EUROPA - mitten in Wien
Für mehr als 26.000 Menschen aus EU-Ländern ist Wien zur neuen unternehmerischen Heimat geworden. Fünf von ihnen erzählen, warum sie ihr Land verlassen haben und wie weit sie es in Wien als Wirtschaftstreibende gebracht haben.
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In der Europäischen Union leben derzeit rund 450 Millionen Menschen, 27 Mitgliedstaaten gehören ihr an, zehn weitere Länder haben den Beitritt beantragt. Österreich ist seit 1995 dabei und profitiert seitdem von den Vorteilen des Binnenmarkts, des freien Warenverkehrs, einheitlichen Standards in vielen Bereichen und seit 2002 vom Euro als gemeinsame Währung. Speziell für Wien ganz entscheidend war auch die EU-Osterweiterung: Wiener Unternehmen gehören heute zu den führenden Investoren in Ländern wie Ungarn, Polen, Slowenien oder Rumänien. Die EU hat zudem die Wiener Exporte beflügelt: Zwischen 2010 und 2022 sind sie um rund 60 Prozent auf 19,6 Milliarden Euro gewachsen. Nicht nur Richtung Osten, denn die Mitgliedschaft in der EU trieb die weitere Vernetzung mit westeuropäischen Staaten ebenfalls voran, insbesondere mit Deutschland, dem wichtigsten Export- und Importpartner Wiens innerhalb der EU Teil der EU zu sein und enge Band nach Ost und West zu pflegen, macht Wien zudem zu einem interessanten Standort für internationale Konzerne, die hier Niederlassungen gründen, regionale Headquarters errichten oder Forschungseinrichtungen aufbauen. Aktuell haben mehr als 800 ausländische Unternehmen in Wien eine Zweigniederlassung. Zugleich ist Wien für viele Bürger aus anderen EU-Ländern zur neuen Heimat geworden - und zum Mittelpunkt ihrer unternehmerischen Tätigkeit. Mehr als 26.000 Menschen anderer EU-Staaten führen derzeit in Wien ein Unternehmen, das ist in etwa jedes fünfte Wiener Unternehmen.
Wien ist ein guter Standort
Eine davon ist Júlia Mariz Hladschik, die seit 14 Jahren in Wien mit portugiesischer Feinkost punktet: „Der Schritt in die Selbstständigkeit in Wien ist mir anfangs nicht leicht gefallen. Besonders da ich die Sprache ja noch nicht sprechen konnte. Ich war jedoch positiv überrascht, wie viel Unterstützung ich von allen Seiten erfahren habe. Für mich ist Wien eine perfekte Möglichkeit, Unternehmerin zu sein und in meinem Shop unsere beiden Kulturen miteinander zu verbinden.” Ein anderer ist der deutsche Unternehmensberater Felix Baumeister, der in Wien auch gleich eine Familie gründete: „Ich war überrascht über die vielen Netzwerkmöglichkeiten in Wien. Das habe ich weder in der Schweiz noch in Deutschland so erlebt. In kürzester Zeit konnte ich bereits viele Kontakte knüpfen.” Auch die vielgereiste Ungarin Eszter Szabolcs hat in Wien ihre neue Heimat gefunden und ist nun im 8. Bezirk mit nachhaltiger Kindermode erfolgreich: „Mir war nach meiner Ausbildung schnell bewusst, dass ich irgendwann hier bleiben möchte. Wien ist ein guter Standort, um sich erfolgreich selbstständig zu machen. Es gibt gute Unterstützungen und Förderungen.” Schon seit 2001 in Wien ist der aus Bulgarien stammende Miroslav Velikov, der hier eine Umzugsfirma gegründet hat und bereits zwölf Mitarbeiter beschäftigt: „Ich habe Tag und Nacht gearbeitet, bis ich mir nach sechs Jahren die ersten Arbeitskräfte leisten konnte. Heute kannich mich auf den Kundenkontakt konzentrieren.” Die Kroatin Danijela Klampfer wiederum hat in Wien vom Beruf Einzelhandelskauffrau auf Kosmetik und Fußpflege umgelernt und im vergangenen Jahr ihren eigenen Salon eröffnet: „Motiviert und geholfen hat hier vor allem mein Mann, der schon seit 20 Jahren als Masseur selbstständig ist.”
In allen Branchen vertreten
Die Geschichten, die hinter diesen Lebenswegen stehen, sind so unterschiedlich wie die Branchen, in denen EU-Bürger in Wien ein Unternehmen führen: Besonders viele sind es in der Personenbetreuung, in der Unternehmensberatung und in der Gastronomie, aber auch in der Werbung, im Online-Handel, im Taxi-Gewerbe, in der Gebäudereinigung, bei den Kleintransporteuren, Fußpflegern, Freizeit- und Sportbetrieben, im Bauhilfsgewerbe und im Lebensmittelhandel. Den umgekehrten Weg - nämlich von Wien in ein anderes EU-Land - ist Johannes Bintinger gegangen. Der Wiener hat an der Technischen Universität (TU) Wien in Technischer Chemie promoviert und zunächst in Wien in der Forschung gearbeitet, 2019 wechselte er an die Linköpings Universitet in Schweden. Seit drei Jahren ist er zusätzlich auch Geschäftsführer des Start-ups n-ink, das leitfähige Polymere für Batterien und Kondensatoren entwickelt hat, die temperaturstabiler und günstiger als andere Materialen sind, wie er sagt. An Schweden schätzt er die hohe Innovationskraft, die Risikobereitschaft von Investoren und den unternehmerischen Mindset der Wissenschaftler, den er davor schon in den USA kennengelernt hatte. „Das muss sich auch in Österreich etablieren. Es ist wichtig, ins Tun zu kommen. Dann müssen sich auch die anderen bewegen”, sagt Bintinger. Gelegenheit, es in Wien vorzuleben, wird er bald bekommen: Im Sommer kehrt er zurück in seine alte Heimat, wird Assistenzprofessor an der TU Wien und bereitet eine weitere Firmengründung vor.