Ausbilden aus Überzeugung
Der Start des neuen Schuljahrs ist in vielen Betrieben auch Ausbildungsbeginn für neue Lehrlinge. Die jüngsten Zahlen für Wien zeigen: Der Stellenwert der Nachwuchsarbeit ist hier ungebrochen hoch.
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Im Bild (v.l.): Markus Oberbucher vom Floridsdorfer „Schwaigerwirt mit seinen Lehrlingen Philipp und Elias.
Freitagfrüh, 9 Uhr. In der Küche des Floridsdorfer „Schwaigerwirt” - benannt nach der Gasse, in der das Gasthaus liegt - wird schon emsig gearbeitet. „Als Tagesteller gibt es heute steirisches Wurzelfleisch mit Salzerdäpfeln”, sagt Markus Oberbucher, Küchenchef in dem Vorstadtgasthaus, das mit exzellenter Hausmannskost punktet und eine große Fangemeinde hat - nicht nur im Bezirk, sondern weit darüber hinaus. Zu verdanken ist das der guten Küche und auch der gelungenen Social-Media-Arbeit. Oberbucher lässt seine Fans via Facebook stets am Tagesgeschehen im „Schwaigerwirt” teilhaben, was mehr als 54.000 Follower begeistert - für ein lokales Wiener Wirtshaus eine beachtliche Zahl. In einem riesigen Topf kochen schon die Erdäpfel, im Topf daneben köchelt eine Suppe. Küchenchef Oberbucher wird heute von Philipp und Elias unterstützt, zwei seiner insgesamt fünf Lehrlinge.
Elias hat erst Anfang September seine Koch-Lehre begonnen. „Ich durfte gleich von Anfang an überall mitmachen, das gefällt mir”, sagt der 16-Jährige. Für diesen Beruf hat er sich entschieden, weil er es mag, aus verschiedenen Lebensmitteln „etwas zu machen, das gut aussieht und schmeckt”. Schon im dritten Lehrjahr ist sein Kollege Philipp. Die Lehre sei genau so, wie er sie sich vorgestellt hat, sagt der 17-Jährige. Was er besonders mag? „Gulasch kochen. Und wenn es in der Küche stressig ist. Dann lauf’ ich zur Hochform auf”, grinst er. Der Traum des angehenden Jungkochs: Sein eigenes Restaurant.
„Wer, wenn nicht wir selbst?”
Vor knapp acht Jahren hat Markus Oberbucher mit seinen beiden Schwestern das Lokal übernommen. „Damals waren wir zu fünft”, erinnert er sich. Heute zählt der Betrieb 18 Mitarbeiter, darunter weitere drei Familienmitglieder und fünf Lehrlinge, die im „Schwaigerwirt” zu Köchen oder Restaurantfachleuten ausgebildet werden. Nachwuchsarbeit ist für die Oberbuchers selbstverständlich. „Damit es Fachkräfte gibt, muss sie irgendwer ausbilden. Und wer soll das sein, wenn nicht wir selbst, die Wirte?”, sagt der Gastronom. Ihm sei es auch wichtig, sein eigenes Wissen und Können an die Jugend weiterzugeben.
Vom Lehrling zur Führungskraft
Das Wiener Elektroinstallationsunternehmen Emmerich Csernohorszky GmbH ist einer der 192 Wiener Betriebe, die das „Top Lehrbetrieb”-Gütesiegel tragen - ein Qualitätsprädikat für exzellente Lehrlingsarbeit. Neun junge Burschen haben hier soeben ihre Ausbildung zu Elektrotechnikern begonnen. Ihre zweite Arbeitswoche startet mit einem Willkommenstag: Ausbildungsverantwortlicher Manfred Huber macht sie mit Personen, Räumlichkeiten und Gepflogenheiten im Unternehmen vertraut. „Mein Bruder hat Elektrotechniker gelernt, das hat mein Interesse geweckt”, erzählt der 17-jährige Raul, der zuvor eine HTL besucht hat. „Praktisch arbeiten finde ich aber besser”, begründet er den Umstieg auf die Lehre. Wie seine acht Kollegen hat auch er die ersten Tage der Lehre bereits auf Baustellen verbracht. „Wir nehmen die neuen Lehrlinge von Anfang an mit, sie dürfen zuerst zusehen und dann Schritt für Schritt selbst probieren”, sagt Huber. So funktioniere die Wissensvermittlung am besten. Mit 41 Lehrlingen zählt Csernohorszky zu den größeren Ausbildungsbetrieben im Wiener Gewerbe. „Für uns ist die Lehrlingsausbildung ein wichtiges Mitarbeiter-Rekrutierungsinstrument und Entwicklungstool für unsere Führungskräfte”, sagt Nikolaus Csernohorszky, Geschäftsführer des 1911 gegründeten Familienbetriebs. Er betont, dass es auf allen Ebenen des Unternehmens Führungskräfte gibt, die mit einer Lehre bei Csernohorszky begonnen haben. Ausbildungsleiter Huber findet übrigens, dass sich das Image der Lehre verbessert hat. „Vielen Jugendlichen ist bewusst, dass man als Fachkraft gutes Geld verdienen kann. Die Elektrotechnik ist außerdem ein interessanter Bereich.”
