Die Wiegon-Leitstelle kombiniert ein umfassendes abfalltechnisches Know-how. Durch die Digitalisierung aller abfallrelevanten Vorgänge entsteht ein vollautomatisierter Recyclinghof. Die Wiegon-Bürgerapp wiederum ermöglicht Zugriffssteuerung und bietet Bürgerinfos.
© Manuel Pale

Wiegon Kompetenzcluster: Plötzlich Europameister

Der Kompetenzcluster Wiegon hat sein Know-ho in puncto Digitalisierung und Abfallwirtschaft ausgebaut. Geht es um digitale, komfortable und bürgerfreundliche Recyclinghöfe ist das Oberländer Unternehmen europaweit führend.

Lesedauer: 5 Minuten

Aktualisiert am 30.08.2023

Ja, anscheinend sind wir Vorreiter in Europa“, sagt Armin Wolf. Für ein junges Start up ist das kein schlechtes Resümee. Wolf ist Geschäftsführer der Wiegon GmbH mit Sitz in Landeck und die überraschende Tatsache, dass das erst im März 2023 gegründete Start up schon jetzt als Europameister im Bereich der modernen, digitalen Abfallwirtschaft bezeichnet werden darf, ist nur auf den ersten Blick erstaunlich. Beim zweiten Blick – dem Blick in die Genese des Unternehmens – wird die Vorreiterrolle nachvollziehbar. Diese Entstehungsgeschichte ist es echt wert, erzählt zu werden – weil so viel unternehmerischer Ideenreichtum in ihr steckt, die Kraft clever gepaarten, höchst unterschiedlichen Know-hows und nicht zuletzt viel Oberländer Finesse.

Doch kurz noch zurück zur Europameisterschaft. Auf Umwegen bekamen die Oberländer diesen Titel von der deutschen Universitätsstadt Jena überreicht, die den Plan verfolgt, ihre Abfallwirtschaft zu digitalisieren und die modernen Möglichkeiten zum Vorteil ihrer Bürger auch durch umfangreiche Recherche im Marktumfeld zu nutzen.

Abfallwirtschaft ist eine Uraufgabe aller Kommunen und egal, ob in Tirol, in Thüringen oder anderswo steckt dieser wichtige Bereich der Daseinsvorsorge seit einiger Zeit in einem tiefgreifenden Wandel-Prozess. Der früher eher verächtlich deponierte Müll ist längst zu einem Schlüsselfaktor des nachhaltigen, umweltbewussten Lebens geworden, der verantwortungsvollen Umgang von Verursacher:innen wie Entsorger:innen verlangt. Im Zuge dessen wurde die Abfallwirtschaft zu einer wahren Spielwiese für Digitalisierungs- und Automatisierungsprofis, die dazu beitragen, diese Branche zukunftsfit zu machen. „Vertreter:innen der Stadt Jena hatten von uns gehört und sich an uns gewandt. Dabei erzählten sie, dass sie beispielsweise auch in Dänemark waren oder in Holland und dass wir im Bereich Digitalisierung am weitesten sind“, erzählt Armin Wolf.

„Das ganze Projekt ist aus der Praxis heraus immer weiter gewachsen.“

Leuchtturmprojekt

Wie weit sie sind und was ihnen gelungen ist, kann in Ischgl beobachtet werden. Erst im September 2022 wurde dort der modernste Recyclinghof Europas eröffnet – geplant und umgesetzt von Wiegon (lesen Sie dazu „Der modernste Recyclinghof Europas“ auf Seite 33). Der Recyclinghof im touristischen Strahle-Ort des Paznauntals muss den Spagat zwischen 1.600 Einwohnern und rund 1,6 Millionen Nächtigungen schaffen. Der Hof spielt alle Stücke, Stücke von denen schon im Winter 2022/23 eine Frau aus Deutschland gehört hatte, die in Tirol Urlaub machte. „Sie hat bei uns angeklopft und wollte über den Recyclinghof in Ischgl informiert werden“, erzählt Wolf. Margit Klinken ist Gesellschafterin der deutschen sensis GmbH, die ebenso mit der Digitalisierung der Abfallwirtschaft beschäftigt ist und aus dem interessierten Anklopfen wurde in der Zwischenzeit eine Geschäftspartnerschaft. „Die sensis GmbH ist unser Vertriebspartner in Deutschland und fängt gerade an, unser System zu vertreiben“, sagt Wolf.

Im März 2023 startete sensis mit den ersten Online Branchentreffs zum Thema autonomer Wertstoffhof. Für September wurde der Deutschland-Partner eingeladen, das Wiegon Konzept den größten deutschen Städten und Kommunalbetrieben aus Köln, Berlin, Hamburg zu präsentieren, wo die Oberländer ihre nächsten Coups landen und den Mitbewerb mit einem kräftigen Juchezer neuerlich abhängen könnten. Wolf: „Unser großer Vorteil ist, dass wir drei Unternehmen dabei haben – Abfallwirtschaft, Digitalisierung und Automatisierung. Das unterscheidet uns von anderen.“ Gut möglich, dass dies auch das Geheimnis des Erfolges ist, zu dessen Basis der Tiroler Landeshauptmann Toni Mattle feststellt: „Eines ist ganz klar: Digitalisierung und Ökologisierung gewinnen immer mehr an Bedeutung und wir müssen diese vorantreiben – auch in der Abfallwirtschaft.“ Stimmt.


