
Krisensicher in Italien: Aktuelle Entwicklungen im Insolvenz- und Arbeitsrecht
Neue Verfahren zur Krisenbewältigung und Arbeitsrechtssicherheit für Unternehmen in Italien
Lesedauer: 6 Minuten
ItalienDieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung unserer Vertrauenskanzlei Grigolli & Partners, die Ihnen für nähere Auskünfte gerne zur Verfügung steht.
Krisensicher: Italienisches Insolvenz- und Arbeitsrecht im Fokus
In der heutigen Unternehmenslandschaft sind insolvenz- und arbeitsrechtliche Fragestellungen von entscheidender Bedeutung. Wirtschaftliche Unsicherheiten, verschärfte regulatorische Anforderungen und komplexe arbeitsrechtliche Strukturen stellen Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Besonders in Krisenzeiten gilt es, rechtliche Risiken frühzeitig zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um finanzielle Stabilität und unternehmerische Handlungsfähigkeit zu wahren.
Die Verzahnung von Insolvenz- und Arbeitsrecht zeigt sich insbesondere bei der Restrukturierung von Unternehmen, der Absicherung von Arbeitnehmeransprüchen und der Vermeidung sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Risiken. Gerichtliche Entscheidungen auf nationaler und europäischer Ebene prägen zunehmend die Praxis und erfordern eine vorausschauende Anpassung unternehmerischer Strategien.
Unternehmenskrise und Insolvenz
Im Jahr 2024 sind in Italien laut CRIBIS 9.162 Insolvenzverfahren registriert worden, im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 19,7%. Die Lombardei, das Latium, Kampanien und Venetien sind die am stärksten betroffenen Regionen und der Handels- und der Dienstleistungssektor sind die notleidendsten Branchen. Angesichts dieser aktuellen, aber auch der Zahlen aus den vergangenen Jahren musste der italienische Gesetzgeber handeln und hat bedeutende gesetzliche Reformen in die Wege geleitet, die das Insolvenzrecht, die Zwangsvollstreckung und alternative Streitbeilegungsmethoden grundlegend verändert haben. Ziel dieser Reformen ist es, die Effizienz des Justizsystems zu steigern, den Gläubigerschutz zu stärken und Unternehmen in der Krise frühzeitig Unterstützung zu bieten.
Eine der wichtigsten Reformen ist der Kodex der Unternehmenskrise und der Insolvenz (Codice della Crisi d’Impresa e dell’Insolvenza, Legislativdekret Nr. 14/2019), der am 15. Juli 2022 in Kraft trat und die alte Insolvenzordnung (Legge Fallimentare) ersetzte. Ziel der Reform ist es, rechtzeitige und wirksame Lösungen für Unternehmenskrisen zu ermöglichen, wobei alternative Maßnahmen gegenüber der Insolvenz bzw. der jetzt so genannten gerichtlichen Liquidation bevorzugt werden.
Alternative Verfahren zur gerichtlichen Liquidation
Zu den wichtigsten neuen Verfahren gehören:
- Verhandlungsverfahren zur Krisenbewältigung (Composizione negoziata della crisi): ein Verfahren, das es Unternehmen ermöglicht, mit Unterstützung eines unabhängigen Experten eine außergerichtliche Einigung mit Gläubigern zu erzielen und eine Insolvenz zu vermeiden.
- Vereinfachtes Vergleichsverfahren (Concordato semplificato): eine schnelle und vereinfachte Restrukturierungsmöglichkeit für Unternehmen in der Krise.
- Sanierungspläne mit Bescheinigung (Piani attestati di risanamento): Instrumente, die es Unternehmen ermöglichen, einen von einem unabhängigen Experten geprüften Sanierungsplan umzusetzen, um ihre finanzielle Lage zu stabilisieren und die Geschäftskontinuität zu sichern.
Zusätzlich regelt der Kodex folgende Verfahren:
- das reguläre Vergleichsverfahren (Concordato preventivo): ein gerichtliches Restrukturierungsverfahren, das es einem zahlungsunfähigen Unternehmen ermöglicht, seinen Gläubigern einen Restrukturierungsplan vorzulegen, um eine Liquidation zu vermeiden.
- Schuldenrestrukturierungsvereinbarungen (Accordi di ristrutturazione dei debiti): Abkommen zwischen dem Unternehmen und einem bedeutenden Teil der Gläubiger zur Neuordnung der Schulden und zur Vermeidung der Liquidation.
