„Aus“ für Mehrfachbestrafungen bei Verwaltungsvergehen - Wie kann das Kumulationsprinzip im Verwaltungsstrafrecht entschärft werden?
Nachbericht zur Veranstaltung vom 27.1.2016 in der Wirtschaftskammer Österreich
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„Wir wollen Lösungen. Wir wollen nicht sehen was alles nicht geht“. Mit diesen Worten eröffnete Wirtschaftskammer-Präsident Dr. Christoph Leitl die Veranstaltung zum Thema Mehrfachbestrafungen im Rudolf-Sallinger Saal der Wirtschaftskammer Österreich.
„Kommen mehrere Verwaltungsübertretungen zusammen, dann werden die Strafen addiert. Es kommt dadurch zu einer Mehrfachbestrafung für oftmals nur ein einziges Vergehen“, so Leitl. Als Beispiel nannte er den Fall eines Unternehmers, der durch einen gleichartigen Fehler in der Lohnverrechnung zu einer Verwaltungsstrafe von insgesamt 11.000 Euro verurteilt wurde, obwohl die Unterschreitung des Grundlohns insgesamt nur 153 Euro ausmachte. „Bei einem Verstoß soll es künftig auch nur mehr eine Strafe geben!“ formulierte Präsident Leitl seine Forderung.
Ein erster Erfolg konnte bereits erzielt werden: Einige Tage zuvor haben Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und Präsident Christoph Leitl die weitgehende Abschaffung des Kumulationsprinzips im Verwaltungsstrafrecht als eine „zentrale Maßnahme“ des Fünf-Punkte-Entlastungspakets für Unternehmen vorgestellt. Und noch vor dem Sommer soll es einen Begutachtungsentwurf dazu geben.
„Just in time versammeln wir uns heute hier, um über diesen Meilenstein in der Verwaltungsreform zu diskutieren“ schloss Präsident Leitl seine Eröffnungsrede und übergab das Podium an den ersten Vortragenden, Dr. Albin Larcher, Vizepräsident des Landesverwaltungsgerichts Tirol.
Die Ressourcenverschwendung im Verwaltungsverfahren
Dr. Albin Larcher gewährte in seinem Vortrag einen fundierten Überblick über die Unstimmigkeiten in der Rechtsprechung und die damit einhergehenden praktischen Probleme. Das Kumulationsprinzip führt dazu, dass jedes Vergehen einzeln geahndet wird. Idente Sachverhalte werden in getrennten Verfahren bearbeitet, in der Praxis kommt es dadurch nicht nur zu Mehrfachbestrafungen für die Betroffenen sondern auch zu unnötigem Aufwand für die Behörden. Durch die Abschaffung des Kumulationsprinzips könnten Vergehen in einem konzentrierten Verfahren zusammen abgehandelt werden.
Dr. Larcher sprach sich für eine Anwendung des im Justizstrafrecht geltenden Absorptionsprinzips aus. Demnach wird beim Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen nur eine Strafe verhängt. Diese Strafe ist nach dem Gesetz zu bestimmen, das die höchste Strafe androht. Es wird nur mehr ein einziges Verfahren durchgeführt, gegebenenfalls für mehrere Verwaltungsübertretungen gleichzeitig.
Gesetzliche Umsetzung des Grundsatzes „Ein Vergehen - eine Strafe“
Wie eine Änderung des Verwaltungsstrafgesetzes aussehen könnte, legte Univ.-Prof. Dr. Gerhart Wielinger dar. Sein Vorschlag zielt auf eine weitgehende Abschaffung des Kumulationsprinzips.
„Wenn mehrere Taten gleichsam verbunden sind, nämlich durch die Gleichartigkeit der Begehungsform, die zeitliche Kontinuität zwischen den Einzelhandlungen, die Ähnlichkeit der äußeren Begleitumstände oder die Ausnutzung der selben Gelegenheit, sollen sie als Einheit qualifiziert und durch eine einzige Strafe und ein gemeinsames Verfahren im Sinne des Absorptionsprinzips geahndet werden“, so Wielinger.
Eine völlige Angleichung des Verwaltungsstrafrechts an das Justizstrafrecht sei jedoch aufgrund der Komplexität der Materie nicht durchführbar. Werden mehrere Verwaltungsübertretungen begangen, deren Vollziehung in die Zuständigkeit unterschiedlicher Kompetenzträger fällt, seien eine getrennte Durchführung der Verfahren und die Verhängung von einzelnen Strafen im Sinne des Kumulationsprinzips unumgänglich.
Podiumsdiskussion
Unter der Moderation von Dr. Christoph Kotanko, Wien-Korrespondent der OÖ Nachrichten, diskutierten Volksanwalt Dr. Peter Fichtenbauer, Vorstandsdirektor der Flughafen Wien AG Dr. Günther Ofner, Frau Mag. Eva Unger von der Abteilung Rechtsdienste des ÖAMTC sowie die beiden Referenten Dr. Albin Larcher und Prof. Gerhart Wielinger.
Für Volksanwalt Dr. Fichtenbauer führt die Anwendung des Kumulationsprinzips in der Praxis zu einem regelrechten Missstand in der Verwaltung, den es so rasch wie möglich zu beseitigen gilt.
Dr. Ofner führte aus, dass das Kumulationsprinzip im betrieblichen Alltag zu existenzbedrohenden Strafen für Unternehmer führen kann. Als Beispiel nannte er eine Flugverspätung, wodurch es für die Flughafenmitarbeiter zur Überschreitung der Höchstarbeitszeit kommen kann. Jede einzelne Arbeitszeitüberschreitung eines Mitarbeiters kann in diesem Fall einen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz darstellen.
Mag. Unger vom ÖAMTC betonte, dass die unverhältnismäßig hohen Strafen als Schikane empfunden werden. Dadurch tritt der präventive Charakter der Strafe vollkommen in den Hintergrund.
Im Downloadbereich unter diesem Beitrag finden Sie eine Kurzzusammenfassung des Gutachtens von Univ.-Prof. Dr. Wielinger.