Zwangslizenzen | Patent-Paket
Position der WKÖ | Stand März 2024
Lesedauer: 6 Minuten
Im Zuge des Patent-Pakets wurde ein Verordnungsvorschlag zu Zwangslizenzen eingebracht, der eine Ergänzung der Kriseninstrumente der EU vorsieht.
Eine Zwangslizenzierung von Patenten ermöglicht es einem Staat, die Verwendung einer patentierten Erfindung ohne Zustimmung des Patentinhabers in einer Krisensituation zu genehmigen.
Allgemein
Patente sind ein Schlüssel für Innovationstätigkeit. Die Höhe der Industrialisierung einer Region und der dadurch erreichte Wohlstand für die Bevölkerung korreliert direkt mit der Stärke und Durchsetzbarkeit von Patenten. Das Abschwächen oder Infragestellen von Patentschutz führt direkt zu Deindustrialisierung und in weiterer Folge zu Wohlstandsverlust.
Was den Gesundheitsbereich betrifft, hat sich gezeigt, dass in der COVID-Pandemie das patentbasierte Innovationssystem der Industriestaaten – und die daraus erzeugten Kooperationsprojekte – die Entwicklung wirksamer Impfstoffe und Therapeutika in sehr kurzer Zeit ermöglicht hat. Insofern lässt sich nicht nachvollziehen, welche Lücke die Europäische Kommission mit dem Verordnungsvorschlag zu schließen sucht.
Dazu wird darauf hingewiesen, dass ein Produkt (zB Impfstoff) sehr selten lediglich durch ein einziges Patent geschützt ist. Im Fall einer Zwangslizenzierung müssten nicht nur eine Reihe von Stoff- und Verfahrenspatenten, die mit dem geschützten Produkt in Zusammenhang stehen („Patentfamilien“) lizenziert, sondern auch Technologieplattformen per Zwangslizenz geöffnet werden. Das lässt sich in der Praxis nicht TRIPS-konform weder für einen bestimmten Zweck noch zeitlich begrenzen.
Die Wirtschaftskammer Österreich betont weiterhin ausdrücklich, dass der Freiwilligkeit von Lizenzierungen durch Patentinhaber der unbedingte Vorrang einzuräumen ist. Zwangslizenzen behindern Innovationsprozesse und führen dazu, dass Projekte, die mit Risikokapital finanziert werden müssen, schon in der Anfangsphase scheitern. Demgemäß dürfen Zwangslizenzen nur das allerletzte Mittel, die „ultima ratio“ sein, das zur Verfügung steht, wenn ein Abschluss freiwilliger Vereinbarungen wirklich unmöglich ist.
Für solche Fälle befürworten wir grundsätzlich ein schlankes, harmonisiertes und damit vorhersehbares System der Vergabe von Zwangslizenzen im Binnenmarkt statt eines „Fleckerlteppichs“ verschiedener Verfahren in den Mitgliedstaaten. Können Lieferketten die Bereitstellung notwendiger Leistungen/Waren im „Krisenfall“ nicht leisten, werden staatliche/behördliche Instrumente, die dieses Funktionieren tatsächlich gewährleisten können, unterstützt.
Ein solches Instrument darf aber kein Mittel zur Erzielung wirtschaftlicher Vorteile weder für Begünstigte noch für andere Zwecke außerhalb einer Krisenbewältigung in Europa (zB erzwungener Technologietransfer in Schwellenländer) sein.
„Begünstigte Dritte“ dürfen die Erfindung ausschließlich zur Beteiligung an der Krisenbewältigung im Sinn einer Förderung des Gemeinwohls oder der öffentlichen Sicherheit in Europa nutzen und nicht für eigene kommerzielle Zwecke. Weiters müssen geeignete Unternehmen auch in einem solchen Fall der Vergabe von Zwangslizenzen die Möglichkeit haben, Lizenzen unter privatwirtschaftlichen patentrechtlichen Voraussetzungen beantragen zu können. Die Patentinhaber müssen in jedem Fall ein Mitspracherecht haben und eine angemessene Vergütung zuerkannt bekommen.