Die alternativen Verfahren zur gerichtlichen Liquidation haben das Ziel, das Unternehmen zu erhalten und eine bessere Befriedigung der Gläubiger zu gewährleisten. Sie sehen in der Regel eine Verhandlung zwischen Schuldner und Gläubigern vor, unterstützt von unabhängigen Experten, und können eine gerichtliche Bestätigung (Omologazione) erfordern. Einige dieser Verfahren (Concordato preventivo, Accordi di ristrutturazione, Concordato semplificato) beginnen mit einem einzigen Antrag beim Gericht, was eine flexible Entwicklung, abhängig von den Bedürfnissen des Schuldners und den Anträgen der Gläubiger, ermöglicht.
Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen (italienische Anfechtungsklage und EU-Recht)
Ein wichtiger Aspekt in Insolvenzverfahren ist die Anfechtung von Rechtshandlungen (Azione revocatoria fallimentare). Der Kodex sieht vor, dass Zahlungen und Rechtshandlungen, die in bestimmten Restrukturierungsverfahren vorgenommen werden, nicht angefochten werden können. Dies gilt insbesondere für:
- Zahlungen, die im Rahmen eines bescheinigten Sanierungsplans erfolgen,
- Zahlungen im Rahmen eines gerichtlich bestätigten Vergleichsverfahrens oder einer Schuldenrestrukturierungsvereinbarung,
- Zahlungen, die nach Einreichung eines Restrukturierungsantrags erfolgen.
Dennoch bleibt der Verdachtszeitraum (periodo sospetto) relevant. Dabei handelt es sich um den Zeitraum vor der Eröffnung der gerichtlichen Liquidation, in dem bestimmte Transaktionen anfechtbar sind. Für gewöhnliche Zahlungen beträgt dieser Zeitraum sechs Monate.
Die Anfechtbarkeit unterliegt grundsätzlich der Rechtsordnung des Gerichtsstaates, das das Insolvenzverfahren eröffnet. Allerdings sieht Artikel 16 der EU-Insolvenzverordnung (VO 2015/848) eine Ausnahme vor: wenn eine Transaktion nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates nicht anfechtbar ist, kann sie nicht nach italienischem Recht angefochten werden. in dieser Hinsicht ist es wesentlich, die entsprechende Einrede rechtzeitig zu erheben.
Die Reform der Zwangsvollstreckung – Artikel 492-bis ZPO
Eine weitere bedeutende gesetzliche Neuerung des Jahres 2022 betrifft die Vollstreckung. Die sogenannte Cartabia-Reform hat das Verfahren zur elektronischen Vermögensrecherche des Schuldners (ricerca telematica dei beni del debitore) gemäß Artikel 492-bis der italienischen Zivilprozessordnung (codice di procedura civile, c.p.c.) verbessert. Dank der Reform kann der Gerichtsvollzieher auf Antrag eines Gläubigers mit vollstreckbarem Titel direkt auf öffentliche Datenbanken (z. B. italienische Steuerbehörde, Sozialversicherungsanstalt INPS, Kfz-Register PRA, Katasteramt) zugreifen. Dadurch können Konten, Gehälter, Immobilien und andere pfändbare Vermögenswerte identifiziert und sofort gepfändet werden.
Dieses System verbessert den Schutz der Gläubiger erheblich, indem es ihnen den Zugriff auf relevante Informationen erleichtert und die Erfolgsaussichten einer Zwangsvollstreckung erhöht.
Alternative Streitbeilegung: Mediation und Anwaltsverhandlung
Um das Justizsystem effizienter zu gestalten, fördert der Gesetzgeber in Italien zunehmend alternative Streitbeilegungsmethoden wie Mediation und Anwaltsverhandlung (negoziazione assistita).
Die Mediation (Mediazione) ist ein außergerichtliches Verfahren, bei dem ein neutraler Mediator den Parteien hilft, eine Einigung zu erzielen. Sie ist in bestimmten Fällen obligatorisch (z. B. bei Nachbarschafts- oder Immobilienstreitigkeiten). Eine Einigung kann eine vollstreckbare Wirkung haben, wenn sie von Anwälten unterzeichnet wird.
Die Anwaltsverhandlung (Negoziazione assistita) ist eine außergerichtliche Verhandlung, bei der die Parteien von ihren eigenen Anwälten vertreten werden, ohne dass ein unabhängiger Mediator beteiligt ist. Sie ist in bestimmten Fällen gesetzlich vorgeschrieben (z. B. bei Verkehrsunfällen) und kann ebenfalls eine vollstreckbare Wirkung haben.
