Fachkräfte bleiben heiß begehrt
Die Wirtschaftsrezession beeinflusst den Fachkräftemangel kaum – er bleibt Dauerthema in den Wiener Betrieben. Wie es in einzelnen Branchen aussieht und wie die WK Wien gegensteuern möchte.
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Im Bild: Christina Danzer, HR Director des IT-Dienstleisters Eviden Austria: „Wir wollen weiter expandieren und suchen daher ständig nach IT-Fachkräften.”
Wien ist mit einem blauen Auge aus der Rezession des vergangenen Jahres davongekommen: Während das Wirtschaftsforschungsinstitut wifo 2023 für ganz Österreich einen Rückgang der Bruttowertschöpfung von 0,6 Prozent errechnete, blieb die Bundeshauptstadt mit 0,1 Prozent Zuwachs hauchdünn im Plus. Auch für heuer wird dieser ein höheres Wirtschaftswachstum als dem Rest des Landes prophezeit. Und obwohl die Wirtschaft stagnierte, waren im Vorjahr im Jahresdurchschnitt 915.000 Personen in Wien beschäftigt – um 1,9 Prozent mehr als 2022. Seit 2015 wuchs der Beschäftigtenstand sogar um gut 100.000 Personen. Dennoch zeigt der Wiener Arbeitsmarkt erste Spuren einer Konjunkturschwäche. Die Zahl der beim AMS gemeldeten Arbeitssuchenden war im Dezember um mehr als sieben Prozent höher als im Vergleichsmonat 2022. Gleichzeitig gab es um ein Sechstel weniger offene Stellen
Kluft zwischen Arbeitssuchenden und freien Jobs
Auf den Fachkräftemangel, der in den letzten Jahren in so gut wie allen Branchen zu einem veritablen Problem wurde, hat diese Entwicklung aber keine Auswirkung. „Viele, die in der aktuellen Rezession ihren Job verlieren, sind nicht ohne Weiteres in der Lage, die vorhandenen freien Arbeitsplätze zu besetzen”, sagt Holger Bonin, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für höhere Studien. Laut einer repräsentativen Studie des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY geben 82 Prozent der heimischen Betriebe an, derzeit nur schwer ausreichend qualifizierte neue Mitarbeiter zu finden.
Auch Sonja Theissl-Baldauf begleitet das Thema Fachkräftemangel schon über viele Jahre. Sie verantwortet den Bereich Personal in der Baldauf Gebäudetechnik GmbH. Der Familienbetrieb ist auf Heizung, Lüftungs- und Sanitärtechnik in Neubau und Sanierung spezialisiert und beschäftigt 40 Mitarbeiter, darunter sieben Lehrlinge. Damit sei man aktuell gut aufgestellt. „Wir können auf eine gute Kernmannschaft zählen. Trotzdem sind wir auf vier gängigen Jobportalen permanent vertreten, denn weitere gut qualifizierte Mitarbeiter würden wir jederzeit einstellen”, sagt Theissl-Baldauf. Gesucht wird auch über das AMS-Jobportal. „Je mehr Bewerber ins Haus kommen, umso eher besteht die Möglichkeit, darunter ein Juwel zu entdecken”, sagt sie und konkretisiert den Begriff Fachkraft für ihren Betrieb: „Monteure und Techniker mit exzellenter Qualifikation, Erfahrung und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.” Auch Innungsmeister Robert Breitschopf spricht von „großem Leidensdruck”, was die Fachkräfte in seiner Branche angeht. Daran ändere auch die derzeit eher schwache Auftragslage als Folge des Tiefs in der Bauwirtschaft nichts. Ob die neuen Förderungen für den Heizungstausch für einen Boom sorgen und sichso der Fachkräftemangel weiter verschärft, bleibe abzuwarten. Sonja Theissl- Baldauf erwartet sich von den Förderungen zwar positive Impulse, „diese können den Ausfall durch die Baustopps im öffentlichen Sektor bei uns aber nicht kompensieren.” Das Thema Fachkräfte behalte sie trotzdem im Fokus. „Es wird wieder bergauf gehen, und dann wollen wir personell gerüstet sein.”
Kooperation mit Unis und Schulen
Ständig auf der Suche nach neuen Fachkräften ist auch Christina Danzer, HR Director bei Eviden Austria, der Österreich-Tochter eines internationalen Anbieters von IT-Lösungen im Bereich Digitalisierung, Cloud und Cyber Security. Eviden entstand erst im Vorjahr durch Herauslösung aus dem Atos-Konzern. „Das und unser deklariertes Ziel, weiter zu wachsen, hat unseren Bedarf an Fachkräften weiter erhöht”, sagt Danzer. Bei der Suche danach habe sich die Konkurrenz in den letzten Jahren drastisch erhöht. „Jedes Unternehmen braucht heute IT-Experten, das hat den Bedarf sehr verschärft.” Gleichzeitig benötigen auch IT-Dienstleister immer mehr Spezialisten für die steigenden Kundenanforderungen. Eviden hat manche Jobs daher dauerhaft ausgeschrieben. Ohnehin sind, so Danzer, die gesuchten IT-Experten selten frei am Arbeitsmarkt verfügbar. Eher geht es um Jobwechsler, die eine neue Herausforderung suchen. „Wir arbeiten auch eng mit Fachhochschulen, Unis und HTLs zusammen, um zu talentierten Nachwuchskräften zu kommen”, betont sie. Eviden bildet zudem selbst Lehrlinge aus und ist auch Partner bei waff-Weiterbildungsprogrammen für Menschen, die sich beruflich in Richtung IT Umorientieren wollen. Dennoch: „Manchmal kann es auch Monate dauern, bis wir die ideale Besetzung gefunden haben”, so Danzer.
