Finger drückt auf deine Taste einer Tastatur mit Aufschrift barrierefrei und Icon einer Person im Rollstuhl mit einem Ordner
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Barrierefreier Webauftritt

Zivilrechtliche Ansprüche nach dem Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz

Lesedauer: 9 Minuten

1. Rechtsgrundlagen für barrierefreie Webauftritte im öffentlich-rechtlichen Bereich

Nach dem Web-Zugänglichkeits-Gesetz (WZG) ist die Republik Österreich verpflichtet, Internetauftritte und mobile Anwendungen des Bundes so zu gestalten, dass internationale Standards über die Webzugänglichkeit auch hinsichtlich des barrierefreien Zugangs für behinderte Menschen eingehalten werden.

Auf EU-Ebene gibt die EU-Richtline über den barrierefreien Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen den Maßstab für die Barrierefreiheit (ebenfalls nur) für öffentliche Stellen (Behörden) vor.

 2. Rechtsgrundlagen für barrierefreie Webauftritte im privatwirtschaftlichen Bereich

Für bestimmte Produkte und Dienstleistungen, insbesondere für Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr wie Webshops und Apps im E-Commerce, Online- Buchungsportale bzw. Buchungstools diverser Tourismusbetriebe etc. gilt das Barriefreiheitsgesetz (BaFG).

Nähere Informationen: Barrierefreiheitsgesetz im E-Commerce

Darüber hinaus gilt das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG), das ganz generell die Gleichstellung von Personen mit Behinderungen regelt. Dieses Gesetz wird hier näher beschrieben.

Das BGStG gilt

  • im Bereich der Bundesverwaltung (hinsichtlich des barrierefreien Web gibt es hier allerdings die Sonderbestimmung des WZG) und
  • überall dort, wo es um den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen geht, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen (insbesondere Handel und Dienstleistungen), wenn der Bund dafür die Regelungskompetenz hat (z.B. das Vertragsrecht).

Das gilt auch für die Anbahnung von Geschäften (Verträgen). Dazu zählen jedenfalls Webshops.

Weiters fällt auch das bloße Einholen von Informationen und die Nutzung von Serviceangeboten unter den Diskriminierungsschutz des BGStG, wenn dem ein öffentliches (an einen allgemeinen Personenkreis gerichtetes) Angebot zugrunde liegt. Das ist bei Internetplattformen und Webseiten aller Art regelmäßig der Fall. Im § 6 Abs 5 werden außerdem „Systeme der Informationsverarbeitung“ ausdrücklich im Gesetz genannt. Man kann daher davon ausgehen, dass zumindest Unternehmenswebseiten aller Art vom Anwendungsbereich des Gesetzes umfasst sind. 

§ 2 BGStG - Geltungsbereich

(1) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten für die Verwaltung des Bundes einschließlich der von ihm zu beaufsichtigenden Selbstverwaltung und einschließlich dessen Tätigkeit als Träger von Privatrechten.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten weiters für Rechtsverhältnisse einschließlich deren Anbahnung und Begründung sowie für die Inanspruchnahme oder Geltendmachung von Leistungen außerhalb eines Rechtsverhältnisses, soweit es jeweils um den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen geht, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, und die unmittelbare Regelungskompetenz des Bundes gegeben ist.

(3) Ausgenommen vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ist der in § 7a des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), BGBl. Nr. 22/1970, geregelte Schutz vor Diskriminierung in der Arbeitswelt.

3. Inhalt des Diskriminierungsverbots

Aufgrund einer Behinderung darf niemand unmittelbar (behinderte Personen werden von einem Angebot direkt ausgeschlossen) oder mittelbar (behinderten Personen wird ein Angebot durch faktische Barrieren erschwert) diskriminiert werden (§ 4 Abs 1 BGStG). Diese Unterscheidung in mittelbare und unmittelbare Diskriminierung ist deswegen wichtig, weil eine unmittelbare Diskriminierung immer unzulässig ist. Eine mittelbare Diskriminierung hingegen ist nur dann rechtswidrig, wenn es zumutbar ist, Abhilfe zu schaffen. Ziel ist dabei die sogenannte Barrierefreiheit: 

§ 6 Abs 5 BGStG - Barrierefreiheit

(5) Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind. 

