Lehrlingskrise
Lesedauer: 2 Minuten
Die gegenwärtige Coronakrise hat Auswirkungen in den verschiedensten Bereichen: So hat sich die ohnedies angespannte Situation um ausreichende Bewerber um Lehrstellen weiter verschärft. Distanzvorschriften erschweren den Unternehmen den Zugang zu den Jugendlichen, gleichzeitig erhöhen verschiedene Erleichterungen für Schüler den Anreiz in der schulischen Ausbildung zu bleiben.
Für Unternehmen ist es seit längerer Zeit eine wachsende Herausforderung, eine ausreichende Zahl an Lehrlingen zu finden. Dies ist vor allem eine Folge der demografischen Entwicklung, aber auch mitunter erschreckend geringer Grundkompetenzen von Schulabgängern in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen – weshalb die Industrie auch immer wieder ihre Stimme in der bildungspolitischen Diskussion erhebt.
Viele Lehrberufe sind den Jugendlichen aus ihrer täglichen Lebensumwelt bekannt. Die Industrielehre gehört oft nicht dazu. Deshalb haben Industrieunternehmen in den letzten Jahren verschiedene Strategien entwickelt, über Infotage, Veranstaltungen, Präsentationen, Schnuppertage und Praktika die Chancen einer Industrielehre näher zu bringen: Einerseits um die interessante und herausfordernde Tätigkeit an sich vorzustellen, und andererseits die Aspekte der langfristigen Arbeitsplatzsicherheit und Einkommensentwicklung zu vermitteln.
Diese erfolgreiche Kommunikation mit den Jugendlichen ist aufgrund der Coronakrise gegenwärtig nur eingeschränkt möglich. Eine Reihe von Industrieunternehmen hat verstärkt auf digitale Wege der Ansprache gesetzt, andere haben kluge Konzepte für sichere, persönliche Begegnungen entwickelt. Gerade im Monat März war in der Vergangenheit eine besonders intensive Zeit der Schnuppertage in den Unternehmen, da zu dieser Zeit die Weichen für die Berufsorientierung der Jugendlichen gestellt werden. Aktuelle Zahlen zeigen, dass die Resonanz für zahleiche Unternehmen nicht ausreichen wird, um die angebotenen Ausbildungsplätze auch zu besetzen: Manche Ausbildungsbetriebe sprechen derzeit von einem Minus von bis zu 30 Prozent, in Einzelfällen sogar bis zu 50 Prozent.
Industrieunternehmen haben in den letzten Jahren gute Erfahrungen damit gemacht, ihre Lehrlinge zu einem hohen Maß unter Schulabbrechern zu suchen. Diese Schüler haben oft eine durchaus qualitätsvolle Schulbildung und scheitern nicht an ihren Fähigkeiten, sondern an ihrer Motivation. Der Umstieg in eine Lehre ist hier oft eine echte win-win-Situation: Die Unternehmen erhalten gute Mitarbeiter und die von der Schule in die Lehre gewechselten Jugendlichen starten im neuen Umfeld mit frischer Motivation in oft erstaunliche Ausbildungswege. Gerade diese, für die Industrie besonders wichtige Quelle an qualifiziertem Nachwuchs ist zuletzt weitgehend versiegt, da – Corona bedingt - die Tendenz zur milden Beurteilung und die formale Möglichkeit einer erweiterten Aufstiegsklausel eine ernsthafte Befassung mit Ausbildungsalternativen bei den Jugendlichen gar nicht aufkommen lässt.
Hier liegt ein klassischer Fall vor, indem gut gemeint das Gegenteil von gut ist: Jugendliche werden in einer für sie offenbar nicht passenden Ausbildung mitgeschleppt, wodurch diesen Jugendlichen der Weg zu einer neigungsgemäßen (und chancenreichen) Entwicklung verbaut wird und gleichzeitig das Gesamtniveau der schulischen Ausbildung sinkt – was den künftigen Chancen der Mitschüler schadet. Abgesehen von der menschlichen Problematik ist es natürlich auch ein volkswirtschaftliches Problem, wenn Bildungsressourcen so offenkundig falsch eingesetzt werden.
In der Industrie ist der dringende Bedarf an den Fachkräften von morgen unverändert hoch, in manchen Unternehmen erfreulicher Weise sogar steigend. Gleichzeitig hat sich die Industrielehre immer mehr zu einer höchst attraktiven und zu weiteren Ausbildungs- und Karriereschritten offenen Bildungsweg entwickelt. Wenn nun die Bildungspolitik die völlig falschen Anreize setzt und Jugendliche in schulische Sackgassen statt in zukunftsorientierte Bildungswege steckt, dann ist dies eine Fehlentscheidung, die wir in Österreich lange bereuen werden.
Mag. Sigi MenzObmann der Bundessparte Industrie