Gemeinsam Fachkräfte sichern
Eine Bestandsaufnahme der Fachgruppe Unternehmensberatung und IT (UBIT) ergab, dass in Wien derzeit 5800 IT-Fachkräfte fehlen. WK Wien-Präsident Walter Ruck macht sich daher für die Neuerrichtung einer HTL mit digitalem Schwerpunkt in Wien stark. Zudem haben die Wiener Sozialpartner mit der Stadt Wien eine Strategie zur Fachkräftesicherung erarbeitet, die die Themen Ökologisierung, kommunale Daseinsvorsorge und Digitalisierung in den Mittelpunkt stellt. Erster konkreter Schritt war die Eröffnung eines Fachkräftezentrums vergangene Woche im waff (Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds). Dort sollen ab nun alle Stakeholder ihr Know-how bündeln. Ziel ist, gemeinsam den Fachkräftebedarf in Wien systematisch zu analysieren, Probleme frühzeitig zu erkennen und zusammen an Maßnahmen und Lösungen zu arbeiten.
RWR-Karte weiter vereinfachen
Die WK Wien formulierte schon im Vorjahr Forderungen zur Fachkräftesicherung. Diese beginnen bei der Attraktivierung der Lehre über Anreize für mehr Vollzeit statt Teilzeit und für längeres Arbeiten im Alter und gehen bis zur Reform der Rot-Weiß- Rot-(RWR-)Karte, mit der Fachkräfte aus Drittstaaten einen Job in Österreich annehmen können. Zwar wurde das Instrument zuletzt im Herbst 2022 reformiert, was auch die Antragszahlen ansteigen ließ. Dennoch wurden im ersten Halbjahr 2023 nur knapp 3800 RWR-Karten ausgestellt. Aus der Sicht der WK Wien müssten die Verfahren daher noch schneller und effizienter abgewickelt werden. Dem könnte auch Christina Danzer einiges abgewinnen. Eviden holt mit der RWR-Karte immer wieder Fachkräfte nach Österreich und hat entsprechend Routine. „Es ist schon eine bürokratische Hürde”, sagt sie. Große internationale Betriebe wie ihrer könnten das leichter bewältigen als ein Kleinbetrieb. Auch für Sonja Theissl-Baldauf ist die RWRKarte durchaus ein Thema. „Wir sind offen für Mitarbeiter aus allen Nationen, wenn die nötigen Qualifikationen mitgebracht bzw. in kurzer Zeit erworben werden können. Als Wiener Handwerksbetrieb suchen wir Fachkräfte, die planen und Verhandlungen führen können und daher auch das hierzulande geforderte Fachwissen mitbringen, Vorschriften und Materialien kennen und das einschlägige Vokabular in Deutsch beherrschen.” Solche Mitarbeiter in Drittstaaten zu finden, sei sehr schwierig, ist die Branchenkennerin überzeugt.
Fachkräfte-Suche innerhalb Europas
Für Martin Oesterreich, General Manger von Zoku Vienna, ist die RWR-Karte kein Thema: „Wir vereinen als hybrides Geschäftsmodell Hotel, Büro, Veranstaltungsbereich, Co-Working und Gastronomie in flexibel nutzbaren Räumlichkeiten. Präsent sind wir nicht nur in Wien, sondern z.B. auch in Paris oder Amsterdam. So haben wir die Chance, innerhalb Europas neue Teammitglieder zu finden.” Werden neue Mitarbeiter eingestellt, die „noch nicht perfekt Deutsch sprechen”, ermöglicht Zoku kostenlose Deutschkurse. Oesterreich ist bewusst, dass die Fachkräfte-Suche i seiner Branche ein Problem ist. „Obwohl es uns noch leicht fällt, neue Teammitglieder zu finden, höre ich von Mitbewerber oft das Gegenteil.” Allgemein zählt der Tourismus zu jenen Branchen, die vom Fachkräftemangel am stärksten betroffen sind. Beim AMS sind aktuell ungefähr 12.000 offene Jobs im Bereich Fremdenverkehr vermerkt. Bevor er jedoch Wünsche an die Politik richten würde, setzt Oesterreich auf ein „selber aktiv werden”. Wichtig sei vor allem, bei der Mitarbeiterzufriedenheit neue Maßstäbe zu setzen, z.B. Lern- und Weiterbildungschancen zu eröffnen, flexibles Arbeiten zu ermöglichen und aktives Coaching anzubieten. „Mir liegt es am Herzen, zu einem besseren Ruf der Branche beizutragen. Da können wir alle was tun”, appelliert Oesterreich an andere Arbeitgeber.