EU-Verbraucherschutz „quo vadis“?
Wo drückt die Unternehmen der Schuh? - Rückblick zur Veranstaltung am 11.12.2017
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Die Europäische Kommission hat zahlreiche EU-Verbraucherschutz-Richtlinien (u.a. RL über unlautere Geschäftspraktiken; RL über missbräuchliche Klauseln; die Verbrauchsgüterkaufs-RL, die die Gewährleistung regelt) einem Fitness-Check unterzogen und auch die Verbraucherrechte-RL evaluiert. Bis Anfang Oktober konnten sich die beteiligten Verkehrskreise zu möglichen Maßnahmen für eine „targeted revision“ von EU-Verbraucherschutzbestimmungen im Rahmen einer öffentlichen Konsultation äußern.
Wohin die Reise im EU-verbraucherschutz gehen könnte bzw. welche Route eingeschlagen werden sollte, wurde im Rahmen der außerordentlich gut besuchten Veranstaltung am 11. Dezember 2017 mit hochkarätigen Vortragenden und einer anschließenden Podiumsdiskussion näher erörtert.
Herr Dr. Peter Bischoff-Everding, stellvertretender Referatsleiter „Verbraucher- und Marketingrecht“, Generaldirektion Justiz und Verbraucher, Europäische Kommission, gab in seinem Vortrag zunächst Einblick in die Ergebnisse des Fitness-Check zum EU-Verbraucherrecht, wobei er einleitend auch den aktiven Input der WKÖ bei diversen Konsultationen als zwar kritisch, aber inhaltlich fundiert würdigte. Das Ergebnis des anhand von Kriterien, wie Effektivität, Effizienz, Kohärenz, Relevanz, EU-Mehrwert durchgeführten Fitness-Check habe gezeigt, dass die überprüften Richtlinien insgesamt nach wie vor - auch im digitalen Binnenmarkt – überwiegend „fit for purpose“ sind, sofern sie wirksam angewendet und durchgesetzt werden.
Das Verbrauchervertrauen in die Unternehmen sei EU-weit im Zeitraum 2006-2016 von 62% auf 76% gestiegen, jenes in grenzüberschreitende online-Käufe von 10% auf 58% und 2/3 der Verbraucher sehen für ihre Kaufentscheidung Verbraucherrechte als „(sehr) wichtig“ an. Verbesserungspotential ergäbe sich aus Sicht der Kommission u.a. im Hinblick auf den Wissensstand über Rechte bzw. Pflichten und die Rechtsdurchsetzung, da weiterhin ein relativ hoher Anteil an Rechtsverstößen festzustellen sei. Es werde z.B. über eine Verschärfung von Sanktionen bei Verstößen in Form von Mindestanforderungen bzgl. Bußgeldern und die Schaffung von individuellen Ansprüchen bei Verstößen gegen die unlautere Geschäftspraktiken-RL nachgedacht. Dr. Bischoff-Everding erläuterte in diesem Zusammenhang auch, dass die Stoßrichtung der Verbesserung der Durchsetzung auch mit der jüngst beschlossenen neuen Verbraucherbehördenkooperations-VO verfolgt wurde, die die grenzüberschreitende behördliche Zusammenarbeit und Durchsetzung stärkt. Die derzeit angedachten weitergehenden Regelungen würden die neue Verbraucherbehördenkooperations-VO ergänzen und zu ihrer praktischen Wirksamkeit beitragen.
Die Überlegungen zur Revision der Unterlassungsklags-RL gehen in die Richtung einer Verbesserung der Möglichkeiten, um verbraucherrechtswidrige Verhalten zu stoppen, aber darüber hinaus auch deren Folgen mittels kollektiver Rechtsverfolgung zu beseitigen. So könnten u.U. Klagen auf Unterlassung und Schadenersatz verbunden werden, um z.B. bei Massenschadensereignissen eine Rechtsdurchsetzung zu erleichtern und wirksamer zu gestalten. Den von der Wirtschaft herangetragenen Befürchtungen der Unternehmen gegenüber Instrumenten der kollektiven Rechtsdurchsetzung müsste aber jedenfalls durch geeignete Maßnahmen zur Verhinderung von Rechtsmissbrauch Rechnung getragen werden. Nach derzeitigem Stand könnte mit der Vorlage entsprechender Richtlinienvorschläge durch die Kommission u.U. am 11. April 2018 gerechnet werden.
Frau Univ.-Prof. Dr. Brigitta Zöchling-Jud, Universität Wien, ortete in ihrem Referat unter dem Titel „Ist die Verbraucherrechte-RL fit für KMU?“ einigen Handlungsbedarf des europäischen Gesetzgebers bei der Verbraucherrechte-RL, um den zentralen Anliegen der Unternehmen nach Rechtssicherheit, Klarheit, Rechtsvereinfachung und praktikablen Lösungen Rechnung zu tragen. Den „information overload“ als grundsätzlichem Problem im europäischen Verbraucherschutzrecht sollte in der Verbraucherrechte-RL zumindest durch inhaltliche Vereinfachung Rechnung getragen werden.
Frau Pof. Zöchling-Jud regt diesbezüglich z.B. eine erleichterte, einheitliche Widerrufsbelehrung im Rahmen eines Standardinformationsformulars oder auch den Entfall z.B. der Informationspflicht über das Nichtbestehen des Widerrufsrechts an und sieht auch Klarstellungsbedarf hinsichtlich des Umfangs der nochmaligen Information über die Eigenschaften der Ware bei der sogenannten Buttonlösung in Webshops. Besonderes Augenmerk gilt es auch der praktischen Probleme „gemischter“ Verträge (umfassend Waren und Dienstleistungen) zu schenken, zumal hier die richtige rechtliche Einordnung des Vertrages Voraussetzung für eine richtige Widerrufsbelehrung bildet.
