Frau beim Arbeiten
© WK / Christian Vorhofer

Vollzeitarbeit muss sich wieder richtig lohnen

Arbeitsmarkt. Geht es um den Nettoeinkommenszuwachs einer Teilzeitkraft durch Erhöhung der Wochenarbeitszeit, weist Österreich im EU-Vergleich die zweitschlechtesten Werte auf. Mehr zu arbeiten, lohnt sich demnach kaum. „Hier ist die Gesetzgebung gefordert, das System leistungsgerechter zu gestalten, damit die Verhältnismäßigkeit stimmt“, sagt die Tiroler FiW-Vorsitzende Martina Entner. Passt auch die Kinderbetreuung, kann dem Fachkräftemangel positiv begegnet werden.

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Aktualisiert am 29.01.2024

Der Teufelskreis der Teilzeit ist kein unbekannter. Für betroffene Arbeitnehmer:innen wird sie spätestens in der Pension zur existenziellen Falle. Für betroffene Arbeitgeber:innen hält sie nicht weniger tiefgreifende Tücken bereit – vor allem mit Blick auf den Fachkräftemangel, der den unternehmerischen Schwung aller Branchen ins Stocken geraten lässt. „Das Thema Fachkräftemangel ist das Thema der Gegenwart wie der Zukunft und dabei spielt die Teilzeit eine große Rolle“, sagt Martina Entner und hält fest: „Wenn es sich für Arbeitnehmer:innen nicht wirklich lohnt, mehr Stunden zu arbeiten, dann werden wir das Problem nicht los werden.“

Die Vorsitzende von Frau in der Wirtschaft Tirol blickt bei ihrer Aussage auf den „Chart of the Week“ der WKO-Abteilung für Wirtschaftspolitik, der Ende Dezember 2023 auch jene staunen ließ, die sich diesbezüglicher Schieflagen längst bewusst waren. Klar ist, dass vom heimischen Steuer- und Abgabensystem eine Vielzahl von Verteilungs- wie Anreizwirkungen ausgehen und Regelungen im Bereich der Einkommensteuer und der Sozialversicherungsbeiträge einen wesentlichen Einfluss darauf haben, ob und in welchem Stundenausmaß eine Erwerbstätigkeit aufgenommen wird. Klar ist auch, dass diese Reize direkte Konsequenzen für den Arbeitsmarkt haben. „Unser Einkommensteuer- und Sozialversicherungssystem macht Teilzeit überdurchschnittlich attraktiv“, halten die WKO-Experten fest.

Mit 30,5 Prozent hat Österreich EU-weit die zweithöchste Teilzeitquote und Tirol hat mit knapp 33 Prozent die höchste Teilzeitquote im Bundesländervergleich. Angesichts dessen, was die WKO-Experten im „Chart of the Week“ darstellten, ist die Verwunderung darüber enden wollend. Geht es nämlich um den Nettoeinkommenszuwachs einer Teilzeitkraft durch Erhöhung der Wochenarbeitszeit, weist Österreich im EU-Vergleich die zweitschlechtesten Werte auf. Erhöht in Österreich eine Teilzeitkraft mit durchschnittlichem Gehalt die Wochenarbeitszeit von 20 auf 30 Stunden (plus 50 Prozent), steigt ihr Nettolohn lediglich um 28,9 Prozent. Möchte diese Teilzeitkraft auf eine Vollzeitbeschäftigung aufstocken, erhöht sich der Nettolohn – bei einer Verdoppelung der Arbeitszeit – um nur 61,1 Prozent. „Das sind jeweils die zweitschlechtesten Werte aller EU-Länder. In Deutschland steigt der Nettolohn bei gleicher Wochenarbeitszeitausweitung um 39 Prozent beziehungsweise 75,4 Prozent, in Dänemark liegen die Werte bei 44,1 Prozent beziehungsweise 86,3 Prozent“, so die WKO-Experten.

Wenn es sich für Arbeitnehmer:innen nicht wirklich lohnt, mehr Stunden zu arbeiten, dann werden wir das Problem nicht los werden.


Teilzeitanreize minimieren

„Es ist ganz wichtig, dass die Verhältnismäßigkeit wieder mehr stimmt und es sich lohnt, mehr zu arbeiten“, fordert Martina Entner eine Korrektur der Unverhältnismäßigkeiten, wie etwa eine leistungsgerechte Ausgestaltung des Einkommensteuersystems, um den offenkundig starken Teilzeitanreizen den folgenschweren Zahn zu ziehen. „Es muss den Arbeitnehmer:innen mehr übrig bleiben, dann ist auch mehr Kaufkraft da“, spricht Entner zudem eine logische Folge an, die sich multipel rächt. Darin, dass niedrigere Einkommen eine geringere Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zur Folge hat, sieht auch der Produktivitätsrat, der die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs untersucht, eine Gefahr der zunehmenden Teilzeit, die „gesamtwirtschaftliche Herausforderungen“ mit sich bringe.

