Höhenflug bei Gründungen
Wien liegt bei den Unternehmensgründungen österreichweit an der Spitze. Im Vorjahr erreichte die Bundeshauptstadt den höchsten Wert seit 15 Jahren.
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Clemens Schmidgruber, Vorstandsvorsitzender der Jungen Wirtschaft Wien, mit Ulrike Tangerner, Gründerin und Inhaberin der feinklein GmbH im ersten Bezirk.
Gründen ist ein bisschen wie Klettern. Man muss wissen, wo die eigenen Grenzen liegen, man muss sich gut vorbereiten, das Risiko richtig einschätzen, es analysieren und dann minimieren”, erklärt Maren Krammer. Die 31-Jährige hat sich im Vorjahr als Industriekletterin selbstständig gemacht und ist eine von insgesamt 9483 Gründern in Wien. Umgerechnet sind das fast 26 Gründungen pro Tag. „Fast ein Viertel (23 Prozent) aller Neugründungen in Österreich entfällt auf Wien. Wien behauptet sich damit wieder als Gründerhauptstadt in Österreich und erreichte im Vorjahr den höchsten Wert an Unternehmensgründungen seit 15 Jahren”, zieht Clemens Schmidgruber, Vorstandsvorsitzender der Jungen Wirtschaft Wien, Bilanz. Gegenüber 2022 wuchs die Zahl der Neugründungen in Wien um 4,7 Prozent, österreichweit betrug das Plus 3,3 Prozent.
Flexibilität ist Spitzenreiter bei Motiven
Der Hauptgrund, warum sich Hobby-Sportkletterin, Alpinistin und Kletterlehrerin Krammer dazu entschieden hat, ein eigenes Unternehmen zu gründen, war der Wunsch nach mehr Flexibilität. „Klettern ist ein sehr zeitintensives Hobby, eigentlich ein Lebensstil. Ich habe mir den Freiraum gewünscht, mein Leben so zu gestalten, wie ich es will und wie es mich glücklich macht - die Selbstständigkeit macht mir das möglich”, schildert Krammer. Mit diesem Gründungsmotiv ist die Jungunternehmerin nicht alleine: Für 71 Prozent war genau dieses Motiv Hauptfaktor für den Schritt in die Selbstständigkeit. 70 Prozent wollen ihr eigener Chef sein, 63 Prozent wollen das Ausmaß an Verantwortung, das sie im Angestelltenverhältnis zu tragen hatten, im eigenen Unternehmen einbringen. „Spannend ist, dass sich diese Motive im Laufe der Zeit leicht verschoben haben. So lag der Wunsch nach mehr Flexibilität bei der Zeit- und Lebensgestaltung bei einer Motivumfrage im Jahr 2010 noch auf Platz 4 - mittlerweile liegen wir hier aber auf Platz 1”, sagt Schmidgruber.
Bürokratische Hürden
Als Industriekletterin ist Krammer überall dort im Einsatz, wo man mit einem Kran oder einer Hebebühne nicht hinkommt. „Von Reparaturen am Dach einer Industriefabrik über Dachrinnenreinigungen in der Innenstadt und der Befestigung von Taubennetzen bis hin zur Reinigung von großen Silos - unsere Aufträge sind sehr vielfältig”, erklärt Krammer. Für viele dieser Arbeiten in schwindelerregenden Höhen braucht es neben einer Berechtigung zur Industriekletterin auch spezielle Ausbildungen. „Ich habe als nächstes geplant, eine Ausbildung zu absolvieren, um künftig auch Windturbinen reparieren zu dürfen”, erklärt sie. Herauszufinden, was sie als ausgebildete Alpinistin und Industriekletterin überhaupt alles machen darf, war allerdings nicht ganz so einfach: „Das war ein ganz schöner Hürdenlauf, den ich dank der Unterstützung des WK Wien Gründerservice und des Rechtsservice geschafft habe”, ist Krammer dankbar.
Gründer-Service im 3-Minuten-Takt
Als erste Anlaufstelle ist das Gründerservice der Wirtschaftskammer Wien wichtigster Partner für angehende Selbstständige. Das zeigen auch die Zahlen. Im Vorjahr verzeichnete das Gründerservice der WK Wien 38.000 Kontakte. Umgerechnet tritt damit alle drei Minuten ein Gründer mit dem Gründerservice in Kontakt - in Form von telefonischen Beratungen, Mails, persönlichen Beratungen, im Zuge der elektronischen Gewerbeanmeldung oder bei Veranstaltungen wie den Gründungstagen. Unterstützung, Beratung und Infomaterial hat sich auch Ulrike Tangerner beim Gründerservice der WK Wien geholt. Die 52-jährige Unternehmerin war viele Jahre lang als Angestellte in der Buchhaltung tätig und hat sich auf zweitem Weg für die Selbstständigkeit entschieden. „Mein Vater war auch Unternehmer und da habe ich schon als Kind mitbekommen, was es heißt, selbstständig zu sein - jetzt, nach vielen Jahren im Angestelltenverhältnis, habe auch ich den Schritt gewagt”, so Tangerner, die seit dem Vorjahr die feinklein GmbH in der Steindlgasse 6 führt. Eine kleine Greißlerei, die sich auf Feinkost und Interieur spezialisiert hat und zum Verweilen in der gemütlichen Kaffeeecke einlädt. „Mit einem eigenen Unternehmen geht man natürlich immer ein gewisses Risiko ein, aber ich bin eine hoffnungslose Optimistin und finde, man muss sich manchmal auch etwas im Leben trauen”, sagt sie zufrieden.