Im Einzelnen
Harmonisierung
Der Verordnungsvorschlag geht über den Charakter einer Harmonisierungsmaßnahme hinaus. Nach Ansicht der Wirtschaftskammer Österreich ist eine Richtlinie, die die nationalen Vorschriften für Zwangslizenzen im Binnenmarkt harmonisiert, viel besser geeignet (vgl. Option 2 der Präsentation der Europäischen Kommission in der Ratsarbeitsgruppe IP vom 12.1.2024).
Damit würden die nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten im Sinn der Rechtssicherheit harmonisiert, es gäbe im „Krisenfall“ einen verpflichtenden Informationsaustausch zwischen betroffenen Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission, was unserer Einschätzung nach zu einer effizienteren Vorgangsweise als der vorgeschlagenen führen würde.
Dies auch deshalb, da im Sinn der Verhältnismäßigkeit nicht mehr festgelegt werden müsste, wie viele Länder oder Einwohner der EU von einer „Krise“ mindestens betroffen sein müssen, um eine unionsweite Zwangslizenz zu rechtfertigen. Auch die Frage, welche Behörden in betroffenen Mitgliedstaaten zuständig sind, ließe sich so besser lösen.
Fehlende Definition von „Krisensituation“
Angesichts der Vielfältigkeit von „Krisen“ (Gesundheitskrisen, Cyberangriffe, Energiekrisen, Naturkatastrophen, etc.) stellt sich auch nach der vorangegangenen Konsultation die Frage, ob eine Initiative nach dem Motto „one size fits all“, hier auch tatsächlich Anwendung finden kann.
In diesem Zusammenhang weist die Wirtschaftskammer Österreich darauf hin, dass ein bloßer Verweis auf die Begriffe „Krise“, „krisenrelevante Produkte“ und „Kriseninstrumente“ auf die im Anhang des Verordnungsvorschlag genannten fünf EU-Verordnungen keinesfalls ausreicht. Im Sinn der Rechtssicherheit sind konkrete und einschränkende Definitionen im Text des Vorschlags unbedingt notwendig.
Bei Arzneimitteln und Medizinprodukten sollte zB ausschließlich erst die Ausrufung einer Gesundheitliche Notlage auf Unionsebene im Sinn von Artikel 23 der Verordnung (EU) 2022/2371 die Erteilung von Zwangslizenzen in den Zustand der Aktivierbarkeit überführen dürfen, sofern der Zugang zu den benötigten Produkten im Wege von Kooperationen nicht erzielbar ist. Die immer wieder aus verschiedenen Gründen auftretenden Lieferengpässe sollen keinesfalls als Auslöser einer „Krisensituation“ angesehen werden dürfen.
Umfang der Lizenz
Es muss klargestellt sein, dass jede Lizenz nur soweit eingeräumt wird, als ihre Verwertung als ultima ratio zwingend notwendig und sichergestellt ist, dass ein darüberhinausgehender Anwendungsbereich von vornherein ausgeschlossen ist. Das soll in Art 8 ausdrücklich präzisiert werden.
Gemäß § 37 des österreichischen PatG sind Umfang und Dauer einer Zwangslizenz auf den Zweck zu begrenzen, der sie erforderlich gemacht hat; sonstige Bedingungen der Benützung sind unter Berücksichtigung der Natur der Erfindung und der Umstände des Falles festzusetzen. Daraus ergibt sich, dass durch den Entwurf der EU-Kommission keine unbeschränkten Möglichkeiten zur Ergänzung und damit der Ausweitung von Zwangslizenzen durch Begleitmaßnahmen zukommen dürfen.
Keine Erstreckung von Zwangslizenzen auf Patentanmeldungen
Eine Erstreckung von Zwangslizenzen auf Patentanmeldungen würde in jedem Fall innovationshemmend wirken und zu restriktivem Anmeldeverhalten in den Mitgliedstaaten der Union führen (zB Geheimhaltung statt
Offenlegung bei Technologieplattformen). Ebenso soll es keine Zusammenarbeitsverpflichtung hinsichtlich der Preisgabe von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sowie Know-how geben.
