"Arbeitszeitverkürzung gefährdet unser Sozialsystem"
WKK-Präsident Jürgen Mandl im Gespräch mit der Industrie über den Wirtschaftsstandort, Arbeitszeitverkürzung, den Koralmtunnel und welche Chancen Künstliche Intelligenz mit sich bringt.
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Sehr geehrter Herr Präsident, Wirtschaftsforscher erklären uns, dass sich die wirtschaftliche Lage in der Industrie aber auch in der Gesamtwirtschaft 2024 spürbar verschlechtern wird. Was ist Ihre Einschätzung?
Jügen Mandl: Wir befinden uns in einer Rezession, es wird leichte Erholungen geben, aber das Wachstum wird nach Meinung der Experten verhalten bleiben. Auch für die Industrie sind die Prognosen für 2024 zurückhaltend, sie kämpft mit Auftragsrückgängen. Die Kärntner Industriebetriebe werden sich den Herausforderungen stellen und gleichzeitig ihre Chancen nutzen. Es gibt aber auch stabile Branchen wie die Elektronikindustrie. Sie stehen derzeit besonders unter Wettbewerbsdruck. Auch deshalb, weil sie zu einem großen Teil Zulieferer sind und damit von anderen Märkten abhängig sind und mit diesen konkurrieren.
Die Industrie ist mit einem Anteil von mehr als einem Drittel an der Bruttowertschöpfung des Landes Kärnten mit weitem Abstand der wichtigste Wirtschaftssektor in unserem Bundesland. Was braucht es, um jetzt ein attraktiver Standort zu bleiben und welche Hebel sehen Sie auf Landesebene?
Die Industrie ist der wichtigste Wachstumsmotor Kärntens und einer der größten Arbeitgeber in unserem Bundesland. Um den Industriestandort Kärnten abzusichern und international wettbewerbsfähig zu bleiben, sind rasche Maßnahmen in den Bereichen Abwanderung, Infrastruktur und Energiewende notwendig. Sonst verlieren wir an internationaler Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung. Wir müssen Tempo machen. Seit Jahren weist die Wirtschaft auf die bedrohliche demografische Entwicklung in Kärnten hin: Bereits im Jahr 2040 werden in Kärnten bis zu 50.000 Menschen im erwerbsfähigen Alter fehlen. Umso erfreulicher ist es, dass das Land Kärnten die Idee der Wirtschaftskammer aufgegriffen hat und eine Standortagentur zur Mitarbeitergewinnung einrichten wird. Ohne qualifizierte Zuwanderung werden wir nicht auskommen und das wird langfristig ein Wettbewerbshindernis sein.
4-Tage-Woche, Work-Life-Balance, hohe Lohnstückkosten und Diskussionen über zusätzliche Steuern und Abgaben. Werden wir unseren Wohlstand erhalten können?
20 Stunden arbeiten, drei Tage die Woche – damit gefährden wir langfristig den Wohlstand, den wir uns alle in Österreich hart erarbeitet haben. Wenn wir über das Schlagwort Work-Life-Balance reden, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein: Erst kommt die Arbeit, dann die Balance. Wer 20 Stunden in der Woche arbeiten will, ist der Nächste, der in Not gerät, weil die Pension nie und nimmer reichen wird.
Was möchte die Wirtschaftskammer mit Ihrer Kampagne „Nicht weniger Arbeitszeit“ zum Ausdruck bringen?
Der Wert der Arbeit muss wieder stärker in den Vordergrund gerückt werden. Genau darauf zielt die neue Kampagne „Nicht weniger Arbeitszeit für alle" ab und gibt diesem wichtigen Thema eine Bühne. Sie zeigt auf, was getan werden muss, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu stärken. Eine generelle Arbeitszeitverkürzung - gepaart mit einem eklatanten Arbeitskräftemangel - würde die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte Österreichs und die Finanzierung unseres Sozialsystems gefährden. Wenn wir Wachstum und Wohlstand erhalten wollen, brauchen wir daher wieder ein positives Bild von Arbeit und Anreize für mehr und nicht für weniger Arbeit.
Gesetzliche Regelungen und eine gute Verwaltung sind wichtig, um gerade großen Unternehmen in vielen Bereichen Rechtssicherheit zu geben. Derzeit sieht es aber auf europäischer Ebene so aus, dass sich viele Dinge in eine völlig falsche Richtung entwickeln. Brauchen wir zum Beispiel ein in Diskussion stehendes Lieferkettengesetz, wo sich Unternehmen auch innerhalb der Europäischen Union gegenseitig kontrollieren müssen und damit teilweise staatliche Aufgaben übernehmen?
Die österreichische Wirtschaft bekennt sich zu einem nachhaltigen, verantwortungsvollen und zukunftsfähigen Wirtschaften. Künftige gesetzliche Regelungen im EU-Lieferkettengesetz, wie sie derzeit in den Trilog-Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat der Europäischen Union und dem Europäischen Parlament verhandelt werden, müssen jedoch mit Augenmaß erfolgen, die Anforderungen an die Unternehmen müssen klar, überschaubar und verhältnismäßig sein. Die Wirtschaftskammer setzt sich für eine praxistaugliche Lösung ein, die gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft, den Unternehmen Rechtssicherheit bietet, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht und die EU auch in Zukunft als wirtschaftsfreundlichen Standort sichert.
Viele hoch entwickelte Industrienationen verkünden einen technologischen Durchbruch nach dem anderen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz. Einige behaupten, der zukünftige wirtschaftliche Wohlstand und die militärische Sicherheit wird genau in diesem Feld entschieden werden. Während andere technologischen Fortschritt erreichen, feiern wir in Europa, dass die Europäische Union das umfangreichstes KI-Gesetz der Welt verabschiedet hat. Teilen Sie diese Euphorie?
Weltweit setzen Unternehmen auf Künstliche Intelligenz, um ihre Produktivität zu steigern, innovativer zu werden und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Auch ich bin von den Chancen der KI überzeugt. Studien gehen davon aus, dass KI die österreichische Wirtschaft bis 2035 um drei Prozent pro Jahr ankurbeln könnte. Das wäre eine enorme Steigerung gegenüber dem derzeitigen Wachstum von zwei Prozent. KI ist aber auch eine Herausforderung. Unternehmen müssen sich auf die neuen Technologien einstellen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entsprechend qualifizieren. Die Digitalisierung und insbesondere KI-Anwendungen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Nur wer bei technologischen Entwicklungen und deren Anwendungen vorne mit dabei ist, kann im internationalen Innovationswettbewerb punkten.
Was möchten Sie der Kärntner Industrie für das Jahr 2024 mit auf dem Weg geben und was wünschen Sie Ihren Mitgliedsbetrieben?
Die kommenden Monate werden zweifelsohne herausfordernd. Ich bin aber überzeugt, dass sich die Kärntner Industriebetriebe so aufstellen werden, dass sie auch in Zukunft im internationalen Wettbewerb bestehen können. Mit Inbetriebnahme der gesamten Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt im Jahr 2026 entsteht ein neuer Wirtschaftsraum im Süden Österreichs. Für Kärnten und den gesamten Süden Österreichs ist die neue, schnelle Eisenbahn eine Jahrhundertchance. Die Koralmbahn schafft neue Verbindungen, höhere Dynamik und mehr Möglichkeiten. Auch für den Industriestandort Kärnten.