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Industriekonjunktur: Frostiges Geschäftsklima setzt sich fort
Seit zehn Quartalen – zweieinhalb Jahren – befindet sich das Geschäftsklima der Vorarlberger Industrie im „Frostbereich“. Der neueste Wert für das 4. Quartal 2024 lässt die Kurve von -9,4 auf -9,0 Prozent geringfügig ansteigen.
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Die lange Durststrecke wird allerdings – so die Einschätzung der Vorarlberger Industriebetriebe - noch Monate anhalten. Industrie-Spartenobmann Markus Comploj fordert auf allen Ebenen rasch aktiv zu werden, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen! Die aktuelle Konjunkturumfrage für das 4. Quartal 2024 zeigt es deutlich: Eine Erholung ist nicht in Sicht. Die Hälfte der befragten Unternehmen erwartet eine Verbesserung der Lage erst ab dem 1. Halbjahr 2026, 25 Prozent rechnen mit einer Erholung im 2. Halbjahr 2025, weitere 25 Prozent können jedoch noch gar nicht abschätzen, wann es zu einer Erholung der Konjunktur kommen wird.
Zur aktuellen Lage:
Nur 11 Prozent der Vorarlberger Industriebetriebe bewerten ihre aktuelle Geschäftslage als gut. Für 16 Prozent ist sie schlecht. Von knapp der Hälfte der Betriebe (46 Prozent) werden die Auslandsaufträge als schlecht beurteilt. Immerhin 23 Prozent erachten sie für gut. Die Aufträge generell gehen jedoch weiter zurück, von einem Saldo von -29 aus dem Vorquartal auf -31 Prozentpunkte jetzt. Die aktuelle Ertragssituation hat sich anscheinend verbessert, der Saldo steigt von -47 auf -7 Prozentpunkte, bleibt aber negativ.
Erwartungen für die nähere Zukunft:
Dramatisch ist die Einschätzung der Ertragslage in sechs Monaten. Von 49 Prozent der Unternehmen wird eine Verschlechterung erwartet. Der Saldo verschlechtert sich von -7 auf -37 Prozentpunkte. „Die De-Industrialisierung, also die Verlagerung heimischer Produktion ins Ausland, hat längst begonnen, das ist einschleichender Prozess. Unsere Unternehmen müssen nachhaltig profitabel sein und Gewinne zu schreiben. Sonst gehen Arbeitsplätze und Standorte verloren“, betont Industrie-Spartenobmann Markus Comploj. Die Betriebe werden alles daransetzen, Arbeitsplätze zu sichern und ihre Mitarbeitenden zu halten, um den nächsten Aufschwung voll nutzen zu können. Aber das werde, mit Blick auf die Existenzsicherung der Unternehmen, immer schwieriger.
Die Geschäftslage in sechs Monaten wird von 85 Prozent der Industrieunternehmen als unverändert, von 15 Prozent als schlechter und von keinem Unternehmer als besser eingeschätzt!
Die sich daraus ergebenden Anforderungen sind klar: „Wir machen in der Industrie aktuell alle unsere Hausaufgaben,“ betont Comploj, „und genau das erwarten wir auch von der Politik, von der EU- bis zur Gemeindeebene!“
Zu den Branchenergebnissen
„Der mit Abstand wichtigste Industriebereich Vorarlbergs, die Maschinen und Metall-Industrie, leidet am stärksten unter der rezessiven Phase“, berichtet Michael Amann, Geschäftsführer der Sparte Industrie der Wirtschaftskammer. Über ¾ der Unternehmen (76 Prozent) gehen von einer schlechteren Ertragssituation in sechs Monaten aus. Kein Unternehmen erwartet eine Verbesserung. Grund dafür sind auch die Erwartungen hinsichtlich der Verkaufspreise. Für 70 Prozent der befragten Betriebe werden sie in den kommenden drei Monaten weiter fallen. „Die dramatischen Werte zeigen den enormen Kostendruck und die Notwendigkeit von Kostensenkungsprogrammen, um wieder wettbewerbsfähig zu werden,“ betont Amann.
Die Betriebe der Lebensmittelindustrie stehen laut Amann aktuell am besten da: „Die aktuelle Geschäftslage beurteilen 17 Prozent als gut und nur drei Prozent als schlecht. Erfreulich sind hier auch die derzeitigen Auslandsaufträge. 76 Prozent bewerten sie als gut. Die Branche erweist sich als stabiler Faktor in einer insgesamt schwierigen Phase.“
Weiter unerfreulich/schlecht ist die Lage in der Textilindustrie. Besonders auffällig ist der Produktionsrückgang in drei Monaten. 95 Prozent rechnen mit einer sinkenden Produktionstätigkeit. Spartengeschäftsführer Michael Amann: „Ein Lichtblick sind die Verkaufspreise. Der Saldo hat sich hier von +2 auf +14 Prozentpunkte verbessert. Sprich, die die verkaufen, können damit höhere Erträge erzielen“.
