Mann mit 3-Tage-Bart und Brille vor verschwommenem Hintergrund
© Infineon Technologies Austria AG

Europa muss schneller und unbürokratischer werden

Hat Europa in Sachen Wettbewerbsfähigkeit den Anschluss verloren, Herr Jörg Eisenschmied? Welche Antwort der Infineon-Finanzvorstand darauf hat und welche Rolle der Standort Villach für den Infineon-Konzern spielt, verrät er im Interview.

Lesedauer: 5 Minuten

17.06.2024

Hat Europa in Sachen Wettbewerbsfähigkeit den Anschluss verloren?

Jörg Eisenschmied: Europa hat riesige Chancen, wir können in den Bereichen Digitalisierung und Dekarbonisierung eine führende Rolle übernehmen. Aber Europa muss sich anstrengen, wir müssen schneller und unbürokratischer werden. Wir wollen doch Taktgeber und aktiver Gestalter einer grünen und digitalen Wende sein und nicht nur Passagier. Dafür müssen wir beweglicher werden, uns mehr trauen. In zahlreichen Teilbereichen ist Europa stärker positioniert, als viele es glauben. In unserem Kerngeschäft, dem Bereich der Leistungshalbleiter ist Infineon Weltmarktführer – keiner entwickelt und produziert Energiesparchips, die in Solar- und Windkraftanlagen, in der Elektromobilität bis hin zu Smartphones im Einsatz sind, so erfolgreich wie wir. Und es gibt viele weitere Beispiele für europäische, am Weltmarkt höchsterfolgreiche, innovationsgetriebene Unternehmen. Für diese Unternehmen muss Europa eine Infrastruktur bieten, die sie im internationalen Wettbewerb erfolgreich macht.

Was muss europaweit unternommen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu heben?

Wir müssen in jeglicher Hinsicht fit sein für den internationalen Wettbewerb. Das heißt Fokus auf die wichtigen Faktorkosten, insbesondere die Energiepreise. Zweitens brauchen wir dringend Fachkräfte. Hier helfen gezielte Investitionen in die Ausbildungs- und Qualifizierungsinitiativen. Wenn wir als Europa unsere Ziele im Bereich Technologie- und Innovationsführerschaft erreichen wollen, müssen wir noch viel stärker Ausbildungen im MINT-Bereich forcieren und gleichzeitig ein fortschritts-, technologie- und wissenschaftsfreundlicheres Klima erzeugen. Ein letzter Punkt, den man nicht oft genug betonen kann: Europa muss Geschwindigkeit und Pragmatismus in seine DNA übernehmen und Bürokratie abbauen. Wir dürfen uns nicht selbst im Weg stehen.

Welche Rolle spielt der Standort Villach für den Infineon-Konzern?

Infineon Austria bündelt mit rund 5.900 Mitarbeiter*innen drei wichtige Bereiche: Produktion, Forschung und globale Geschäftsverantwortung. In der Produktion liegt unser Fokus auf der Fertigung von Leistungshalbleitern, also Energiesparchips. Allein in Villach wurden im Geschäftsjahr 2023 9,2 Milliarden Chips produziert. Damit werden in den Anwendungen über die Nutzungsdauer hinweg rund zehn Millionen Tonnen CO2 eingespart. Das entspricht knapp der Hälfte der PKW-Emissionen in Österreich. Als globales Kompetenzzentrum für neue Halbleitermaterialien ist Villach außerdem Taktgeber für das Zukunftsthema Energieeffizienz.  Aber wir sind auch eine Ideenfabrik und eines der forschungsstärksten Unternehmen in Österreich. Mit rund 2.500 Mitarbeiter*innen stellen wir etwa ein Fünftel der F&E-Belegschaft des gesamten Konzerns.

Welche Herausforderungen für Ihr Unternehmen sehen Sie für die Zukunft?

Zyklische Schwankungen der Nachfrage, wie wir sie jetzt gerade nach Jahren des Booms erleben, sind wir in der Halbleiterbranche gewohnt zu managen. Wir konzentrieren uns derzeit verstärkt auf unsere strukturelle, internationale Wettbewerbsfähigkeit und heben Effizienz- und Kostenpotentiale. Fakt ist, dass Lohn- und Energiekostensteigerungen der letzten Jahre für die Unternehmen generell herausfordernd sind und bleiben.

Gleichzeitig wollen wir unsere Rolle als Markt- und Innovationsführer erhalten und ausbauen und werden weiter stark in diese Bereiche investieren. Mittelfristig sehe ich daher nach wie vor die Verfügbarkeit gut ausgebildeter Facharbeiter*innen als größte Herausforderung. Daher starten wir mit unseren MINT-Bildungsinitiativen auch schon im Kindergartenalter und haben damit in den letzten 10 Jahren in Österreich über 100.000 Mädchen und Buben erreicht. 

