Ein Standort mit gutem Geschmack
Nach der Zeit der Pandemie ist in Wien Aufbruchstimmung zu spüren. Stark ist die Nachfrage nach freien Lokalen in der Erdgeschoßzone, denn viele wollen nun gründen oder investieren.
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Im Bild: Özlem Kilinc, in ihrem neuen Bistro „Kafe´de” im 9. Bezirk
Wiens Geschäftslokale sind aktuell mehr als gefragt. Die Nachfrage in der Erdgeschoßzone ist groß, wie eine Auswertung des Standortservice der WK Wien für 2023 zeigt. Über 3200 Betriebe und Personen waren aktiv auf der Suche nach einem Geschäftslokal und frequentierten dieses kostenfreie Service . Diese Unterstützung ist gefragt, denn zwischen sechs Monaten und zwei Jahren dauert die Suche nach einem geeigneten Standort. Im Schnitt werden dafür 27 potenzielle Lokale besichtigt, bis die Wahl gefallen ist. Besonders beliebt sind nach wie vor die innerstädtischen Bezirke, während gerade in den Außenbezirken mehr frei ist als gesucht wird. Ausnahme ist der 15. Bezirk, der in der Beliebtheit stetig wächst.
Was die gewünschte Größe des Geschäftslokals betrifft, gab es 2023 einen Trend nach oben. Denn während 2022 nach Flächen in der Größenordnung von 33 bis 89 Quadratmeter gesucht wurde, waren es 2023 Geschäftslokale zwischen 57 und 156 Quadratmetern. Dagegen ist was Leerstände betrifft, die Situation in Wien stabil. „Derzeit liegt die Stadt sogar unter den üblichen Werten. Wien ist eine Metropole mit einem bunten Mix und viel Bezirkskolorit in der Erdgeschoßzone”, freut sich Margarete Gumprecht, Obfrau Sparte Handel der WK Wien.
Junges Bistro
Den Prozess der Standort-Suche gerade erfolgreich hinter sich gebracht hat Özlem Kilinc. Zwei Jahre dauerte es in ihrem Falle, doch nun eröffnete die 51-Jährige im Jänner das „Kafe´de” in der Liechtensteinstraße. „Entwederes war zu groß oder zu klein. Oder es war in einer Seitenstraße gelegen. Und wenn nicht, dann war mir die Miete zu teuer oder die Ablöse zu hoch”, beschreibt die frisch gebackene Unternehmerin die besichtigten Objekte in der Zeit der Suche. Auch ihr lag am Herzen, einen Standort in den inneren Bezirken zu finden, möglichst in einer besser frequentierten Straße und mit einer Fläche, die für rund 20 Sitzplätze reicht. Das junge Bistro ist gut besucht. „Das ist leider noch nicht immer so”, räumt Kilinc ein. Doch ist die Eröffnung erst wenige Wochen her und das „Kafe´de” - das ist übrigens türkisch und heißt übersetzt „im Cafe” - muss sich noch etablieren. „Ein Restaurant in der Nähe hat vor zwei Jahren ums Eck aufgesperrt und am Anfang war auch dort wenig los. Jetzt ist es jeden Abend voll”, sagt Kilinc und hofft auch auf einen ähnlichen Geschäftserfolg. Neben Kaffee, Tee und Snacks bietet Kilinc ihren Gästen Frühstück wie auch ein täglich frisch zubereitetes Mittagsmenü. Ein kleines, aber feines Angebot, das zudem mit internationalem Flair punktet. Denn neben österreichischen Speisen wie Krautrouladen, Rindsschnitzel oder Semmelknödeln findet man auch Couscous mit Gemüse, Börek oder Baklava auf der Karte. In der Türkei geboren, hat Kilinc ihre eigene Internationalität in ihre Selbstständigkeit eingebracht. „Ich wollte nie ein Lokal mit rein türkischen oder rein österreichischen Speisen. Sondern immer gemischt”, so Kilinc. Doch allen guten Vorzeichen zum Trotz, ließen die erste Herausforderungen nicht auf sich warten. Denn gleich nach ihrer Eröffnung wurde die Straße aufgestemmt und mit Bauarbeiten an der Wasserleitung begonnen. „Sie haben gesagt, dass sie nächste Woche fertig sind. Ich hoffe, das stimmt”, seufzt Kilinc.
