Diese Ablenkung ist wichtig. Ganglberger: Ich wünsche mir manchmal, den Beruf „wegschalten“ zu können. Aber es funktioniert nicht. Mir fällt es noch schwer, dass ich mir die Zeit nehme und mir erlaube, abzuschalten. Der Job ist immer dabei.
Eine 70-jährige Berufskarriere…
Megyeri: ... ist heute undenkbar. Aber es macht immer noch Spaß. Ganglberger: 70 Jahre erfolgreiches Unternehmertum sind schon bewundernswert. Das kann ich mir nur wünschen. In der Start-up-Szene ist man ja froh, wenn man die ersten Jahre übersteht.
Waren die ersten Jahre auch bei Ihnen die schwierigsten?
Megyeri: Mein Vater war sehr streng, bei anderen Lehrlingen hat er viel mehr durchgehen lassen. Aber ich hätte keinen anderen Vater und Lehrmeister haben wollen. Der hat gepasst.
Können Sie sich vorstellen, heute noch einmal mit einem Friseurgeschäft zu starten?
Megyeri: Nein, in der heutigen Zeit würde ich nicht mehr wollen. Aber das, was Sie machen, ist sicherlich interessant. Die Lebensmittelbranche ist ja unendlich.
Was ist der Reiz an der Selbständigkeit?
Ganglberger: Dass ich mir immer neue Projekte und Herausforderungen suchen kann. Dass brauche ich, sonst wird es mir zu langweilig. Thematisch werde ich wohl immer mit Essen und gesunder Ernährung zu tun haben, aber ich brauche die Abwechslung. Da bin ich am kreativsten und produktivsten. Immer dasselbe – das wäre mir zu fad. Megyeri: Dann dürfen Sie aber nie heiraten, da haben Sie immer denselben (lacht). Ganglberger: Aber ist Ihnen in 70 Jahren nie der Gedanke gekommen, etwas anderes zu probieren? Megyeri: Doch, immer wieder. Bei wem ist das nicht so? Aber am Ende hat es so gepasst.
Haben Sie den Eindruck, dass Jugendliche heute mit derselben Begeisterung arbeiten gehen wie früher?
Megyeri: Nein. Kein Vergleich. Man findet ja auch keine jungen Friseure mehr. Früher haben zehn Lehrlinge bei uns angefragt, heute kommt keiner mehr.
Warum ist das so? Sind die Jugendlichen nicht mehr so leistungsbereit?
Megyeri: Ich sage ja. Dass heute der Lehrling reinkommt und als Erstes fragt, ob die Arbeitswoche eh schon am Donnerstag endet: Das kann es ja nicht sein.
Ist dieses Bild den Jugendlichen gegenüber fair?
Ganglberger: Ich glaube nicht. Es ist eine andere Generation mit anderen Ansprüchen und einem anderen Zugang zur Arbeit. Megyeri: Ich habe mit 14 Jahren im Familienbetrieb begonnen und mit 23 Jahren die Meisterprüfung gemacht. Nach dem plötzlichen Tod meines Vaters habe ich das Geschäft mit 27 Jahren über Nacht übernehmen müssen und bin erst mit 34 Jahren das erste Mal auf Urlaub gefahren.
Können Sie sich vorstellen, dass sich jemand einen Beruf selbst beibringt, weil es gar keine Ausbildung gibt?
Megyeri: Heute gibt es da andere Möglichkeiten. Ich verfolge die Aktivitäten junger Unternehmer im Internet und denke mir: „Schau’, was die für gute Ideen haben!“ Oder wenn sich eine Sängerin plötzlich politisch einbringt wie diese Taylor Swift. Ganglberger: Sie kennen Taylor Swift?