Mehrfach in der Pflicht?
Wer ein Einkommen aus mehreren Erwerbstätigkeiten bezieht, ist auch mehrfach versicherungspflichtig. Welche Ärgernisse und Missverständnisse damit einher gehen und wie Lösungen aussehen könnten, wurde in der SV-Lounge diskutiert.
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Rund 15 Prozent der Selbstständigen in Österreich üben mehr als eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit aus. Bei den Bauern sind es sogar 33 Prozent. In Zahlen sind dies insgesamt rund 117.000 Unternehmer bzw. Landwirte, die ein Einkommen aus mehreren Erwerbstätigkeiten beziehen und daher auch mehrfach versicherungspflichtig sind. In Summe also eine stattliche Zahl an Versicherungspflichtigen, die sich damit auseinandersetzen müssen. Die Tendenz ist steigend, da unsere Arbeitswelt immer vielschichtiger wird. „Auch in dieser gestiegenen Komplexität muss die Garantie einer sozialen Absicherung erhalten bleiben”, ist Kasia Greco, Vizepräsidentin der WK Wien, überzeugt. Denn in Kraft getreten ist die gesetzliche Regelung zur Mehrfachversicherungspflicht im Jahr 1980 und wurde anschließend schrittweise eingeführt.
Der Grundgedanke dahinter ist, die soziale Treffsicherheit zu erhöhen und die Versicherungspflicht an der Summe der Einkommen pro Person zu bemessen. 2020 erfolgte eine dringend notwendige gesetzliche Nachschärfung, da bis zu diesem Zeitpunkt im Falle von mehreren versicherungspflichtigen Einkommen Beitragsvorschreibungen automatisiert über die Höchstbeitragsgrundlage hinaus eingefordert wurden. Für die Rückforderung war jedoch nach der bis Ende 2019 gültigen Rechtsgrundlage nur drei Jahre lang Zeit.
Schwellenwerte
Im Sinne der sozialen Treffsicherheit müssen für Einkommen erst ab einer gewissen Höhe Sozialversicherungsbeiträge bezahlt werden. Genauso gibt es auch eine Obergrenze - übersteigt das Einkommen in Summe diese Höchstbeitragsgrundlage, ist der Betrag, der über diese Grenze hinausgeht, sozialversicherungsbeitragsfrei. Im Jahr 2024 liegt diese Höchstbeitragsgrundlage bei 84.840 Euro brutto jährlich. Damit kann von einer Mehrfachversicherung im eigentlichen Wortsinn streng genommen nicht gesprochen werden. Vielmehr ist man bis zu dieser Höchstbeitragsgrundlage pflichtversichert. Bei einem Zusammentreffen von selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit - und damit der Zuständigkeit von zwei verschiedenen Versicherungsträgern - kann leicht der Überblick verloren gehen. Und genau das ist wohl des Pudels Kern - denn was Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Versicherungsbeiträgen betrifft, verortet man in der SV-Lounge Verbesserungsbedarf.
Übersichtlichkeit verbessern
„Gerade Selbstständige können, wenn die Vorschreibung kommt, oft nicht mehr nachvollziehen, wie sich die Beitragsvorschreibung zusammensetzt. Das Problem ist also die Transparenz”, bringt es Thomas Neumann von der BDO Austria Holding Wirtschaftsprüfung GmbH auf den Punkt. Neumanns Lösungsvorschlag ist ein Online-Konto für Selbstständige, in dem alle Pflichtversicherungsabgaben zusammengeführt und eingesehen werden können. Um die Nachvollziehbarkeit so einfach wie möglich zu machen, sollten die Daten zudem verständlich aufbereitet und unkompliziert auslesbar sein. Neumann: „Es sollte klar ersichtlich sein und so gestaltet, dass sich auch Menschen, die keine einschlägige Ausbildung haben, damit auskennen.” Allerdings ist ein solches Online-Konto schwierig umzusetzen, da sich die maßgeblichen Träger technisch abstimmen müssen, gibt Neumann abschließend zu bedenken.
Internationaler Kontext
Doch wie ist es eigentlich in anderen europäischen Ländern bestellt, wenn es um die Versicherungspflicht mehrerer Einkommen geht? Hier zeigt sich, dass die österreichische Lösung im internationalen Kontext um einiges fairer ist als die anderer Staaten. „Das österreichische Recht bietet eigentlich eine sehr differenzierte Lösung”, so Peter Schöffmann von der Wirtschaftsuniversität Wien: „Auch so ein umfassendes System der sozialen Sicherheit gibt es nicht in allen Staaten.” Der Wissenschaftler widmete sich schwerpunktmäßig den diesbezüglichen Ansätzen und Lösungen quer durch Europa. Sein Fazit: In vielen der von ihm untersuchten Länder ist Mehrfachversicherung kein Thema, einfach weil es ohnehin keine Sozialversicherungspflicht für Selbstständige gibt. Als Beispiele dafür dienen Belgien, die Niederlande oder die Tschechische Republik. In anderen Ländern - darunter Frankreich - gibt keine Höchstgrenze in der Beitragsleistung für Selbstständige.
Fazit
Damit ist die heimische Lösung weitaus besser als die in anderen Staaten. Trotzdem sind Beitragsvorschreibungen zu intransparent und daher oft schwierig nachzuvollziehen. „Gerade Mehrfachversicherte zweifeln daher oft an der Beitragsgerechtigkeit der Sozialversicherung. Mehrfachversicherungen verwirren und gehören vereinfacht. Sozialversicherungen müssen verständlich und effektiv sein und auch so von den Versicherten wahrgenommen werden”, so Greco abschließend.