Hier sind „Systeme der Informationsverarbeitung“ ausdrücklich genannt; das bedeutet, dass auch ein Internetauftritt so gestaltet werden muss, dass er von einer behinderten Person grundsätzlich ohne fremde Hilfe genutzt werden kann.

Problematisch dabei ist, dass im Gesetz zwar definiert ist, was eine Behinderung ist, dass aber kein Grad der Behinderung genannt wird:

§ 3 BGStG - Behinderung

Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Daraus folgt, dass Internetauftritte grundsätzlich so zu gestalten sind, dass sie insbesondere auch von sehbehinderten (farbenschwachen, farbenblinden aber auch sonst fehlsichtigen und blinden) Personen genutzt werden können. Zu denken ist aber genauso an hörbehinderte Personen (Web-TV) oder auch motorisch behinderte Personen (Tastennavigation statt Mausnavigation).

Bei einem nichtbarrierefreien Webauftritt handelt es sich in der Regel um eine mittelbare Diskriminierung, weil ja die Diskriminierung im Normalfall nicht beabsichtigt ist. Das bedeutet, dass ein Webauftritt so programmiert sein muss, dass seine Inhalte auch von behinderten Personen genutzt werden können.

Beispiele:

  • Vergrößerungsmöglichkeit für die Schrift
  • Farbleitsysteme, die farbenschwache Personen berücksichtigen (kein rot-grün-Gegensatz)
  • Schriften und Markierungen, die farbenschwache Personen berücksichtigen (keine rote Schrift auf grünem Grund)
  • Bei akustischen Informationen (Filmbeiträge) alternatives Informationsangebot für Hörbehinderte (Untertitel)
  • Programmaufbau so, dass die Inhalte mit entsprechenden Lesegeräten von blinden Personen „gelesen“ werden können

Wie weit diese Systeme jeweils umgesetzt werden müssen, ist im Einzelfall im Wege der Zumutbarkeitsprüfung zu beurteilen.

§ 4 Abs 1 BGStG - Diskriminierungsverbot

(1) Auf Grund einer Behinderung darf niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden.

§ 5 Abs 1 und Abs 2 BGStG - Diskriminierung

(1) Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person auf Grund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

(2) Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich. 

Ob und wieweit ein Internetauftritt barrierefrei zu gestalten ist, ist daher im Rahmen einer Zumutbarkeitsprüfung zu beurteilen: 

§ 6 Abs 1 und 2 BGStG - Unverhältnismäßige Belastungen

(1) Eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von § 5 Abs. 2 liegt nicht vor, wenn die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, insbesondere von Barrieren, rechtswidrig oder wegen unverhältnismäßiger Belastungen unzumutbar wäre.

(2) Bei der Prüfung, ob Belastungen unverhältnismäßig sind, sind insbesondere zu berücksichtigen:

  1. der mit der Beseitigung der die Benachteiligung begründenden Bedingungen verbundene Aufwand
  2. die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der eine Diskriminierung bestreitenden Partei
  3. Förderungen aus öffentlichen Mitteln für die entsprechenden Maßnahmen
  4. die zwischen dem In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes und der behaupteten Diskriminierung vergangene Zeit
  5. die Auswirkung der Benachteiligung auf die allgemeinen Interessen des durch dieses Gesetz geschützten Personenkreises, 
  6. beim Zugang zu Wohnraum der von der betroffenen Person darzulegende Bedarf an der Benutzung der betreffenden Wohnung.