Auch bei männlichen Beschäftigten hat sich die Teilzeitquote in den vergangenen Jahren auf fast 13 Prozent beinahe verdreifacht. Hier liegt Tirol im Bundes-Durchschnitt, die Tiroler Frauen, die in Teilzeit beschäftigt sind, überholen das Bundesmittel jedoch. Dieses liegt bei 51 Prozent, in Tirol hingegen sind über 54 Prozent der Frauen in Teilzeit erwerbstätig.

Im Juni 2023 hat die Österreichische Nationalbank eine Analyse veröffentlicht, laut der die Beschäftigung in Österreich seit Ende 2019 ausschließlich durch neue Teilzeitstellen wächst. Wieder ist die österreichische Entwicklung konträr zum Euroraum, wo das Beschäftigungswachstum nahezu ausschließlich auf Vollzeitbeschäftigung zurückzuführen ist.

Der fast schon unheimlich anmutende TeilzeitTrend befeuert in jeder Hinsicht die Forderung der FiW-Vorsitzenden nach einer Beseitigung der die Teilzeitarbeit begünstigenden beziehungsweise den Sprung in die Vollzeit erschwerenden Steuer- und Abgabenreize, die durch das nach wie vor ausbaufähige Kinderbetreuungsangebot zu einer für die Volkswirtschaft „ungesunden“ Mischung werden.

Laut Erhebungen der Statistik Austria begründen die meisten Frauen ihre Teilzeitbeschäftigung mit Betreuungspflichten. Neben älteren Arbeitnehmer:innen, denen eine Verlängerung des Erwerbslebens durch das bestehende System ebenso vermiest wird, zählen die unfreiwilligen „Teilzeit-Frauen“ zu einer kraftvollen und aktivierbaren stillen Reserve des Arbeitsmarktes.

Kinderbetreuung ausbauen

Vor ziemlich genau einem Jahr hatte sich das Arbeitsmarktservice Tirol (AMS) mit der Studie „Wenn Mama und Papa arbeiten“ neben anderem auch dieser Frage genähert. Der Fokus der Studie lag auf der Identifizierung von Optimierungsmöglichkeiten des institutionellen Kinderbetreuungsangebotes in Tirol – mit dem Ziel, die Nutzung zu erhöhen und damit sowohl die Erwerbsbeteiligung der Eltern als auch die Bildungschancen der Kinder zu fördern. „Die Betriebe brauchen den Ausbau der Kinderbetreuung in Tirol genauso dringend wie Frauen und Kinder. Wir sprechen hier von potenziellen Fachkräften, die zu Hause bleiben müssen, weil sie nicht Vollzeit arbeiten können. Wir sprechen von Frauen, die ihre Erwerbskarrieren abbrechen oder unterbrechen müssen, mit allen finanziellen Nachteilen, und wir sprechen vor allem auch von Kindern, die keine Frühförderung bekommen und dann mit Defiziten in der Volksschule starten müssen“, wurde Sabine Platzer-Werlberger, Landesgeschäftsführerin des AMS Tirol, in dem Zusammenhang zitiert.

Die AMS-Geschäftsführerin geht damit d’accord mit den gesellschaftspolitisch so überzeugenden Argumenten, die WK Tirol und Frau in der Wirtschaft über viele Jahre in die Diskussion eingebracht, für ein flächendeckendes, ganzjähriges und ganztägiges Kinderbetreuungsangebot gekämpft und mit diesem Bohren wahrlich harter Bretter Erfolg gehabt haben. „Ich sehe es sehr positiv, dass es in dem Zusammenhang ein klares Bekenntnis von allen Seiten gibt - erstens vom Land Tirol mit dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung und zweitens vonseiten des Bundes, den Ausbau mit entsprechend hohen Mitteln zu fördern“, sieht Martina Entner das Land auf einem guten Weg, die entscheidenden Lücken zu schließen.

Jüngst erst hatte der Rechnungshof festgestellt, dass Tirol 20,9 Millionen der Fördermittel, die großteils für den Ausbau der Betreuung für die Unter-Dreijährigen vorgesehen waren, nicht „abgeholt“ wurden. „Da schüttelt man im ersten Moment den Kopf und fragt sich, wie es das geben kann. Doch das ist bei vielen Fördertöpfen so und man muss fairerweise sagen, dass es Zeit braucht, bis das Ganze in die Umsetzung kommt“, so Entner.

Die Tatsache, dass Kinderbetreuung, Teilzeit und Fachkräftemangel die Eckpunkte eines Dreiecks bilden, dessen Fläche derzeit ziemlich dunkel verfärbt ist, hat die Kraft, der faktischen Umsetzung des Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung genauso Beine zu machen, wie der Abschaffung der hohen Teilzeitanreize. „Mehr oder Vollzeit zu arbeiten, muss sich wieder lohnen“, pocht Martina Entner darauf, Vollzeitarbeit zu attraktivieren - und sie ist überzeugt: „Werden diese Lücken geschlossen, kommt wieder Schwung hinein."