Halbfertige Jacke mit Maßband des Schneiders an Schaufensterpuppe vor grauem Hintergrund
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E-Commerce Rechtsfrage #4: Besteht ein Rücktrittsrecht, wenn die Ware eigens für den Verbraucher bestellt oder angefertigt wird?

Lesedauer: 4 Minuten

25.09.2024

Ein Vorhang nach Maß, ein personalisiertes T-Shirt oder ein Schmuckstück, in das die Initialen des Kunden graviert werden: Viele Onlineshop-Betreiber bieten Verbrauchern die Möglichkeit, die Ware nach ihren Wunschvorstellungen anfertigen oder personalisieren zu lassen. Ein Rücktritt des Verbrauchers wäre in solchen Fällen besonders nachteilig für den Unternehmer, da er die Ware eigens für den Kunden angefertigt hat. In diesem Beitrag beantworten wir die Frage, in welchen Fällen die Ausnahme vom Rücktrittsrecht beim Kauf von „nach Kundenspezifikation angefertigte Waren“ zur Anwendung kommt. 

Gesetzliches Rücktrittsrecht bei Fernabsatzverträgen

§ 11 des Fern- und Auswärtsgeschäfte-Gesetz (FAGG) räumt dem Verbraucher ein 14-tägiges Rücktrittsrecht bei im Fernabsatz geschlossenen Verträgen (z.B. Kauf im Onlineshop) ein, das ohne Angabe von Gründen ausgeübt werden kann. Darüber ist der Verbraucher vor Vertragsabschluss im Rahmen einer Rücktrittsbelehrung zu informieren. Die Rücktrittsbelehrung muss auch die Information beinhalten, in welchen Ausnahmefällen dem Verbraucher kein Rücktrittsrecht zusteht. Diese vorvertragliche Belehrung über das Nichtbestehen eines Rücktrittsrechts ist wesentlich: Fehlt diese Information in der Rücktrittsbelehrung, so kann sich der Verbraucher weiterhin auf sein gesetzliches Rücktrittsrecht berufen, selbst, wenn ihm dieses aufgrund einer Ausnahme (nach § 18 FAGG) gar nicht zustünde.

Ausnahmen vom Rücktrittsrecht

Die Ausnahmen vom Rücktrittsrecht sind in § 18 FAGG taxativ - also abschließend - aufgezählt. Das heißt im Umkehrschluss, dass dem Verbraucher bei allen anderen Kauf- oder Dienstleistungsverträgen, die im Fernabsatz geschlossen werden, ein Rücktrittsrecht zusteht. Eine Ausnahme vom Rücktrittsrecht besteht beispielsweise bei Waren „die nach Kundenspezifikationen angefertigt werden oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten sind“ (§ 18 Abs 1 Z 3 FAGG). Bestellt ein Verbraucher im Online-Handel eine Ware, die nach seinen Spezifikationen angefertigt wurde oder eindeutig auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist, so steht ihm hierfür kein Rücktrittsrecht zu – er kann sie also nicht zurückgeben. 

Was versteht man unter Kundenspezifikation?

Nach Kundenspezifikation angefertigte Waren sind definiert als „Waren, die nicht vorgefertigt sind und für deren Herstellung eine individuelle Auswahl oder Entscheidung durch den Verbraucher maßgeblich ist“ (Art. 2 Nr. 4 der Verbraucherrechte-RL). Durch die Spezifikation wird die Ware einzigartig und für den Unternehmer wirtschaftlich wertlos, wenn sie vom Kunden zurückgegeben wird, da sie wegen der besonderen Gestaltung nicht oder nur mit erheblichem Preisnachlass weiterverkauft werden kann.

Der Ausnahmetatbestand der Kundenspezifikation ist eng auszulegen (vgl Leitfaden GD Justiz zur Verbraucherrechte-RL, 65).

Beispiele für Kundenspezifikationen:

  • Maßanfertigungen, z.B. nach Maß gefertigtes Möbelstück/Vorhänge, Maßanzug
  • Nach Wunsch des Verbrauchers gravierter Schmuck
  • Visitenkarten mit den Kontaktdaten des Verbrauchers
  • T-Shirts mit personalisiertem Aufdruck
  • usw.

Keine Kundenspezifikation liegt allerdings vor, wenn der Kunde Waren nach seinen Wünschen online mittels Konfiguratoren zusammenstellt, indem er vom Unternehmer angebotene Standardoptionen wählt, wie z.B. Farben auswählt oder eine Möbelgarnitur aus Standardelementen zusammenstellt. In diesem Fall liegt keine Ausnahme vom Rücktrittsrecht vor und der Verbraucher hat das Recht, binnen 14 Tagen vom Vertrag zurückzutreten.

