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"Arbeitskräfteangebot ist der wirkliche Engpassfaktor"

Christoph Badelt ortet „politische Traumwelten“ und warnt vor einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit. Beim „Wirtschaftsforum Gleisdorf“ sprach der Vorsitzende des Fiskal- und Produktivitätsrats über...

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Aktualisiert am 10.10.2024

... den Wahlkampf: Mich hat der Unterschied zwischen den Traumwelten der Parteien und der Realität, in der wir uns befinden, schon sehr beunruhigt. Es wird ein schreckliches Erwachen geben, weil man irgendwann einmal die Wahrheit sagen wird müssen. Ich verstehe im vermeintlichen Kampf um Popularität, dass man im Wahlkampf in erster Linie darüber spricht, was man zusätzlich für alle möglichen guten Zwecke ausgeben und welche Abgaben man senken wird. Wenn Vorschläge zur Gegenfinanzierung gemacht wurden, dann waren die jedoch größtenteils völlig unvollständig oder nicht seriös.

... die aktuelle Konjunktur: Die Ausgangssituation ist nicht einfach, die wirtschaftliche Lage hat sich weiter eingetrübt. Gewisse Indikatoren zeigen seit dem Ende der Covid-Pandemie stark nach unten. Noch vor einem Jahr hat man mit einem Aufschwung ab Mitte 2024 gerechnet. Mit jeder Prognose ist er aber ein Stück nach hinten verschoben worden. So hat die Nationalbank ihre jüngste Prognose gegenüber jener im Juni um einen ganzen Prozentpunkt nach unten gesenkt. WIFO und IHS haben zuletzt ebenfalls deutlich nach unten korrigiert.

... das Budget: Der Fiskalrat hat als erstes davor gewarnt, dass wir heuer ein Defizit über drei Prozent haben werden. In der Zwischenzeit ist das Allgemeingut – nur nicht in den offiziellen Dokumenten des Finanzministeriums. Es gibt eine Faustregel: Ein Prozent Wirtschaftswachstum heißt ungefähr einen halben Prozentpunkt Budgetdefizit weniger. Wenn die Nationalbank mit ihrer Prognose recht hat, würde sich allein daraus also ein Defizit von nahezu vier Prozent ergeben. Wir werden also aufgrund der Höhe des Defizits ein echtes Budgetproblem haben – und es wird laut vorgelegten Prognosen in naher Zukunft auch nicht wesentlich zurückgehen. Das ist eine der schwierigsten Herausforderungen, der sich die neue Regierung stellen wird müssen. Man müsste den Grundsatz verfolgen, dass es überhaupt keine Zusatzausgaben ohne Gegenfinanzierung gibt.

... die Stimmung in der Unternehmerschaft: Die Lagebeurteilung und Erwartungen der Unternehmen haben sich seit Jahresbeginn verschlechtert. In der Industrie sind die Aussichten noch deutlich negativer. Sie steckt in einer Rezession. Die schlechte Lage der Industrie bestimmt ganz wesentlich die insgesamt sehr gedämpfte wirtschaftliche Entwicklung.

... Prognosen für 2025: Wir rechnen damit, dass es einen leichten Wirtschaftsaufschwung geben wird. Wir werden uns aber daran gewöhnen müssen, dass die Zeit der hohen Wachstumsraten vorbei ist – mit all den Konsequenzen, die das hat. Was beispielsweise den Energieverbrauch und damit die Umwelteinflüsse betrifft, sind es unfreiwillig positive Auswirkungen. Noch gravierendere Folgen hat es aber auf all die Wünsche, Hoffnungen und Forderungen, was wir in Zukunft machen und finanzieren wollen.

... Produktivität: Das Produktivitätswachstum ist deutlich zurückgegangen. Mit diesem Verlust einher geht eine Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Österreich liegt zwar über dem europäischen Durchschnitt, aber unter den skandinavischen Ländern und Benelux-Staaten, die auch klein sind und für uns eigentlich Benchmark sein sollten. Die geringe Stundenzahl, die pro Beschäftigtem gearbeitet wird – also der hohe Teilzeitanteil –, ist ein weiteres Problem. Da geht die österreichische Kurve rapid nach unten. Allerdings arbeiten die genannten Länder noch weniger.

... den Arbeitsmarkt: Langfristig ist das Arbeitskräfteangebot der wirkliche Engpassfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung – nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Es gibt aber wenige Maßnahmen als Reaktion auf den demografischen Wandel – von einer langfristigen Reorganisation des Pensionssystems sind wir meilenweit entfernt. Und wir brauchen massive Investitionen, um das Qualifikationsproblem zu lösen. Wir haben das Problem, dass wir viel zu viele junge Menschen verlieren, die in der Schule aus sprachlichen Gründen nicht mitkommen und dann den Weg Richtung angelernter oder keiner Arbeit einschlagen. Der Anteil der 15- bis 29-Jährigen, die nicht in Ausbildung und auch nicht im Beruf sind, liegt in Österreich bei 9,4 Prozent. Das ist europaweit zwar ganz gut – aber fast zehn Prozent! Das sind rund 80.000 junge Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in diese Kategorie fallen. Im Hinblick auf das notwendige Arbeitskräftepotenzial ist das ein Wahnsinn.

... die Regierungsbildung: Dass es schnell gehen wird, glaubt niemand. Die Parteien müssten sich vornehmen, mit dem unguten, zutiefst unmoralischen Populismus zu enden. Wenn man die gegenwärtige Lage aufrechterhält und keinerlei Reformen macht, haben wir künftig ein Megapro­blem. Meine Hoffnung ist, dass die Vernunft einkehrt und sich Kräfte finden, die sich auf die Lösung der großen Zukunftsfragen einigen. Das ist allerdings das genaue Gegenteil von Populismus.