Im Rahmen dieser Zumutbarkeitsüberprüfung ist auch zu berücksichtigen, ob wenigstens versucht wurde, die Situation behinderter Personen zu verbessern. Das bedeutet konkret einerseits, dass unter Umständen auch geringere Maßnahmen als eine vollständige Barrierefreiheit ausreichen, dass aber andererseits die Unzumutbarkeit einer vollständigen Barrierefreiheit (also die Unzumutbarkeit des technisch Möglichen) noch nicht dazu führt, dass damit das Thema Barrierefreiheit überhaupt außer Acht gelassen werden kann.

Vielmehr sind sämtliche zumutbaren Maßnahmen so weit zu treffen, dass die Situation behinderter Personen möglichst verbessert wird.

Rechtlich gesehen bedeutet dies, dass die vollständige Adaption einer Webseite an die jeweils aktuellen technischen Standards zwar im Einzelfall unzumutbar sein kann (z.B. hoher Umstellungsaufwand für nur regional oder für einen eingeschränkten Personenkreis bedeutsame Webseite). Dieser Umstand stellt jedoch keinen Rechtfertigungsgrund dar, gar nichts zu tun. Vielmehr muss das Ziel der Barrierefreiheit so weit wie möglich bzw. so weit wie zumutbar erreicht werden. Zu denken wäre insbesondere an die Umstellung von Farbencodes im Hinblick auf farbenschwache Personen („keine rote Schrift auf grünem Grund“).

§ 6 Abs 3 BGStG - Unverhältnismäßige Belastungen

(3) Erweist sich die Beseitigung von Bedingungen, die eine Benachteiligung begründen, als unverhältnismäßige Belastung im Sinne des Abs. 1, liegt dann eine Diskriminierung vor, wenn verabsäumt wurde, durch zumutbare Maßnahmen zumindest eine maßgebliche Verbesserung der Situation der betroffenen Person im Sinne einer größtmöglichen Annäherung an eine Gleichbehandlung zu bewirken. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit ist Abs. 2 heranzuziehen.

4. Rechtsfolgen nach dem BGStG

Das BGStG ist eine zivilrechtliche Vorschrift. Verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen sind daher nicht vorgesehen. Sehr wohl können aber von allen betroffenen Personen schadenersatzrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden (§ 9 BGStG). Im Falle von  besonders drastischen Belästigungen (wenn die Würde der betroffenen Person verletzt oder dies bezweckt wird, wenn dies für die betroffene Person unerwünscht, unangebracht oder anstößig ist und dadurch ein einschüchterndes, feindseliges, entwürdigendes, beleidigendes oder demütigendes Umfeld für die betroffene Person geschaffen oder dies bezweckt wird; § 5 Abs 4 BGStG) ist auch eine Unterlassungsklage und die Geltendmachung eines Mindestschadenersatzes in der Höhe von 1000 EUR durch die betroffene Person möglich.

Bevor allerdings eine Klage bei Gericht eingebracht werden kann, ist zwingend ein Schlichtungsverfahrenbei einer Landesstelle des Sozialministeriumservice durchzuführen. 

Da es keine Zuständigkeitsregeln gibt, kann eine betroffene Person bei jeder Landesstelle eine Schlichtung beantragen.

Eine gerichtliche Klage ist nur zulässig, wenn nicht längstens innerhalb von 3 Monaten ab Einleitung des Schlichtungsverfahrens eine gütliche Einigung erzielt worden ist (§ 10 BGStG).

Zusätzlich können dann, wenn die allgemeinen Interessen behinderter Personen wesentlich und dauerhaft beeinträchtigt werden, auch der Österreichische Behindertenrat, der Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern und der Behindertenanwalt eine Verbandsklage auf Feststellung einer Diskriminierung aus dem Grund einer Behinderung einbringen (§ 13 BGStG).

Diese Verbandsklage auf Unterlassung bzw auf Beseitigung einer Diskriminierung ist aber ausdrücklich nur gegen „große Kapitalgesellschaften“ (i.S.d. § 221 Abs 3 Unternehmergesetzbuch - UGB; das sind Unternehmen, die mindestens zwei der folgenden drei Kriterien überschreiten: 20 Mio. EUR Bilanzsumme; 40 Mio. EUR Umsatzerlöse in den zwölf Monaten vor dem Abschlussstichtag; im Jahresdurchschnitt 250 Arbeitnehmer) vorgesehen.

