„Gesundheit neu denken!“ – Rezepte und Ideen für das Gesundheitssystem

ExpertInnen-Manifest zeigt Handlungsbedarf auf und gibt Lösungsvorschläge

Lesedauer: 3 Minuten

10.10.2023

„Gesundheit neu denken!“ – das hat sich eine Runde von renommierten ExpertInnen aus verschiedenen Bereichen des Gesundheitssystems als Motto genommen. Die gesammelten Ideen sind nun im gleichnamigen Manifest gebündelt, das heute präsentiert wurde. 

Die langfristige Finanzierbarkeit von hochwertigen Leistungen ist dabei ein Knackpunkt, wie Martin Gleitsmann, Leiter der Abteilung Sozial- und Gesundheitspolitik in der WKÖ, erläuterte: „Das österreichische Gesundheitssystem ist teuer – allein 10,2% des BIP entfallen auf diesen Bereich. Trotz dieser hohen Ausgaben – und einer extrem hohen Dichte an Ärzten und Spitalsbetten – haben wir in Österreich das Problem, dass wir das Ziel besonders viel gesund erlebter Lebensjahre im Alter nicht erreichen“, so Gleitsmann.

„Es muss das dezidierte Ziel sein, mehr Selbstverantwortung der Menschen zu erreichen und ihre Gesundheitskompetenz zu stärken. Gleichzeitig haben wir aber auch Aufholbedarf bei Transparenz und Effizienz des Gesundheitssystems, wie der internationale Vergleich zeigt.“

„Wenn Menschen mit Gesundheitsproblemen möglichst früh in den Erwerbsprozess zurückkehren können, ist damit nicht nur diesen geholfen, sondern auch unseren Betrieben, die unter dem immer ausgeprägteren Fachkräftemangel leiden“.

Bachinger: Patienten ins Boot holen

„Wir brauchen einen Kulturwandel zur Eigenverantwortlichkeit“, unterstrich Gerald Bachinger, Sprecher der Patientenanwälte. „Wir müssen die Bürger und Patienten zu Betroffenen machen, sie sollten sich als Co-Produzenten ihrer Gesundheit verstehen. Wir müssen also jeden einzelnen als Ruderer ins Boot holen“. Dabei geht es nicht nur um die Individualtherapie, sondern auch etwa um Primärversorgung. Von 1000 Fällen sind 900 durch Selbsthilfe zu lösen, zeigen Statistiken. Die wichtigste Ansatzstelle liegt daher zwischen Laiensystem und Primärversorgungseinheiten. „Wenn es uns gelingt, hier anzusetzen, haben wir eine riesige Entlastung des Gesundheitssystems“. 

Rupp: Lebenslanges Unterstützen bei chronischen Erkrankungen

Das 21. Jahrhundert wird geprägt durch chronische Erkrankungen, die das System vor ganz neue Herausforderungen stellen. So haben rund 2,4 Millionen Österreicher dauerhafte Gesundheitsbeschwerden. Chronische Erkrankungen verursachen schon jetzt 80 % der Kosten und erfordern multiprofessionelle Leistungen.

Neben den tradierten ärztlichen Tätigkeiten werden zunehmend die Kompetenzen der anderen Gesundheitsberufe (Pflege, medizinisch-technische Berufe, PsychologInnen, ApothekerInnen etc) gefragt und gefordert sein. „Das Thema Substitution wird also wichtig sein, es geht aber auch um Supplementarität – also ein lebenslanges Unterstützen und Begleiten der chronisch kranken Menschen. Hier werden sehr viele Berufsgruppen gefordert sein“, erläuterte AK NÖ-Gesundheitsökonom Bernhard Rupp. Arbeitsschutz, betriebliche Gesundheitsförderung und Wiedereingliederung müssen zukünftig besser verzahnt werden.

Höltl: Arbeitsplatz ist Hotspot für Gesundheitsprävention 

„Wenn wir über Gesundheit reden, ist der Arbeitsplatz ein ganz wesentliches Setting. Angefangen bei den Jungen, die in den Job einsteigen, bis zu den Älteren am Ende des Berufslebens, gilt es zu begleiten, auch präventiv“, unterstrich Eva Höltl, Arbeitsmedizinerin im Gesundheitszentrum der Erste Bank. Settings wie der Arbeitsplatz spielen eine zentrale Rolle für die Vermittlung von Gesundheitskompetenzen – ein Aspekt, der bisher kaum genutzt wurde. Sie betonte, dass ArbeitsmedizinerInnen hier viel mehr informieren, begleiten sollten.

Vor allem die steigende Zahl an psychischen Erkrankungen – sie sind mittlerweile die häufigste Ursache für frühzeitige Pensionierungen – zeige den Handlungsbedarf, unterstrich die Expertin. „Wenn wir Gesundheit und Arbeitsmarkt gemeinsam betrachten, spielen psychische Erkrankungen eine riesengroße Rolle – hier müssen wir ansetzen“.

Heinisch: Integrierte Behandlungsqualität stärken – Bürokratie entrümpeln 

Die maßgeblichen Faktoren für integrierte Qualität über die jeweiligen Sektoren des  Gesundheitswesen hinweg, beleuchtete Michael Heinisch, Geschäftsführer der Vinzenz Gruppe. „Derzeit behindern Kompetenzwirrwarr und unterschiedliche Finanzierungslogiken die integrierte Qualität für die Patientinnen und Patienten.“

„Wir haben zu viele Regeln, die vorgeben, wie wir Qualität im Gesundheitswesen sicherstellen – hier braucht es dringend eine Entrümpelung-Reform. Die Balance zwischen Regulierung und Überregulierung muss wiederhergestellt werden“

Czypionka: Mehr Mut zum Experimentieren!

IHS-Gesundheitsökonom Thomas Czypionka kritisierte, dass im System oftmals die Möglichkeit zu experimentieren fehlt. „Vieles wird am grünen Tisch geplant, in der Theorie weiß man, was richtig wäre. Doch im Feld wird dies nicht getestet. Daher fordern wir in unserem Manifest unter anderem einen Experimentierparagrafen, der den Freiraum gewährt, Erfahrungen zu sammeln.“

Viele Daten werden im Gesundheitssystem gesammelt und verwaltet, aber nicht richtig genutzt, so der Experte. Der Wissenschaft fehlen oft Möglichkeiten zur Datenauswertung, um einzelne Maßnahmen evaluieren zu können. Man nehme sich damit die Möglichkeit, Entscheidungen evidenzbasiert treffen zu können. In anderen Ländern habe man diese Problematik erkannt und stelle Daten sowie auch Mittel für die Analysen bereit.

Das Manifest finden Sie hier.

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