Die Wiegon-Leitstelle kombiniert ein umfassendes abfalltechnisches Know-how. Durch die Digitalisierung aller abfallrelevanten Vorgänge entsteht ein vollautomatisierter Recyclinghof. Die Wiegon-Bürgerapp wiederum ermöglicht Zugriffssteuerung und bietet Bürgerinfos.
© Manuel Pale Die Wiegon-Leitstelle kombiniert ein umfassendes abfalltechnisches Know-how. Durch die Digitalisierung aller abfallrelevanten Vorgänge entsteht ein vollautomatisierter Recyclinghof. Die Wiegon-Bürgerapp wiederum ermöglicht Zugriffssteuerung und bietet Bürgerinfos.

Entscheidende Kicks

Die drei Unternehmen, die Armin Wolf angesprochen hat, sind die Sawa Tec GmbH (Abfallwirtschaft), das Büro Maisengasse OG (Design und Digitalisierung) und die ematric systems gmbh (Automatisierung) – allesamt mit Sitz in Landeck. Kopf der Sawa Tec ist der Umwelttechniker Bernhard Weiskopf, der die Oberländer Gemeinden schon seit 25 Jahren in Abfallwirtschaftsfragen berät, der Branche immer wieder entscheidende Kicks in die digitale Zukunft schenkt und mit visionärem Blick die richtigen Fragen stellt. Diese Fragen führten ihn schon früh zu Florian Ennemoser und Armin Wolf, die zusammen an der FH in Dornbirn Mediengestaltung studiert und nach
ihrer Rückkehr ins Oberland in der Maisengasse in Landeck eine Bürogemeinschaft gebildet hatten.

2018 wurde aus der Bürogemeinschaft ein kompaktes Unternehmen, dessen Expertise von Markenauftritten über Webapplikationen, Foto- und Videokampagnen bis hin zu komplexen interaktiven Systemen reicht und schon seit vielen Jahren mit Bernhard Weiskopf zusammenarbeitet. Mit der Frage nach der Programmierung eines Programmes für digital unterstützte Sammelbestellungen der Gemeinden hatte sich Weiskopf erstmals im Jahr 2009 an die kreativen Köpfe in der Maisengasse gewandt. Es folgte ein Programm zur digitalen Organisation der Abfalllogistik und Schritt für Schritt bastelte das Büro Maisengasse an seiner Expertise für die Abfallwirtschaft bis wieder eine neue Frage Weiskopfs das Unternehmen im Jahr 2018 noch tiefer in diese Branche eintauchen ließ. Mit einer Software, die das digitale Potenzial bestehender bzw. schon auf den Recyclinghöfen stehender Waagen insofern ausschöpfte, als dass der entsorgte, kostenpflichtige Abfall gewogen und die Daten zur Abrechnung direkt der Gemeinde der entsorgenden Bürger :innen zur Verfügung gestellt wurde. „Da haben wir die Marke Wiegon gegründet, die sich von ‚wiegen online‘ ableitet“, erzählt Wolf, der sich zunehmend um diese Softwareentwicklung kümmerte. Wolf: „Das ganze Projekt ist aus der Praxis heraus immer weiter gewachsen.“


Die Bereiche Abfallwirtschaft (Sawa Tec GmbH), Software (Büro Maisengasse OG) und Automatisierung (ematric systems gmbh) werden vereint. Die Schnittstelle bildet das User Experience Design, das dafür sorgt, dass alle Bereiche ineinander greifen und Bürger:innen sowie Gemeinden die digitalen Möglichkeiten problemlos nutzen können.
© Wiegon Die Bereiche Abfallwirtschaft (Sawa Tec GmbH), Software (Büro Maisengasse OG) und Automatisierung (ematric systems gmbh) werden vereint. Die Schnittstelle bildet das User Experience Design, das dafür sorgt, dass alle Bereiche ineinander greifen und Bürger:innen sowie Gemeinden die digitalen Möglichkeiten problemlos nutzen können.

Wachstum

Als im Zuge dieses organischen Wachstums die Frage auftauchte, ob es nicht möglich wäre, die in den Recyclinghof einfahrenden Bürger:innen zu authentifizieren und dies über eine Schranke zu regeln, musste wieder neu gedacht werden. „Da haben wir bei der Firma ematric systems hier in Landeck angefragt, ob sie einen Terminal bauen können, der das alles kann“, blickt Wolf zurück ins Jahr 2020. Ematric ist weltweit tätig, baut Automatisierungsroboter etwa für Unternehmen wie BWM, Porsche, Audi, MAN, Atomic, Voestalpine, Stiegl oder Handl Tirol. Die Abfallbranche war zwar Neuland für sie, doch die Terminals, die ematric seit knapp drei Jahren baut, sind nicht nur gefinkelt und in viele Richtungen modulier- und skalierbar. Sie treffen – perfektioniert durch die von den Maisengassen-Expert:innen „eingebaute“ usability, also die Benutzer- bzw. Bürgerfreundlichkeit – auch punktgenau den Nerv der Zeit. Der vom Land Tirol mit einer Leuchtturmförderung befeuerte, voll automatisierte Recyclinghof in Ischgl war der erste große Streich. In Jenbach soll ein zweiter Hof in ähnlicher Größe entstehen, die Anfragen aus den Kommunen häufen sich. Mit jedem kommunalen Sonderwunsch wächst das Wiegon-Know-how und damit auch jener Vorsprung, der die Oberländer zu Europameistern macht.

Weitere Informationen: www.wiegon.at