Doris Minich (vorne l.), Inhaberin von Minichs Gärten, mit ihren vier Lehrlingen
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Lehre: In die Zukunft investieren

Wer Lehrlinge ausbildet, sorgt für die Fachkräfte von morgen. Warum Wiener Ausbildungsbetriebe auf Nachwuchsarbeit setzen und die Lehre unterm Strich für sie ein Gewinn ist.

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Aktualisiert am 13.03.2024

Im Bild: Doris Minich (vorne l.), Inhaberin von Minichs Gärten, mit ihren vier Lehrlingen

Der beste Weg zu Fachkräften ist es, sie selbst auszubilden”, sagt Patrick Gottsbacher, Geschäftsführer der Immo Objekttechnik GmbH, aus Überzeugung. Das Liesinger Planungsbüro ist auf Gebäudetechnik für Wohnbau, Gewerbe- und Sonderbauten spezialisiert. „Es ist so schwierig, Projekttechniker zu finden, die Pläne zeichnen. Daher haben wir uns im Vorjahr entschlossen, selbst Techniker auszubilden”, so Gottsbacher.

Gerade angesichts des steigenden Fachkräftebedarfs rückt die Ausbildung von Lehrlingen für Betriebe zunehmend in den Fokus

Eine gute Entscheidung

Gesagt, getan. Die Ausbildungsberechtigung wurde beantragt und rasch erteilt, dann ging es an die Suche nach Nachwuchskräften. „Sofort, nachdem wir uns beim AMS gemeldet hatten, kamen Bewerbungen”, erzählt Gottsbacher. Er lud mehrere Kandidaten zu Kurzpraktika ein – unter ihnen den 19-jährigen Pascal. „Nach zwei Tagen Schnuppern war klar: Das wird funktionieren.” Ebenso überzeugt hat die 18-jährige Anastazija, die von einer HTL auf die Lehre umstieg. Für sie sprachen besonders ihr technisches Interesse und ihre Vorkenntnisse mit der Zeichensoftware AutoCAD. Seit August 2023 werden Anastasija und Pascal nun von Gottsbacher und seinem sechsköpfigen Mitarbeiterteam zu technischen Zeichnern ausgebildet. Das bisherige Resümee ist positiv - beiderseits. „Für uns hat sich der Schritt zum Lehrbetrieb gelohnt, wir sind sehr zufrieden mit unseren Lehrlingen. Die Arbeit macht ihnen Spaß, sie sind motiviert und talentiert und haben auch gute Berufsschulnoten”, sagt Gottsbacher. Und auch die zwei angehenden Jungfachkräfte betonen, sie hätten „keine bessere Entscheidung” treffen können.

Ausbildung braucht Zeit...

Auf vergleichsweise viel Erfahrung in der Lehrlingsausbildung kann Doris Minich verweisen. Die Gründerin und Chefin des Garten- und Landschaftsbaubetriebs Minichs Gärten hat während der 23 Jahre ihrer Selbstständigkeit schon viele Lehrlinge ausgebildet, ihr Betrieb trägt das Wiener „Top Lehrbetrieb”-Gütesiegel. Derzeit gibt es in ihrem 22-köpfigen Team vier Nachwuchskräfte - junge ebenso wie Spätberufene mit akademischer Vorbildung. „Ich möchte meine Mitarbeiter selbst schulen. Außerdem macht es mir Spaß zu sehen, wie sich jemand entwickelt”, sagt die Meisterin, die auf einen „guten Spirit” im Team achtet. Ihre Lehrlinge dürfen überall mitarbeiten und sich jede Tätigkeit anschauen. Außerdem bekommt jeder einen „Buddy” zur Seite gestellt, der bei Fragen oder Problemen hilft. Minich ist es auch wichtig, sich mit der Persönlichkeit ihrer Nachwuchskräfte zu beschäftigen - um zu spüren, wie die Person tickt. „Man muss ein Gefühl dafür haben und Menschen mögen, wenn man ausbildet.” Und weiter: „Natürlich kostet Lehrlingsausbildung Zeit und Ressourcen, aber es ist eine Investition in die Zukunft, die sich lohnt.”

... ist unterm Strich aber ein Gewinn

Ins selbe Horn stößt man auch bei Takeda in der Donaustadt. Das Biopharma-Unternehmen bildet österreichweit 70 Lehrlinge in zehn Berufen aus. Lambert Petz, Leiter der Lehrlingsausbildung, sieht die Qualifizierung junger Menschen als Mehrwert fürs Unternehmen und als Motor für dessen Innovationskraft. Takeda biete nicht nur eine qualitativ hochwertige Ausbildung, sondern auch eine persönliche Karriereperspektive, so Petz. „Ziel ist es, unseren Lehrlingen nach dem Lehrabschluss die Chance zu ermöglichen, sich bei Takeda weiterzuentwickeln und einen Beitrag zur Gesundheit weltweit zu leisten.” Bleiben die Jungfachkräfte nach Ende der Lehre weiter im Unternehmen, ist das Ausbilden für den Betrieb auch rein wirtschaftlich jedenfalls ein Gewinn. Thomas Mayr, Geschäftsführer des ibw (Institut für Bildungsforschung der Wirtschaft), betont, dass meist schon gegen Ende der Lehrzeit der Nutzen der Lehrlinge die Kosten der Ausbildung übersteigt. Mit der Übernahme drehe das Verhältnis jedenfalls ins Positive, so der Experte.