Wien ist österreichweit Spitze
Alljährlich beginnen rund 5000 Menschen eine Lehre in einem Wiener Unternehmen - viele davon im September, wenn mit dem neuen Schuljahr auch das Berufsschuljahr startet. Wie FOKUSviele genau es heuer sind, lässt sich wohl erst in einigen Wochen sagen, wenn alle Lehrverträge registriert sind. Die bisherige Entwicklung ist jedenfalls erfreulich: Wiens Lehrbetriebe verzeichneten heuer in jedem einzelnen Monat höhere Lehrlingszahlen als im Vorjahres-Vergleichsmonat - zuletzt im August um 3,9 Prozent mehr (siehe Grafik unten). Umso beachtlicher, als bereits 2023 in Wien ein sehr starkes Lehrlingsjahr war. Im österreichischen Durchschnitt stagnierten dagegen heuer die Lehrlingszahlen oder gingen sogar leicht zurück. Für die WK Wien ist diese erfreuliche Entwicklung eine Bestätigung dafür, dass die kontinuierliche Imagearbeit greift und die Lehre zunehmend als Ausbildung mit Potenzial und gleichwertige Alternative zu schulischen Bildungswegen wahrgenommen wird. Auch in den Betrieben steigt das Bewusstsein dafür, dass selbst Ausbilden das effektivste Mittel gegen Fachkräftemangel ist. „Wir haben heute in Wien um 100 Ausbildungsbetriebe mehr als vor fünf Jahren”, betont WK Wien-Präsident Walter Ruck.
Lehre am Puls der Zeit halten
Auch die laufende Modernisierung der Lehre trägt zu ihrer Attraktivierung bei. Seit 2015 gab es 16 Lehrberufspakete. 110 bestehende Ausbildungen wurden damit aktualisiert und zwei Dutzend Lehrberufe neu geschaffen. „Die Wirtschaftskammer, vor allem die Branchenvertretungen, spielen in diesem Prozess eine wichtige Rolle und sind oft Initiator der Modernisierung”, betont Ruck. Heuer wurde weiters mit der Höheren Beruflichen Bildung die Möglichkeit geschaffen, mit dem Lehrabschluss über definierte Bildungspfade zu höheren berufspraktischen Abschlüssen zu gelangen, die gleichwertig mit akademischen sind. „Das steigert die Attraktivität der Lehre und fokussiert auf jene High Potentials, die die Wirtschaft braucht”, so Ruck. Die konkreten Bildungspfade für die einzelnen Berufe werden aktuell ausgearbeitet.
Jugendarbeitslosigkeit eindämmen
Auch wenn Wien in Sachen Lehrlinge auf eine gute Entwicklung verweisen kann: Die Arbeitslosigkeit ist auch hier zuletzt gestiegen, wenn auch geringer als österreichweit. Am stärksten betroffen: Die Gruppe der 15- bis 24-Jährigen. Um gegenzusteuern, haben die Wiener Sozialpartner und die Stadt Wien gemeinsam ein Maßnahmenpaket vorgestellt. Dass laut Schätzungen von Statistikern die Zahl der jungen Menschen in Wien in den nächsten zehn Jahren deutlich steigen soll, sei ein riesiges Potenzial für die Stadt, betont Ruck. „Wir müssen alles dafür tun, um den Anteil dieser Bevölkerungsgruppe auch am Arbeitsmarkt zu erhöhen.” Ein zentraler Punkt ist die Stärkung der Lehre, etwa durch ein Stipendium für erwachsene Lehrlinge, um Ausbildungsabbrüche aus finanziellen Gründen zu verhindern. Weil Lehrlingsausbildung Kontinuität braucht, fordert Ruck weiters die längerfristige Absicherung der Lehrbetriebsförderung sowie der überbetrieblichen Lehrausbildung. Auch für die Rücknahme der geplanten Kürzungen beim AMS-Budget machen sich die Sozialpartner stark und fordern stattdessen eine höhere Dotierung - weil es, so Ruck, den Aufgaben folgen müsse” - und die Evaluierung des Ausbildungspflichtgesetzes. Für dessen Umsetzung brauche es ebenso mehr Mittel, weil der Aufgabenbereich gewachsen sei. Nicht zuletzt müsse die nächste Bundesregierung auch gezielt in zugewanderte Jugendliche investieren - durch Maßnahmen zum Erwerb von Basisqualifikationen und die Förderung des Erlernens der deutschen Sprache. „Mehrsprachigkeit ist ein großes Plus, solide Kenntnisse der deutschen Sprache sind für ein gutes berufliches Fortkommen aber unerlässlich”, unterstreicht Ruck.