Das kann sich hören lassen
Auch für Veronica Nica war die Suche nach einem Hörakustiker-Standort zunächst eine Herausforderung. „Ich habe ein halbes Jahr gesucht, im 1., 3. und im 8. Bezirk”, erzählt Nica. Denn es war ihr wichtig „in einem Bezirk zu sein, in dem Dienstleistung hoch geschätzt wird”. Diese Informationen sowie Standortanalysenholte sie sich bei der WK Wien. Nica ist Hörakustikerin und betreut als diplomierte Pädakusterin auch Kinder. Ihre Motivation ist, Menschen aller Altersgruppen bei Hörproblemen zu unterstützen. „Ich will Jung und Alt dabei helfen, ihr Hörpotenzial voll auszuschöpfen. Das ist meine Lebensaufgabe, deshalb habe ich mich selbstständig gemacht”, so Nica. Denn Hörprobleme lassen mich schon „seit meiner Jugend aufhorchen”, erzählt die engagierte Unternehmerin. Mit Hilfe der WK Wien fand sie dann ihr Geschäftslokal in der Josefstadt, das sie auf den schönen Namen Hörspiel „taufte”. Hier will sie Menschen dabei helfen, die Freude am Hören wiederzuentdecken, schildert sie ihre Motivation: „Gut hören zu können bedeutet für Menschen jeden Alters eine riesengroße Verbesserung der Lebensqualität. Auch Kindern mit Hörverlust durch eine frühzeitige Hörgeräteversorgung eine Hör- und Sprachentwicklung zu ermöglichen und sie in ihrer sozialen Entwicklung zu unterstützen ist mir sehr wichtig.” Die Kunden und die persönliche Beratung stehen bei Nica an erster Stelle. Sie ist stolz darauf, individuelle Lösungen mit der modernsten Technologie anzubieten, die auf die Bedürfnisse ihrer Kunden und ihren Lebensstil zugeschnitten sind. „Als erster Akustiker in Wien und Umgebung bieten wir mit der Hörgeräteanpassung ‚Aurelia’ ein innovatives und modernes Anpassverfahren”, so Nica, die mit ihren Technologien einen Schritt in die Zukunft gehen will. „Ich möchte mich gegen die Ketten behaupten und mit meinem Angebot hervorstechen.”
Viel Nachfrage trifft auf viele freie Lokale
Ein Bezirk, der in mehrerer Hinsicht hervorsticht, ist die Landstraße. Die Nachfrage ist die vierthöchste in ganz Wien - ein Platz, den sichdieser Bezirk ex aequo mit seinem Nachbarn, der Leopoldstadt (2. Bezirk), teilt. Damit hat die Landstraße sogar etwas aufgeholt. Denn noch im Vorjahr lag der 3. Bezirk noch knapp hinter der Leopoldstadt. Es ist ein tolles Fleckchen Erde, zentrumsnah, ausgestattet mit einem guten Freizeitangebot, vielen Parks und angesehener Gastronomie. Industrie ist hier genauso vertreten wie eine breite Palette an Geschäften, vom kleinen Einzelhandelsbetrieb bis hin zur großen Shoppingmall. Die Kaufkraft ist relativ hoch und liegt über dem Gesamtdurchschnitt der Bundeshauptstadt. Und es sind offenbar Konsumenten, die sehr bewusst einkaufen. „Wir haben hier viele treue Kunden. Sehr viele sagen, dass sie 60 Prozent ihres Bedarfs regional einkaufen und betonen das immer wieder”, freut sich Klaus Brandhofer, WK Wien Bezirksobmann: „Es ist nicht nur die Hardware, sondern auch die Software, die in diesem Bezirk stimmt“, sagt Brandhofer und schmunzelt. Andererseits ist der 3. Bezirk auch derjenige, der die meisten freien Lokale verzeichnet. „In den guten Lagen sind freie Geschäfte schnell weg, und in weniger guten dauert es eben eine Weile”, beschreibt Brandhofer. Paradebeispiel für eine Top-Lage ist das Rochusviertel. „Dort brummt es seit Jahrzehnten. Die Frequenz ist super und wenn es zu Leerständen kommt, dauert es nicht lange, und sie sind wieder weg”, weiß Brandhofer, der als Versicherungsmakler selbst ein Büro in der Landstraßer Hauptstraße betreibt.
Leerstandsdauer und Dynamik
„Ein gewisses Maß an Leerstand in der Stadt lässt eine gesunde Dynamik entstehen. Entscheidend ist, dass die Leerstandsdauer der einzelnen Geschäftslokale so gering wie möglich ist, damit Grätzel lebendig bleiben”, gibt Margarete Gumprecht, Obfrau der Sparte Handel in der WK Wien, zu bedenken: „Natürlich gibt es Grätzel, die besser funktionieren und Nebenlagen, die mit Leerständen konfrontiert sind.” In der Landstraße sind es die Randlagen, in denen es etwas dauern kann, bis sich neue Mieter finden. „Außerdem gibt´s tatsächlich Geschäftsflächen mit einem ungünstigen Grundriss. Oder es sind welche, in die viel investiert werden muss, was eine Übernahme erschwert”, gibt Brandhofer zu bedenken. Genauer ansehen muss man sich auch das Preisgefüge in den Seitengassen. „Junge Gründer sind sehr preissensibel. Dazu kommt, dass ein Firmensitz zum Beispiel in der Landstraßer Hauptstraße schon an sich einen gewissen Marketingzweck erfüllt”, beschreibt Brandhofer. Damit bieten diese Adressen einen Mehrwert, den Seitengassen oder Randlagen eben nicht erfüllen. Doch welche Schritte kann man setzen, um Nebenlagen zu attraktiveren? „Wichtig ist, dass alle Stakeholder an einem Strang ziehen”, hält Brandhofer fest: „Denn wenn ein Areal an Attraktivität verloren hat, ist es schwierig, die Lage wieder zu drehen.”