Unternehmertum kennt keine Altersgrenze
Sich etwas trauen - genau das tun in Wien auch immer mehr junge Menschen, wie aus der aktuellen Gründerbilanz hervorgeht. „Vor zehn Jahren lag das durchschnittliche Alter bei 38 Jahren. Im Vorjahr waren die Wiener Gründer durchschnittlich 36 Jahre alt. Damit sind die Wiener Gründer bundesweit die jüngsten”, sagt Schmidgruber. Stark angestiegen ist im Vergleich zum Vorjahr unter anderem die Altersgruppe der unter 20-jährigen mit einem Plus von 15 Prozent sowie die der 30- bis unter 40-jährigen mit insgesamt 2363 Gründungen und einem Plus von 8 Prozent zum Jahr davor. Der älteste Gründer war im Vorjahr übrigens 87 Jahre, der jüngste 18 Jahre.
Gründen ab 16 ermöglichen
„Das zeigt einmal mehr, Unternehmertum kennt keine Altersgrenzen. Genau deshalb fordern wir als Junge Wirtschaft Wien, dass es auch für talentierte Jugendliche ab 16 Jahren möglich wird, ein Unternehmen zu gründen, wie es auch in anderen europäischen Ländern schon möglich ist. Die Jüngeren in unserer Gesellschaft möchten mit anpacken und Verantwortung übernehmen, und diese Chance sollten wir ihnen geben. Konkret fordern wir die Ausnahmen zur Unternehmensgründung, die es etwa für Schulprojekte (ohne Gewerbeschein) bereits gibt, auszuweiten. Gemeinsam mit Rechtsexperten und betroffenen Jugendlichen erarbeiten wir gerade geeignete Lösungen”, sagt Schmidgruber.
Innovationen aus Wien
Mit seinen 31 Jahren zählt auch Gregor Weisgrab zu der Altersgruppe, die bei den Gründungen in Wien aktuell am aktivsten ist. Der Wiener Wissenschaftler hat gemeinsam mit seinem Businesspartner Diego Castaneda-Garay einen 3D-Drucker entwickelt, mit dem menschliche Gewebestrukturen gedruckt werden können: „Diese Gewebe können z.B. von Pharmaunternehmen genutzt werden, um neue Medikamente zu entwickeln - ganz ohne Tierversuche.” Von 3D-gedruckten Organen ist man aktuell zwar noch weit entfernt - „es gibt aber bereits klinische Studien, bei denen die gedruckten Gewebe wieder Funktionen in ein Organ bringen”, erklärt Weisgrab, der bereits zwei 3D-Biodrucker verkauft hat. „Unsere bisherigen Kunden kamen aus dem akademischen Bereich, jetzt möchten wir von der Forschung in den industriellen Bereich gehen”, erklärt der Jungunternehmer, der bereits eine Vielzahl an Förderungen und Unterstützung für sein Projekt erhalten hat, z.B. vom FH Technikum Wien, dem Austria Wirtschaftsservice, der Wirtschaftsagentur Wien sowie der TU Wien.
Wien ist Hotspot für Innovationen
Die breite Förderlandschaft in Wien und die Nähe zur Wissenschaft sind auch der Grund, weshalb Wien von vielen Start-ups als Headquarter gewählt wird. „Die Hälfte aller Start-ups in Österreich ist in Wien angesiedelt. Besonders stark sind wir hier u.a. im Life Science-Bereich, aber auch in der IT und in der Finanztechnologie”, erklärt Schmidgruber, der auch die Gründe dafür kennt: „Wir haben in Wien hunderte internationale Headquarter, zählen rund 1500 Forschungseinrichtungen und Wien beheimatet viele Finanzdienstleistungsgesellschaften und Investoren.” Dass diese Kombination fruchtet, zeigt auch das Ey Start-up Investmentbarometer 2023, wonach 93 Wiener Start-ups Finanzierungen erhalten haben - das sind sogar mehr als im Rest von Österreich zusammengerechnet. „Wien ist eben nicht nur die Stadt neuer Ideen, sondern die Stadt, in der diese Ideen und Innovationen verwirklicht und umgesetzt werden,” sagt der Junge Wirtschaft Wien-Chef.