Wien radelt in die Zukunft
In Wien wird das Fahrrad als Fortbewegungs- und Transportmittel immer wichtiger. Der Radwegausbau schreitet zügig voran - das gefällt aber nicht allen. Wie es weitergeht.
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Im Bild: Roland Garber, Ex-Radrennprofi und nunmehr Fahrradfachhändler in Wien („Pedalus”, 16. Bezirk)
Einem Kind würde ich nie ein E-Bike verkaufen”, sagt der Wiener Fahrradhändler Roland Garber, der mit seinem Unternehmen „Pedalus” seit 13 Jahren im 16. Bezirk Jung und Alt mit Fahrrädern, Zubehör und Reparaturen versorgt. Am Beginn habe er auch an Erwachsene keine E-Bikes verkauft, „aber dann musste ich kaufmännisch denken”, sagt der Unternehmer, der auf eine 17-jährige Profi-Karriere als Radrennfahrer zurückblickt - mit beachtlichen Erfolgen: Vize-Weltmeister, Gesamtweltcup-Sieger, Olympia-Fünfter und einiges mehr. „Jetzt gebe ich sehr gerne mein Fachwissen an meine Kunden weiter - wie man Reifen am schnellsten wechselt, welches Öl man am besten verwendet und so weiter”, sagt Garber. Er habe einfach gern mit Fahrrädern zu tun - und mit Menschen. Garber beschäftigt einen Mechaniker, einen mittlerweile gut ausgebildeten Lehrling und seine Schwester, die ihm vor allem bürokratische Lasten abnimmt. Die derzeitige Hauptsaison für Verkauf und Reparaturen laufe gut. Den wachsenden Trend zum Fahrrad sieht er auch für die Zukunft: „Das Umweltbewusstsein steigt, der Anteil der Fahrräder wird auch steigen - und es wird künftig mehr mittelpreisige E-Bikes geben”, ist der Händler überzeugt. Doch auch das Auto sieht Garber nicht als überholt an: „Vor allem Lieferanten brauchen ausreichend Parkplätze - nur Sitzbänke und Blumenkisten sind in einer Straße zu wenig”, mahnt der Unternehmer zur Umsicht bei Straßenumgestaltungen. Den Trend zum Fahrrad - und hier vor allem zum E-Bike - belegen auch die neuesten Verkaufszahlen, die der Verband der Sportartikelerzeuger und Sportfachhändler Österreichs (VSSÖ) für 2023 vor wenigen Tagen vorgelegt hat. Demnach hat das E-Bike bereits 52 Prozent Marktanteil bei den Neuverkäufen - vor fünf Jahren waren es erst knapp 33 Prozent. In Summe wurden im vergangenen Jahr rund 421.000 Fahrräder von der Fahrzeugindustrie an den Handel verkauft, der damit einen Umsatz von knapp 1,2 Milliarden Euro erwirtschaftet hat - doppelt so viel wie vor fünf Jahren. Vor allem die teureren E-Bikes tragen das Umsatzplus. Stark entwickelt haben sich auch die Verkaufszahlen bei E-Lastenfahrrädern (zehnmal so viel wie vor vier Jahren) und von Falträdern (Verdoppelung in nur einem Jahr), berichtet der VSSÖ.
Stadt Wien in der Offensive
Mit einer Radwegoffensive versucht die Stadt Wien seit einigen Jahren, den Trend zum Fahrrad weiter anzuheizen. In den vergangenen drei Jahren wurden 75 Millionen Euro in die Wiener Radverkehrsinfrastruktur investiert. 130 Projekte wurde damit auf den Weg gebracht, 48 Kilometer Radweg wurden neu geschaffen. Heuer kommen weitere 20 Kilometer dazu Ziel sei, eine zeitgemäße Qualität für Radfahrer zu schaffen und die Menschen zu einem veränderten Mobilitätsverhalten zu motivieren, erklärt der Radverkehrsbeauftragte der Stadt und Geschäftsführer der Mobilitätsagentur Wien, Martin Blum. Seit 2011 sorgt er mit seinem Team dafür, dass Wien schrittweise fahrradfreundlicher und ein Radwegnetz etabliert wird, in dem sich alle sicher fühlen, wie er sagt. Größtes Problem seien aktuell die vielen Lücken im Radwegnetz – oft enden Radwege nach einigen hundert Metern im normalen Straßenverkehr. „Für viele ist Radfahren dadurch keine Option”, sagt Blum. Jetzt werden Lücken geschlossen, durchgehende Achsen geschaffen und 80 Prozent der neuen Radwege baulich abgetrennt errichtet, was sie sicherer macht. An rund 500 Wiener Kreuzungen ist für Fahrräder Rechtsabbiegen bei Rot erlaubt. Zudem entstehen immer mehr öffentliche Abstellplätze mit komfortablen Radbügeln – rund 59.300 solcher Bügel gibt es in Wien bereits und jedes Jahr kommen an die 2000 neue dazu. Er selbst habe sein Rad immer im Freien geparkt und sichert es mit zwei Schlössern – bislang mit Erfolg. „Gut abgesperrte Räder sind im öffentlichen Raum oft sicherer als in privaten Gemeinschaftsräumen”, meint Blum. Dass auch Autos in Zukunft in der Stadt ihren Zweck haben werden, weiß auch er: „Die Frage ist nur, wie viele davon.” Je mehr auf Räder umsteigen würden, desto mehr Platz sei für die da, die Kraftfahrzeuge wirklich brauchen - etwa zur Versorgung der Stadt mit Waren oder Handwerker mit sperrigem Werkzeug und schwerem Material. „Transportfahrräder können viel und werden von immer mehr Unternehmen eingesetzt. Sie können aber nicht alles”, sagt Blum.