Wichtig:
Weitere Klagsverbände können nicht gebildet werden. Werden dennoch andere Vereine aktiv, so haben diese keine Klagslegitimation nach dem BGStG. Behindertenverbände können jedoch betroffene Personen rechtlich unterstützen. Die Klage auf Schadenersatz bzw. das Schlichtungsverfahren ist dann aber von der jeweiligen betroffenen Person selbst zu führen. 

5. Unterlassungsklage nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)? 

Im BGStG ist eine Unterlassungsklage nur in zwei Fällen zulässig: Im Fall einer besonders drastischen Belästigung (§ 9 und § 5 Abs 4 BGStG; siehe Punkt 4) und als Verbandsklage durch die in Punkt 4 genannten Verbände (§ 13 BGStG). Fraglich ist, ob bei Bestehen eines Wettbewerbsverhältnisses Unterlassungsklagen auf Basis des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zulässig sind. In der juristischen Literatur wird dazu die Meinung vertreten, dass – abgesehen von der ausdrücklichen Beschränkung im BGStG – auch aufgrund des Umstandes, dass die Anforderungen an eine „barrierefreie Webseite“ gesetzlich nicht geregelt sind bzw. völlig unbestimmt sind, eine Verletzung des UWG nicht vorliegen kann.[1]

6. Technische Standards: Was bedeutet „barrierefreies Web“ inhaltlich?

Da sich das BGStG nicht speziell mit dem Internet beschäftigt, gibt es auch keine rechtlich verbindlichen Standards vor.

Das WZG verweist auf einschlägige Europäische Normen, enthält selbst aber keine näheren inhaltlichen Vorgaben.

In der Praxis wird auf die sogenannten „WAI-Richtlinien“ (Web Content Accessibility Guidelines - WCAG) der Web Accessibility Initiative des World Wide Web Consortiums zurückgegriffen. Für öffentliche Stellen wurden die WCAG mittels Durchführungsbeschluss der EU-Kommission für verbindlich erklärt.

Das World Wide Web Consortium (W3C) ist ein internationales Gremium zur Standardisierung von Internet-/Web-Techniken.

Die Web Accessibility Initiative (WAI) innerhalb des W3C entwickelt und veröffentlicht Empfehlungen, um Internetangebote und -techniken für Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen und auch allgemein für User möglichst barrierefrei zu gestalten. 

Die WAI-Richtlinien (Web Content Accessibility Guidelines - WCAG) sind in der aktuellen Fassung (WCAG 2.1) in Englisch und in der Vorgängerversion (WCAG 2.0) in deutschen Übersetzungen vorhanden. Eine aktualisierte Version (WCAG 2.2) liegt als „candidate recommandation“ (Empfehlung) vor. Die Nachfolgeversion (WCAG 3.0) liegt als „working draft“ (Arbeitspapier) vor.

7. Bringt eine barrierefreie Webseite über die Barrierefreiheit selbst hinaus auch noch weitere Vorteile? 

Barrierefreiheit allgemein ist essentiell für ca. 10 % der Bevölkerung, notwendig für ca. 40 % und komfortabel für 100 %.

Barrierefreiheit bringt daher jedem User mehr Komfort und erschließt dem Webseiten-Betreiber zusätzliche Kundenschichten.

Abgesehen von dem einmaligen Aufwand, eine bestehende Webseite barrierefrei zu machen, ist die künftige Wartung der Webseite dafür eher einfacher. Dies liegt darin begründet, dass für eine barrierefreie Webseite genau zwischen technischen Abläufen und Inhalten unterschieden werden muss.

Aufgrund dieses Umstandes werden barrierefreie Webseiten von Suchmaschinen auch besser gefunden (höheres Ranking). 



[1] Christian Handig, Informationspflichten und Lauterkeitsrecht, ecolex 2007, 779. 

Stand: 22.05.2024

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