Die Elektro- und Elektronikindustrie befindet sich in einer dramatisch schlechten Lage: „59 Prozent beurteilen die aktuelle Geschäftslage als schlecht. In sechs Monaten wird sich das allerdings nicht verbessern“, sagt IV-Geschäftsführer Simon Kampl. Der Saldo beim aktuellen Auftragsbestand ist von -6 auf -45 gefallen. Die Ertragssituation in sechs Monaten wird von 34 Prozent negativ gesehen.
Die Verpackungsindustrie zählt zu den optimistischeren Branchen. Kampl: „Ihnen kommt auch die Verbindung zur Lebensmittelindustrie zugute.“ Die aktuelle Geschäftslage wird von nur vier Prozent als schlecht bewertet, 84 Prozent halten sie für konstant/gleichbleibend. Zuversichtlicher ist der Blick auf die Ertragssituation in sechs Monaten. Der Saldo steigt von 0 auf +24.
Was ist zu tun?
Unternehmens-Ebene: „Unsere Betriebe machen ihre Hausaufgaben, sie innovieren und setzen ihre Kostensenkungsprogramme fort. Sie tun alles, um wieder wettbewerbsfähig zu werden und sie bilden weiter Fachkräfte für den nächsten Aufschwung aus. Wer in dieser äußerst angespannten Situation glaubt, bei KV-Verhandlungen überhöhte Forderungen stellen zu müssen, hat nicht verstanden, wie alarmierend die Lage ist“, plädiert der Spartenobmann für moderate KV-Abschlüsse.
EU-Ebene: „Der kürzlich beschlossenen „EU-Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ identifiziert die richtigen Stellschrauben, ist aber zu wenig weitreichend. Auch gilt es das Lieferkettengesetz langfristig zu verschieben, besser ganz ausfallen zu lassen“, sagt Comploj. Europa müsse die Ziele des Green Deal mit der wirtschaftlichen Realität und globalen Wettbewerbsfähigkeit in Einklang bringen. Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit müssen Hand in Hand gehen, Dekarbonisierung muss und darf kein De-Industrialisierungsprogramm sein. „Den Ankündigungen der EU müssen jetzt schnell und konsequent Taten folgen. Unsere Unternehmen brauchen im dritten Jahr der Rezession wirkungsvolle Entlastungen und ein Signal des wirtschaftspolitischen Kurswechsels“, betont Comploj.
Nationale Ebene: „Die Lohnstückkosten in Österreich sind überproportional gestiegen und müssen dringend wieder wettbewerbsfähig werden. Daher müssen auch die Lohnnebenkosten gesenkt werden.“ Zudem müssen von der kommenden Regierung Leistungsanreize im Steuersystem gesetzt werden, um eine Ausweitung der Arbeitszeit attraktiver zu machen. Die von der WKÖ vorgestellte Flat-Tax, eine pauschale Steuer von 20 Prozent auf Überstunden und auf Zuverdienste in der Pension, ist für Markus Comploj ein richtiger Ansatz. Es brauche zeitnahe steuerliche Maßnahmen, eine effiziente, digitalisierte öffentliche Verwaltung, Investitionen in eine zukunftsfähige Infrastruktur und leistbare Energiepreise. „Österreichs Hindernisse sind zu einem guten Teil hausgemacht – sie liegen in der Inflation, überbordender Bürokratie, ineffizienten öffentlichen Einrichtungen, in Verbindung mit hohen Lohn-Abgaben.“
Landesebene: Es gilt, sich gemeinsam auf den nächsten Aufschwung vorzubereiten. Dabei sollten Schwerpunkte in der Forschung und Entwicklung, durch eine aktivere Beratung in der Forschungsförderung und eine kostengünstige Nutzung von bestehenden Forschungseinrichtungen, gesetzt werden. Ebenso muss weiter an einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur – Straße wie Schiene – gearbeitet werden. Die Wirtschaftspolitische Agenda der Wirtschaftskammer zeigt klar auf, was jetzt getan werden muss. Die erfreuliche Aufnahme vieler Aspekte in das Regierungsprogramm des Landes dürfe aber nicht bloß auf dem Papier stehen, sondern müsse zeitnah in Umsetzung gebracht werden.
Gemeindeebene: Hier ist die Ausgangssituation von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich, wobei generell gilt, langfristig nicht mehr auszugeben, als man einnimmt. Die oft überbordenden und kostentreibenden Effekte von Gestaltungsbeiräten müssen auf ein erträgliches Maß zurückgeführt werden. Der Ausbau einer qualitativ hochwertigen öffentlichen Kinderbetreuung ist und bleibt - trotz Kostendruck - eine Forderung der Industrie an die Kommunen.
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An der quartalsmäßigen Umfrage der Sparte Industrie in der Wirtschaftskammer Vorarlberg (WKV) und der Industriellenvereinigung (IV) Vorarlberg haben sich 35 Unternehmen mit 25.165 Beschäftigten beteiligt.
Zur Umfragemethode:
Den Unternehmen werden drei Antwortmöglichkeiten gegeben: gut, durchschnittlich, schlecht. Errechnet werden die (beschäftigungsgewichteten) %-Anteile dieser Antwortkategorien, und dann wird der konjunktursensible „Saldo“ aus den %-Anteilen positiver und negativer Antworten unter Vernachlässigung der neutralen gebildet.