Der Weg zum Ausbildungsbegtrieb
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Aufwärtstrend in der Lehre

Nach dem coronabedingten Knick sind die Lehrlingszahlen in den Wiener Betrieben zuletzt deutlich gestiegen und liegen aktuell um fast ein Achtel höher als vor fünf Jahren. Auch die Zahl der Lehrbetriebe ist 2023 um zwei Prozent gewachsen. Um diese Tendenz weiter zu verstärken, richtet die Wirtschaftskammer Wien ihre Service- und Imagearbeit im Bereich Lehre gezielt auch darauf aus, neue Unternehmen für die Lehrlingsausbildung zu begeistern. So haben die Wiener Lehrstellenberater - ein von WK Wien, AMS und waff finanziertes Team - im Vorjahr mehr als 1000 Betriebe kontaktiert, um sie zu beraten und beim Schritt zum Lehrbetrieb zu unterstützen. 2023 gingen mehr als 750 Feststellungsbescheide - die formale Berechtigung, in einem bestimmten Lehrberuf Lehrlinge auszubilden - und über 700 Lehrstellenzusagen auf die Arbeit der vier Lehrstellenberater zurück. Auch Patrick Gottsbacher setzte auf die Hilfe der Lehrstellenberater, die ihn vorab bei der Beantragung des Feststellungsbescheides angeleitet und ihn auch bei der Lehrlingssuche mit ihrem Netzwerk unterstützt haben. „Eine wertvolle Hilfe”, wie er sagt. Nicht nur für Newcomer, auch für arrivierte Lehrbetriebe bietet die WK Wien - allen voran die Lehrlingsstelle - Rat und Hilfe in allen Phasen der und bei allen Fragen zur Ausbildung von Nachwuchskräften.

Verbesserungspotenzial bei den Bedingungen für Lehrbetriebe

„Gerade angesichts des steigenden Fachkräftebedarfs rückt die Ausbildung von Lehrlingen für Betriebe zunehmend in den Fokus. Die WK Wien unterstützt und begleitet Unternehmen bei dieser verantwortungsvollen Aufgabe. Wir sehen aber auch, dass es Handlungsbedarf bei den Rahmenbedingungen gibt. Hier braucht es Verbesserungen, damit die Ausbildung von Lehrlingen leichter und die Motivation für die Betriebe erhöht wird”, sagt WK Wien-Präsident Walter Ruck. Konkret fordert die WK Wien die Refundierung der Kommunalsteuer für Lehrlinge an die Lehrbetriebe und eine höhere Förderung bei Übernahme von Lehrlingen aus der überbetrieblichen Ausbildung. Erwachsene Lehrlinge sollen außerdem ein Stipendium erhalten, das ihnen die selbstständige Lebensführung erleichtert. Dringend reduziert gehört auch die Bürokratie - weniger Statistik-Meldepflichten und leichtere Auflösbarkeit von Lehrverträgen, wenn es gar nicht passt. Das hält auch Gartenbau-Meisterin Minich für wichtig. „Das derzeitige Procedere der Mediation ist zu aufwändig, vor allem für kleine Betriebe”, ist sie sicher. ibw-Chef Mayr sieht in der Qualifikation der Jugendlichen einen zentralen Stellhebel, um mehr Betriebe zum Ausbilden zu motivieren. Derzeit sei der Anteil der Jugendlichen, die das Schulsystem ohne ausreichende Grundkompetenzen verlassen, zu hoch. Unternehmen müssen sich aber auf das Vorhandensein dieser Basics verlassen können. Die WK Wien fordert deshalb die Einführung einer Bildungspflicht: Jugendliche sollen das Schulsystem erst nach Erreichen bestimmter Mindest-Bildungsziele verlassen können und nicht - wie jetzt – nach dem Absolvieren von neun Schuljahren.

Appell, den Schritt zu wagen

Gottsbacher bekräftigt, dass der Nutzen der Lehrlingsausbildung im Vordergrund steht, und appelliert an andere Betriebe, davor keine Scheu zu haben. Wichtig sei allerdings eine realistische Erwartungshaltung. „Ausbildung braucht Geduld und Zeit. Dass der Lehrling am zweiten Tag schon die Elektrik eines Hochhauses plant, darf man nicht erwarten”, betont er.

Interview Thomas Mayr, Geschäftsführer ibw
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