BSI-Obmann Menz: Wuchernde Bürokratie erstickt die europäischen Unternehmen
Kommentar des Obmannes Mag. Sigi Menz
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Die europäische Integration hatte immer das Ziel, die wirtschaftliche Dynamik zu steigern und damit zusätzliche Wertschöpfung, mehr Beschäftigung und wachsenden Wohlstand zu generieren. Zunehmende bürokratische Belastungen konterkarieren diese positiven Zielsetzungen. Das in Kürze neu gewählte Europäische Parlament und die nächste EU-Kommission müssen daher vorranging der Bürokratieflut entgegen wirken.
Arbeitskosten, Energiepreise und Bürokratieaufwand: Unter diesen Belastungen stöhnen Österreichs Unternehmen, wie zuletzt eine BSI-Blitzumfrage wieder einmal bestätigt hat. Neun von zehn der befragten Industrieunternehmen geben dabei an, dass sich der Aufwand für die Erstellung gesetzlich vorgeschriebener Berichte, Dokumentationen und andere bürokratische Tätigkeiten in den vergangenen fünf Jahren signifikant erhöht hat. Hauptsächlich wird dieser Mehraufwand durch Rechtsakte ausgelöst, die direkt oder indirekt von der Europäischen Union ausgehen.
Im vergangenen Jahr hat die EU-Kommission den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta beauftragt, einen Bericht über Zustand und Perspektiven des „Europäischen Binnenmarktes“ zu erstellen. Während der Binnenmarkt zwar grundsätzlich eine europäische Erfolgsgeschichte darstellt, wurden doch viele Zielsetzungen nicht erreicht – wobei insbesondere die schwächere Entwicklung des Wohlstandes im Vergleich zu den USA auffällt. Im April 2024 hat Enrico Letta nun einen Bericht vorgelegt, der in entscheidenden Punkten die schon seit geraumer Zeit geäußerte Kritik der europäischen Industrie widerspiegelt: überflüssige, veraltete und inkonsistente bürokratische Regelungen seitens der Europäischen Union gehören schnellstens abgeschafft und sinnvolle Regulierungen müssen vereinfacht werden. Andernfalls sind europäische Unternehmen im weltweiten Wettbewerb strukturell benachteiligt, da ihre außereuropäischen Konkurrenten nicht unter einer vergleichbaren Bürokratielast leiden.
Ein besonderes Problem, auf das auch die Industrie regelmäßig hinweist, ist das sogenannte „golden plating“, also die Übererfüllung von EU-Vorgaben durch nationale Gesetzgeber. Dieses Verhalten „verschärft die Herausforderung“, schreibt Enrico Letta zurecht. Und er weist auf ein weiteres Problem hin: Sowohl auf europäischer Ebene wie auf Ebene der Nationalstaaten greift immer mehr ein „risikoaverser Regulierungsansatz“ um sich, der dazu führt, dass ein Sachverhalt durch überlappende Bestimmungen mehrfach geregelt wird – mit entsprechenden Widersprüchlichkeiten, Rechtsunsicherheiten und Bürokratiekosten.
Jedes österreichische Industrieunternehmen kennt dazu zahlreiche, konkrete Beispiele. Nicht wenige davon betreffen den Bereich des „Green Deal“, der bislang leider noch relativ wenig von der versprochenen Wachstumsstrategie zeigt, aber dafür schon überbordende – vielfach redundante – Berichtspflichten mit sich bringt. Im gesamten Umweltbereich müssen von Unternehmen vielfach Daten in Datenbanken eingepflegt werden, ohne dass es einen erkennbaren Nutzen dieser Datenbanken gibt – weder für die Unternehmen, noch für Verbraucher, und auch nicht für Behörden. Hier gibt es auch Fälle von „golden plating“, wenn etwa in Österreich über die entsprechende EU-Richtlinie hinaus Abfalldaten gesammelt werden. Mitunter scheint die bürokratische Belastung aber auch schlicht auf Gedankenlosigkeit der Gesetzgeber zu beruhen, etwa wenn eine EU Entwaldungsverordnung – mit dem Ziel die Rodung von Regenwäldern zu unterbinden – massive bürokratische Anstrengungen zur Nachvollziehung innereuropäischer Lieferketten beinhaltet.
Aus Sicht der Industrie das zentrale Beispiel für eine geradezu unglaubliche Widersprüchlichkeit ist der Umstand, dass die Europäische Union einerseits einen massiven technologischen Wandel bei Produkten, Prozessen und Energienutzung erreichen will, andererseits aber mehr als vier von fünf Unternehmen (laut jüngster Umfrage von BusinessEurope) die Komplexität und Dauer von Genehmigungsverfahren als Hindernis für Investitionen in der EU sehen.
(Über-)Bürokratisierung als Antwort auf alle Fragen ist leider tief in die DNA der Europäischen Union eingebrannt. Hier bedarf es eines echten Kulturwandels, der – erschwerend - gegen das Eigeninteresse der EU-Behörden vorgenommen werden muss. Wie ich im März 2024 im Rahmen eines Besuchs einer österreichischen Industriedelegation in Brüssel gesehen habe, gibt es unter führenden Beamten der Kommission und im Europäischen Parlament aber sehr wohl eine beträchtliche Zahl an Personen, denen die bleierne Last der Bürokratieflut bewusst ist. Die nächste EU-Kommission kann hier einen Schulterschluss der Vernunft initiieren und damit wieder wirtschaftliche Dynamik statt Überregulierung stärken. Nachdem dies eine Zukunftsfrage ersten Ranges für den Wirtschaftsstandort Europa und die Europäischen Union ist, wird die Industrie solche Bemühungen bestmöglich unterstützen.
Mag. Sigi Menz
Obmann der Bundessparte Industrie