Arbeitsrecht
Unternehmen stehen oft vor der Herausforderung, die Rollen und rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Führungskräfte korrekt einzuordnen. Besonders heikel wird es, wenn eine Person gleichzeitig als Geschäftsführer mit einem Arbeitsvertrag und als Verwaltungsratsmitglied tätig ist. In solchen Fällen sind nicht nur unternehmerische, sondern auch steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Aspekte zu berücksichtigen.
Geht das: gleichzeitig leitender Angestellter und Geschäftsführer?
Ein klassischer Fall betrifft die Konstellation, dass dieselbe natürliche Person zugleich als Generaldirektor mit einem Arbeitsvertrag (oft in leitender Position) und als Verwaltungsratsmitglied des arbeitgebenden Unternehmens fungiert. Eines der letzten Urteile des Kassationshofes hierzu betraf einen Fall, in dem das Finanzamt von dem Unternehmen die Rückzahlung der von der Firma steuerlich geltend gemachten Beträge für Arbeitskosten in Bezug auf zwei Gesellschafter/Geschäftsführer/leitende Angestellte gefordert hatte. Der Kassationshof gab der Behörde Recht, indem er feststellte, dass die Eigenschaft als Arbeitnehmer (leitender Angestellter) eines Unternehmens unvereinbar sei mit dem Amt des Vorsitzenden des Verwaltungsrats oder eines Verwaltungsratsmitglieds mit Weisungsbefugnis. Es bestehe keine Unterordnung (und damit ein Arbeitsverhältnis), wenn dieselbe Person im Auftrag des Unternehmens Vertretungs-, Leitungs-, Kontroll- und Disziplinaraufgaben ausübe. Der Arbeitnehmer könne nicht abhängig von sich selber sein. Dieses Prinzip wird in der italienischen Rechtsprechung bereits seit 1994 bestätigt. Erlaubt ist die „Vereinigung“ beider Eigenschaften in einer Person, wenn konkret festgestellt wird, dass Tätigkeiten ausgeübt werden, die sich von denen des gesellschaftlichen Amtes unterscheiden, und der Arbeitnehmer tatsächlich einer hierarchischen und disziplinarischen Über- bzw. Unterordnung durch Dritte (zum Beispiel durch das Verwaltungsorgan) unterliegt.
Sozialversicherungs- und steuerrechtliche Risiken?
Werden die Vorgaben des Gerichts nicht sorgfältig beachtet, besteht nicht nur das oben hervorgehobene steuerliche Risiko, sondern auch das Risiko, dass der Rentenantrag des Arbeitnehmers von der Sozialversicherung abgelehnt wird. Unternehmen müssen daher mit Unterstützung eines Fachmanns sorgfältig prüfen, ob die Befugnisse des Verwaltungsratsmitglieds mit seinen Aufgaben als leitender Angestellter kompatibel sind, um unangenehme oft Jahre dauernde Auseinandersetzungen über das Bestehen eines abhängigen Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.
Auch der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil aus dem Jahre 2022 zu einem ähnlichen Thema Stellung genommen hat. Das Gericht stellte fest, dass die Richtlinie 2008/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates es der nationalen Rechtsprechung untersagen würde, einem Verwaltungsratsmitglied den Status eines abhängig beschäftigten Arbeitnehmers abzusprechen, wenn dies dazu führen würde, dass die von der Richtlinie selbst eingeräumte Garantie im Falle einer Insolvenz des arbeitgebenden Unternehmens entfällt.
Rat von Fachleuten einholen
Ein vorausschauender und rechtskonformer Umgang mit insolvenz- und arbeitsrechtlichen Fragestellungen ist für Unternehmen heute unerlässlich. Die jüngsten Reformen in Italien zeigen, wie entscheidend eine frühzeitige und fundierte Auseinandersetzung mit diesen Themen ist, um Risiken zu minimieren und langfristige Stabilität zu sichern. Angesichts der komplexen Rechtslage ist es unerlässlich, rechtlichen Rat von erfahrenen Fachleuten einzuholen, um fundierte Entscheidungen zu treffen und unangenehme Überraschungen zu vermeiden. Nur wer rechtliche Entwicklungen aufmerksam verfolgt und sich professionell beraten lässt, kann in einem zunehmend anspruchsvollen wirtschaftlichen Umfeld erfolgreich bestehen.