Stichwort Facharbeiter: Welche Initiativen setzen Sie, um Arbeitskräfte zu gewinnen und zu halten? Und: Woher kommen die meisten neuen Mitarbeiter:innen?

Bei Infineon Austria arbeiten heute Menschen aus 80 Nationen. Der mit Abstand größte Anteil davon stammt aus Österreich, gefolgt von Deutschland, Italien und Indien. Es entspricht unseren Grundwerten ein offenes, respektvolles Arbeitsumfeld zu schaffen.  Unsere Produkte sind Teil der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen – sie machen die Welt grüner, sie unterstützen Dekarbonisierung und Digitalisierung. Gerade das ist für die junge Generation immer wichtiger. Wir bieten eine Arbeit, die in sich schon sinnstiftend ist. Damit können wir Top-Talenten aus dem In- und Ausland für uns interessieren und eine intrinsische Motivation bieten, gemeinsam Spitzenleistungen zu erzielen.

Natürlich sorgen wir darüber hinaus für die notwendigen Rahmenbedingungen von flexiblen Arbeitszeiten, über Kinderbetreuung in unseren drei internationalen Kindertagesstätten bis hin zu Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, um Beispiele zu nennen. Auch unsere vielen Kooperationen mit HTLs, Universitäten und Fachhochschulen zahlen in das Thema ein und wir versuchen noch stärker junge Frauen und Mädchen für eine Karriere im MINT-Bereich zu begeistern. Und nicht zu vergessen: unser Erfolgsmodell „Lehre“. Infineon wird sich im neuen Aus- und Weiterbildungszentrum der GPS Personalservice Kärnten GmbH mit einem hochmodernen Lehrlingscampus als Hauptmieter ansiedeln und ab September 2024 die jährliche Lehrlingsanzahl verdoppeln.

Was spricht für Kärnten als Industriestandort?

Die Industrie ist traditionell größter Arbeitgeber in Kärnten, laut Industriellenvereinigung hängen 45 Prozent aller Arbeitsplätze davon ab. In den vergangenen Jahren ist es mit vereinten Kräften gelungen, Kärnten zu einem High-Tech-Industriestandort weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt dank Infineon ist ein Mikroelektronikcluster im Süden Österreichs entstanden, ein florierendes Ökosystem aus Unternehmen, Start-ups, Wissenschaft, Forschung und Lehre. Und mit dem Koralmtunnel kommt nun der nächste große Schritt in dieser Entwicklung. Ich sehe das als große Chance für die Region Südösterreich. Und als gebürtiger Steirer freue ich mich, dass meine alte und neue Heimat noch näher zusammenwachsen. 

Können Sie uns interessante IFAT-Projekte kurz vorstellen?

Als Unternehmen, das Innovation in seiner DNA hat, arbeiten wir permanent an Lösungen für morgen und übermorgen. Viele Projekte initiieren wir selbst, andere entstehen in der Kooperation mit externen Partnern. Villach ist innerhalb des Konzerns Kompetenzzentrum für neue Halbleitermaterialien und damit wegweisend für noch effizientere Leistungshalbleiter der Zukunft. In Villach werden heute bereits Chips aus neuen Materialien wie Siliziumkarbid (SiC) und Galliumnitrid (GaN) hergestellt und in alle Welt exportiert. Zudem investieren wir einen beträchtlichen Teil unserer Forschungsaufwendungen in diesen Bereich, im Geschäftsjahr 2023 beispielsweise rund 250 Millionen Euro, knapp 40 Prozent der Gesamtinvestitionen. Diese Technologien können Strom noch effizienter umwandeln und ermöglichen dadurch kleinere und leichtere Baugrößen. Das bringt zum Beispiel Ladestationen für Elektroautos mit deutlich schnelleren Ladezeiten oder die Mobilfunkinfrastruktur von 5G-Netzwerken. Nachhaltigkeit ist uns aber nicht nur durch unsere Produkte, sondern auch in unseren internen Prozessen enorm wichtig. Um nur einige der konkreten Beispiele zu nennen: Wir nutzen beispielsweise seit über einem Jahrzehnt ausschließlich Strom aus regenerativen Energie­quellen und decken durch die intelligente Wiederverwertung der Abwärme aus der Produktion rund 78 Prozent des Wärmebedarfs unserer Büro- und Laborflächen am Standort Villach.  

Jörg Eisenschmied ist seit November 2023 Finanzvorstand der Infineon Technologies Austria AG. In dieser Funktion ist der gebürtige Steirer für Finanzen und Einkauf verantwortlich. Zudem trägt er die finanzielle Geschäftsverantwortung für den Bereich "Green Energy Control" der Division Green Industrial Power (GIP). Seit 2011 ist Jörg Eisenschmied in Führungsfunktionen im Bereich Finance und Controlling für den Infineon-Konzern tätig. Jörg Eisenschmied wurde 1979 in Judenburg geboren und absolvierte ein Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität in Graz sowie an der École de Commerce, Université du Havre/Frankreich.