Nach Rechtsprechung des EuGH besteht die Ausnahme vom Rücktrittsrecht unabhängig davon, ob der Unternehmer mit der Herstellung des individualisierten Produkts bereits begonnen hat oder nicht. Verbraucher sind über das Bestehen bzw. Nichtbestehen eines Rücktrittsrechts und die dazugehörigen Bedingungen vor Vertragsabschluss zu informieren. Es wäre daher unvereinbar, Verbraucher umfassend vorvertraglich zu informieren und gleichzeitig das Rücktrittsrecht an ein zukünftiges Ereignis (Beginn mit der Herstellung) zu binden, das vom Willen des Unternehmers abhängt (EuGH 21.10.2020, C-529/19, (Möbel Kraft)).

Ob eine Ware „nach Kundenspezifikationen angefertigt oder eindeutig auf die persönlichen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten“ ist, ist im Einzelfall zu beurteilen. Waren, die eindeutig unter diese Ausnahme fallen sind z.B. Maßanfertigungen oder personalisierte Waren (z.B. Ring mit individueller Gravur). Bei Konfiguratoren wird es darauf ankommen, wie viele Optionen zur Verfügung stehen. Bei der Beurteilung sollte man sich den Zweck dieser Ausnahme vor Augen halten und sich die Frage stellen: Ist die Ware derart auf die persönlichen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten, dass es dem Unternehmer gar nicht oder nur mit erheblichem Aufwand bzw. Preisnachlass möglich wäre, diese weiterzuverkaufen?

Fallen auch Waren, die auf Kundenwunsch bestellt wurden, unter die Ausnahme des Rücktrittsrechts nach §18 Abs 1 Z 3 FAGG?

Nein, solange die Ware nicht nach Kundenwünschen angefertigt wurde, kommt auch nicht die Ausnahmeregelung des § 18 Abs 1 Z 3 FAGG zum Tragen. Der Kunde kann daher auch in diesem Fall, unter Einhaltung der Bestimmungen des FAGG, vom Vertrag zurücktreten.

Die Ausnahme soll unbillige Ergebnisse vermeiden: Würde man dem Verbraucher ein Rücktrittsrecht bei Waren einräumen, die nach seinen speziellen Wünschen angefertigt wurden, so würde der Unternehmer einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil im Falle eines Rücktritts erleiden, da er die Ware entweder gar nicht oder nur mit erheblichem Aufwand bzw. Preisnachlass weiterveräußern könnte. 

Bei Waren, die standardmäßig im Webshop angeboten werden, aber nicht lagernd sind und extra für den Kunden bestellt werden müssen (häufiger Grund: geringer Lagerumschlag der Ware), fallen daher nicht unter die genannte Ausnahme vom Rücktrittsrecht, da es an der erforderlichen Kundenspezifikation fehlt. Zudem können standardisierte Waren grundsätzlich ohne Probleme weiterverkauft werden und daher ist in diesem Fall der Zweck dieser Ausnahme – Schutz des Unternehmers vor einer unzumutbaren Rückabwicklung des Vertrages – nicht erfüllt. 

Der Unternehmer muss die Kundenspezifikation beweisen können.

Tipps zum Rücktrittsrecht nach FAGG

  • Informieren Sie Ihre Kunden rechtzeitig – also vor Vertragsabschluss – in Ihrer Rücktrittsbelehrung über die Ausnahmen vom Rücktrittsrecht. Es ist sinnvoll, diese Information auch auf der Produktdetailseite zur Verfügung zu stellen. So können Sie in der Regel sicherstellen, dass sich Ihre Kunden darüber bewusst sind, dass die bestellten Waren nicht zurückgenommen werden. 
  • Wenn Sie in Ihrem Onlineshop standardisierte Waren präsentieren, die Sie nicht lagernd haben, sondern extra für den Kunden bestellen müssen, dann sollten Sie sich darüber bewusst sein, dass dem Kunden ein 14-tägiges Rücktrittsrecht zusteht. Die genannte Ausnahme greift in diesen Fällen nicht. 
  • Ob eine nach Kundenwünschen angefertigte Ware unter die genannte Ausnahme fällt, ist im Einzelfall zu entscheiden. Wenn Sie sich nicht sicher sind, ob Ihre Waren unter diese Ausnahmen fallen, nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf.

Sie haben noch weitere Fragen zum Thema E-Commerce? Wir sind für Sie da! 

Jacqueline Eder, LL.B.
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