Immer mehr Fahrten mit dem Rad
Derzeit erledigen die Wiener zehn Prozent ihrer täglichen Wege mit dem Fahrrad, zeigt die neueste Befragung im Auftrag der Wiener Linien. Zum Vergleich: 1993 waren es lediglich drei Prozent. Das Auto verliert zunehmend an Stellenwert - aktuell hält es bei 26 Prozent der Fahrten (1993: 40 Prozent). Um den Radverkehr in der Stadt weiter zu stärken, blickt Wien auch gern ins Ausland. So wird gerade bei der Neugestaltung der Argentinierstraße ein in den Niederladen erprobtes Modell einer Fahrradstraße umgesetzt: Die Fahrbahn wird erhöht und komplett aus rotem Asphalt errichtet, um einfahrenden Autos, die hier nur zu Gast sind und nicht durchfahren dürfen, den Status der Räder zu signalisieren. Auch Fußgänger bekommen hier mehr Platz. Seit Herbst wird gebaut, heuer soll alles fertig sein. Als Vorzeigestadt für urbanen Radverkehr die dänische Hauptstadt Kopenhagen. Hier legen die Stadtbewohner bereits 27 Prozent der Fahrten mit dem Rad zurück, dafür deutlich weniger mit öffentlichem Verkehr, der im Vergleich zu Wien schlechter ausgebaut ist. Der Modal Split-Anteil des Autos ist in beiden Städten in etwa gleich hoch, die Pkw-Dichte ist in Wien allerdings um rund die Hälfte höher als in Kopenhagen. Kopenhagen hat deutlich früher als Wien begonnen, sein Radwegnetz auszubauen und Platz für den Radverkehr freizugeben. Heute gibt es in Kopenhagen wesentlich mehr Fahrräder als Einwohner.
Öffentlicher Raum ist knappes Gut
Einfach ist der weitere Ausbau des Wiener Radwegnetzes nicht. In der dicht verbauten Stadt ist der öffentliche Raum stark begrenzt, unterschiedliche Nutzungen, Ansprüche und Erwartungen treffen hier hart aufeinander. Um die Interessen der Unternehmen entsprechend einzubringen, engagiert sich die Wirtschaftskammer Wien daher bei jedem geplanten Straßenumbau, damit ausreichend Platz für Ladetätigkeiten und City-Logistik, Schanigärten, die Möglichkeiten für Kurzparken für Kunden und ein attraktives Stadtbild geachtet wird. Weiters unterstützt die WK Wien über die Initiative Logistik 2030+ Pilotprojekte, die die Warenzustellung auf der „letzten Meile” klimaneutral machen. Und am WIFI Wien der WK Wien kann man sich zum qualifizierten Fahrradmechatroniker ausbilden lassen. Fahrradstraßen sieht die WK Wien kritisch, weil sie für den Wirtschaftsverkehr verloren gehen. Umbauten, wie z.B. in der Praterstraße, werden dagegen bevorzugt.
Immer mehr Fahrräder in Betrieben
Dass Räder auch für den betrieblichen Einsatz Vorteile bringen können, spricht sich in immer mehr Wiener Unternehmen herum: So verringern Dienstfahrräder bei kurzen Strecken oft die Fahrzeit zum Kunden, weil die Parkplatzsucheentfällt. Die öffentlichen Förderungen für die Anschaffung der Räder hat viele Unternehmen zusätzlich zum Umdenken motiviert. Andere, wie der Wiener Lastenfahrradhändler und Zusteller Heavy Pedals, machen Fahrräder zum Geschäftsinhalt: Das mit dem österreichischen Umweltzeichen ausgezeichnete Unternehmen aus Margareten verkauft seit 15 Jahren Lastenfahrräder für viele unterschiedliche Transportzwecke und stellt als Botendienst für Lieferanten rund 6000 Pakete pro Monat auf der „letzten Meile” umweltfreundlich zu.