Vergütung
Eine Vorab-Beschränkung der Höhe nach wird abgelehnt. Diese erscheint nicht gerechtfertigt und kann einem enteignungsgleichen Eingriff gleichkommen, wenn zwischen dem wirtschaftlichen Wert der Lizenz und der Vergütung eine gravierende Divergenz besteht.
Rechtsschutz
Den Rechteinhabern müssen nach dem Rechtsstaatsprinzip effektive Rechtsbehelfe gegen die Erteilung von Zwangslizenzen und die damit verbundenen Einschränkungen ihrer Eigentumsrechte gewährt werden. Rechteinhaber müssen in jedem Fall die Möglichkeit haben, eine Zwangslizenz durch Nachweis der Produktionskapazitäten oder Kooperationsvereinbarungen abzuwehren. Dies insbesondere auch deshalb, da eine Rückkehr zum Schutzzustand nach einer Krisensituation in der Praxis schwierig bis unmöglich sein kann.
Zusammenfassung
In Erwägung obiger Ausführungen sei zusammenfassend nochmals betont, dass die Wirtschaftskammer Österreich eine weitere Befassung mit dem Entwurf erst nach grundlegender Überarbeitung und Beseitigung der angeführten Problemfelder als zweckmäßig erachtet, denn wie eingangs erwähnt, gibt es in Europa durch Patente keine Hürden hinsichtlich des Zugangs zu innovativen Produkten. Wie die COVID-Pandemie gezeigt hat, haben sich solche Hürden ausschließlich aus Problemen in der Lieferkette ergeben, die auch in Europa durch die Unterbrechung des freien Warenverkehrs (Durchsetzungsversagen der Europäischen Kommission) eingetreten sind.
In technischer Hinsicht sei wiederholt, dass sich Zwangslizenzen auf den Umfang des unbedingt Erforderlichen zu beschränken haben; die gesetzten Maßnahmen müssen Ausnahmecharakter haben. Sobald die „Krise“ beendet ist bzw. von den zuständigen Behörden für beendet erklärt wird, sind solche Anordnungen aufzuheben, da sie dann nicht mehr rechtmäßig sind.
In diesem Kontext erachtet die Wirtschaftskammer Österreich eine Harmonisierungsmaßnahme der einschlägigen nationalen Vorschriften wie oben unter „Harmonisierung“ beschrieben, zB durch eine Richtlinie, nicht nur für absolut ausreichend, sondern auch noch für wesentlich effizienter als den gegenständlichen Entwurf. Argumente der Art, es brauche eine Verordnung als Druckmittel zur Erreichung freiwilliger Lizenzvereinbarungen, lehnt die Wirtschaftskammer Österreich strikt ab, ebenso, dass eine Verordnung dazu dienen soll, das TRIPS-Abkommen zu ergänzen oder gar in dieses einzugreifen.
Völlig unverständlich ist auch die Vorgangsweise, das Dossier über Zwangslizenzen aus dem „EU-Patentpaket“, zu dem auch die Dossiers über die Standardessentiellen Patente und die Ergänzenden Schutzzertifikate gehören, ohne Not und unvermittelt „herauszubrechen“, anstatt diese – wie ursprünglich geplant – gemeinsam zu be- und verhandeln.
Die Wirtschaftskammer Österreich sieht hier überhaupt keinen Grund, weshalb gerade zum Vorschlag der Zwangslizenzen eine Allgemeine Ausrichtung mit Ende April 2024 erreicht werden soll, und fordert eine angemessene Auseinandersetzung in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe; insbesondere eine vertiefte Diskussion mit der in der oben genannten Präsentation der Kommission angeführten Option 2 – Harmonisierung der Regelungen der Mitgliedstaaten über Zwangslizenzen.