Dass Fehler u.a. bei der Widerrufsbelehrung drastisch sanktioniert sind, wirft die Frage der Verhältnismäßigkeit- und Grundrechtswidrigkeit auf. Frau Prof. Zöchling-Jud erachtet es als außerordentlich bedauerlich, dass der damit bereits befasste VfGH diesbezüglich – als Höchstgericht – keine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt hat und sieht daher den Handlungsbedarf des europäischen Gesetzgebers umso mehr gegeben. Im Sinne von mehr Verhältnismäßigkeit schlägt Zöchling-Jud u.a. vor, kein Widerrufsrecht vorzusehen, sobald mit der Dienstleistung begonnen wurde, wenngleich grundsätzlich eine Ausnahme für vom Verbraucher selbst angebahnte Geschäfte von den Vorgaben für AGV nach wie vor die beste Lösung wäre. Kein Widerrufsrecht sollte es auch bei Waren geben, die im Fernabsatz bestellt und dann nicht nur ausprobiert, sondern auch benutzt wurden. Sinnvoll wäre auch eine Bagatellgrenze bei Fernabsatzgeschäften für geringfügige Geschäfte (z.B. Nagellack).
Im Anschluss an die zwei Vorträge fand eine Podiumsdiskussion unter der souveränen Moderation von Mag. Benedikt Kommenda statt.
Hon. Prof. Dr. Johannes Stabentheiner, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Justiz, sieht die Position des BMJ in der Mitte zwischen den Bedürfnissen der Verbraucher und den Interessen der Unternehmer. Auch er sieht im europäischen Verbraucherrecht den „information overload“ von zu dichten Regelungen. Bei den europäischen Regelungen sollte im Vorhinein immer abgewogen werden, mit welchen Kosten eine bestimmte Maßnahme für betroffene Unternehmer verbunden ist und welchen Nutzen der Verbraucher tatsächlich hat. Österreich hat ein gut funktionierendes Rechtsdurchsetzungssystem, sodass es aus seiner Sicht keiner europäisch vereinheitlichten Geldbußen und keiner weiteren EU-Regelung von Rechtsbehelfen bedarf, wie sie z.B. im Hinblick auf die unlautere Geschäftspraktiken-RL angedacht sind.
Für MMag. Erika Ummenberger-Zierler, Abteilungsleiterin im BMWFW, ist die Einhaltung des Rechts bzw. möglichst wenige Verstöße Ziel eines effektiven Rechtsstaats, und nicht viele Verfahren und hohe Geldbußen. Österreich habe u.a. auch durch Mitbewerberklagen ein sehr effektives Vollzugssystem, was sich z.B. in den guten Ergebnissen div. Scoreboards widerspiegle. Dass neue Regelungen in Angriff genommen werden und zum Teil intransparente Konsultationen stattfinden, bevor gerade beschlossene, wie etwa die Verbraucherbehördenkooperations-VO, in Kraft getreten sind und Wirkung entfalten können, sieht sie kritisch. Konsumentenschutz sei zwar sinnvoll, überbordende Vorgaben, z.B. bei der Gewährleistung, bergen aber die Gefahr negativer Auswirkungen auf Wettbewerb und Arbeitsplätze durch verstärkte Konzentration und Verdrängung, da solche von großen Unternehmen leichter eingehalten werden können, als von den 99% KMU.
Auch Mag. Gabriele Zgubic-Engleder, Abteilungsleiterin der Abteilung Konsumentenschutz der Arbeiterkammer Wien, sieht die Ursache des Zustandekommens der komplexen europäischen Regelungen im europäischen Gesetzgebungsprozess, da hier viele verschiedene Institutionen zusammenwirken. Der Maximalharmonisierung steht Frau Mag. Zgubic-Engleder kritisch gegenüber, da diese die Gefahr birgt das Verbraucherschutzniveau in den Mitgliedstaaten abzusenken. Speziell bei der Gewährleistung spielt die Rechtsdurchsetzung im Verbraucherschutz ein zentrales Thema.
Beim Thema komplexe Informationspflichten gäbe es ihrer Meinung nach einen Verhandlungsspielraum für Vereinfachungen.
Mag. Huberta Maitz-Straßnig, WKÖ, kritisiert die „Regulierungsmaschinerie“ und das komplexe Regelungsumfeld mit immer höherem Niveau, wie z.B. geplante Verschärfungen im Gewährleistungsrecht, das KMU nicht mehr schultern können. Bürokratie und Rechtsunsicherheit bei der Verbraucherrechte-RL, vor denen die WKÖ schon während der Verhandlungen gewarnt habe, gilt es zu sanieren, statt u.a. drastische Geldstrafen und neue EU-Rechtsbehelfe zu überlegen. „Beraten statt strafen und klagen“ solle die Devise sein und Verbraucherschutz dürfe nicht zur Falle für KMU werden. Bei der Rechtsdurchsetzung gebe es nicht ein Problem „in der EU“, sondern in manchen Staaten, wie die gravierenden Unterschiede des Consumer Scoreboard und die guten Werte für Ö zeigen. Es bedarf keiner EU-Regulierung, sondern gezielter Maßnahmen in Ländern, wo die Durchsetzung offenbar nicht so gut funktioniert.
Das große Interesse an dem Thema „europäischer Verbraucherschutz“ zeigte sich in reger Teilnahme an der Diskussion aus dem Publikum.