Bauen in Wien: Neue Spielregeln
Wien hat seit kurzem eine neue Bauordnung. Sie bildet das Fundament für die künftige Gestaltung der Stadt. Dekarbonisierung und der Schutz historischer Bausubstanz spielen dabei eine wichtige Rolle.
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Vom Einfamilienhaus am Stadtrand über das gediegene Gründerzeithaus in der City bis zum großen Gemeindebau und den modernen Hochhäusern, die seit der Jahrtausendwende entstanden sind: Wien besteht aus rund 176.000 Gebäuden, jedes unterschiedlich gebaut, ausgestaltet und genutzt. Diese Vielfalt prägt das Stadtbild. Die städtische Architektur spielt aber auch eine wichtige Rolle, wenn es um die effiziente Nutzung von Raum und Ressourcen geht. Und nicht zuletzt beeinflusst die Gebäudestruktur auch die Lebensqualität der Bewohner in entscheidendem Maß. Die Vorschriften für den Neu- und Umbau von Gebäuden sind in Österreich Ländersache. Wien hat seine Bauordnung gerade überarbeitet, die Novelle trat großteils mit 14. Dezember in Kraft. Mehr als ein Jahr lang war daran gearbeitet worden - unter Beteiligung aller Stakeholder. Ergebnis ist ein Regelwerk mit starkem Fokus auf Dekarbonisierung und Altbau-Schutz.
Wien wird grüner
Die neuen Vorschriften forcieren den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen, etwa durch einfachere und schnellere Verfahren. So ist nun z.B. die Errichtung von Erdwärmesonden bewilligungsfrei. Werden Klimaschutzmaßnahmen an einem Gebäude umgesetzt, sind Ausnahmen vom Bebauungsplan zulässig. Außerdem wurde die Pflicht zur Errichtung von Solar- oder Photovoltaikanlagen im Neubau ausgedehnt. Dach und Fassadenbegrünungen wurden erleichtert, bei der Errichtung von Outdoor-Parkplätzen müssen im Verhältnis zur Stellplatz-Anzahl Bäume gepflanzt und E-Ladepunkte errichtet werden. Wird größer renoviert, müssen Innenhöfe entsiegelt werden. Außerdem sollen zwei Drittel von Vorgärten, Abstandsflächen und gärtnerisch auszugestaltenden Flächen unversiegelt bleiben und eine bodengebundene Bepflanzung erhalten.
Altbau-Schutz wird ausgedehnt
Die Bauordnungsnovelle dehnte auch den Schutz für Altbauten aus - für alle Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden. Um eine objektive Beurteilung zu garantieren, ob solche Häuser abgerissen oder saniert werden, bestellt die Behörde die Gutachter dafür nun selbst – und nicht wie bisher der Antragsteller. Bei der Beurteilung, ob eine Sanierung wirtschaftlich zumutbar ist, bleiben jene Kosten außer Acht, die entstehen, weil der Eigentümer Instandhaltungsmaßnahmen unterlassen hat. Damit soll unterbunden werden, dass Gebäude gezielt vernachlässigt werden, um sie dann abreißen und lukrative Neubauten errichten zu können. Umgekehrt werden durch die Sanierung zu erwartende Ertragssteigerungen künftig miteinberechnet. Strengere Richtlinien gibt es weiters auch für Kurzzeit-Vermietungen von Wohnraum – Stichwort Airbnb - und die Errichtung von Einkaufszentren
WK Wien-Intervention verhindert Stillstand in der Stadterneuerung
Die WK Wien war von Beginn an in die Novellierung der Bauordnung eingebunden und konnte einiges für die Betriebe erreichen. So wurde verhindert, dass die Vorschriften für die gärtnerische Gestaltung von Freiflächen auch betriebliche Außenflächen erfassen, die häufig als Lager- oder Rangierfläche gebraucht werden. Weiters konnte die WK Wien Verschärfungen im Zusammenhang mit dem Erhalt des Stadtbildes und die Ausweitung der Schutzzonen- Regelung auf alle Gründerzeithäuser abwenden. Beides hätte nahezu alle Bau- und Umbauarbeiten an Gründerzeitbauten und generell in Schutzzonen unmöglich gemacht. Für Mario Watz, Innungsmeister des Wiener Baugewerbes, ist damit ein essenzieller Schritt gelungen, weil das ein wichtiges Tätigkeitsfeld seiner Branche tangiert. „Die Sanierung von Bestandsgebäuden zählt ja zu den Kernkompetenzen des Wiener Baugewerbes”, betont er. Gebäude zu erhalten schone Ressourcen, stelle aber alle Beteiligten auch vor neue Herausforderungen. Um die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, werde es vieler neuer oder angepasster Verhaltensweisen bedürfen, meint der Branchenobmann. „Die Kreislaufwirtschaft wird ebenso an Bedeutung gewinnen wie das Thema Baustellenverkehr.” Das Baugewerbe sei sich seiner wichtigen Rolle zur Erreichung der herausfordernden Klimaziele jedenfalls bewusst. „Wünschenswert wären aber flankierende Förder- und Unterstützungsmaßnahmen seitens der öffentlichen Hand, um Auftraggebern das Sanieren zu erleichtern”, betont der Innungsmeister.
Neue Aufgabe Bauwerksbuch
Für Baumeister konnte die WK Wien eine wichtige Kompetenzerweiterung erreichen: Sie dürfen künftig Bauwerksbücher erstellen, was bisher Ziviltechnikern und gerichtlich beeideten Sachverständigen vorbehalten war. „Die Forderung der Interessenvertretung wurde gehört”, ist Watz erfreut. Für planerisch tätige Baumeister tue sich damit ein neues Betätigungsfeld auf. Das Bauwerksbuch beinhaltet alle Bauteile, die regelmäßig zu überprüfen sind, weil es gefährlich sein kann, wenn sich ihr Zustand verschlechtert. Bisher war es nur bei Neu-, Zu- und Umbauten notwendig, nun sollen bis 2030 alle Wiener Gebäude erfasst werden.
Wien bleibt lebens- und liebenswert
Auf das Stadtbild habe die Veränderung von Technik und Zeitgeist genauso viel Einfluss wie die jeweilige Bauordnung, meint Watz. Wien werde durch intelligente Planung aber sicherlich eine lebens- und liebenswerte Stadt bleiben - „an manchen Ecken mit modernem Baustil, an anderen klassisch. Wir Baumeisterinnen und Baumeister werden auf alle Fälle unseren Beitrag leisten”.