Vertrauen ist gut
„Die Beraterinnen“ haben sich in ihrem heurigen Zukunftscamp mit den Begriffen New Work und Empowerment befasst. Was theoretisch klingt, entpuppt sich als praxistaugliches Konzept für Tiroler Klein- und Mittelunternehmen.
Lesedauer: 7 Minuten
Die Beraterinnen“, ein Team von Expertinnen in der Organisations- und Personalentwicklung, stellten die sechste Auflage ihres „Zukunftscamps“ in der Villa Blanka unter das Motto „Was wirklich wirkt“. In Keynotes und Workshops wurde ergründet, was an den Schlagworten New Work und Empowerment dran ist, wie Tiroler Klein- und Mittelbetriebe davon profitieren können und mit welchen Maßnahmen sich die Zufriedenheit und damit die Performance von Mitarbeiter:innen und Mitarbeitern verbessern lässt. Eines lässt sich vorweg sagen: Mit dem alten Motto „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ ist bei New Work nichts zu gewinnen.
Schöne neue Arbeitswelt
Den Impuls setzte Carsten Schermuly. Er ist Professor an der SRH Hochschule Berlin und gehört zu den führenden New Work-Forscher:innen in Deutschland. Schon zu Beginn seiner Keynote stellte er klar: Das Konzept ist alles andere als theoretisch. Es geht darum, Arbeit so zu gestalten, dass Menschen mehr Freiheit, Selbstbestimmung und Sinn erleben, was zu mehr Zufriedenheit und besseren Ergebnissen führt. Der Begriff New Work stammt aus den 1980er Jahren und wurde vom österreichisch-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann geprägt. Er sah Arbeit nicht nur als Mittel zur Existenzsicherung, sondern als Möglichkeit zur persönlichen Entfaltung. Auch wenn der Begriff heute vielfältig interpretiert wird, bleibt der Kern der ursprünglichen Idee erhalten: Die Schaffung eines beruflichen Umfelds, in der der Mensch und seine Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen – kurz gesagt: eine schöne neue Arbeitswelt.
Empowerment als Kern von New Work
Der zentrale Bestandteil von New Work ist das Konzept des Empowerments. Empowerment ist die Stärkung und Befähigung von Mitarbeitenden, ihre Arbeit selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu gestalten. Dazu gehören vier Komponenten: das Erleben von Selbstbestimmung, Sinn, Kompetenz und Einfluss. Diese Dimensionen schaffen ein Umfeld, in dem sich Mitarbeitende ermächtigt fühlen, ihre Aufgaben proaktiv und mit einem hohen Maß an Eigenverantwortung anzugehen.
New Work ist topaktuell
Die Diskussion um New Work hat an Bedeutung gewonnen, da sich die Arbeitswelt durch Digitalisierung stark verändert hat. Menschen übernehmen vielfältigere Aufgaben und haben mehr Autonomie, was flexible und selbstbestimmte Arbeitsmodelle erfordert. Auch der Generationenwandel spielt eine Rolle: Jüngere Mitarbeitende erwarten mehr Mitspracherecht und Selbstbestimmung. Schließlich hat die Pandemie den Wandel beschleunigt und die Notwendigkeit von ortsunabhängigen Arbeitsformen unterstrichen, wodurch viele Menschen über den Sinn ihrer Arbeit nachgedacht haben. Die Pandemie ist Geschichte – der Wunsch nach Selbstbestimmung und Sinnhaftigkeit der Arbeit ist geblieben. Das macht New Work topaktuell.
Beide Seiten profitieren
Empowerment bringt zahlreiche Vorteile mit sich – sowohl für die Mitarbeitenden als auch für die Unternehmen. Carsten Schermuly hebt hervor, dass sich Mitarbeitende dadurch insgesamt wohler fühlen, was sich positiv auf ihre Arbeitsleistung auswirkt. Darüber hinaus führt Empowerment zu einer geringeren Fluktuation, da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker mit dem Unternehmen verbunden sind und sich dort langfristig wohlfühlen. Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie von motivierten, engagierten und innovativen Mitarbeitenden profitieren. Empowered Teams sind in der Lage, eigenständig Probleme zu lösen und Prozesse zu optimieren, was die Effizienz steigert.
Die Rolle der Führung
Die Führungskräfte eines Unternehmens spielen eine zentrale Rolle bei der erfolgreichen Umsetzung von New Work bzw. Empowerment. Sie müssen bereit sein, Kontrolle abzugeben und ihren Mitarbeitenden zu vertrauen. Das stellt traditionelle Führungskonzepte auf den Kopf, denn nun heißt es: „Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.“ Das erfordert einen kooperativen Führungsstil, bei dem Mitarbeitende und Führungskräfte auf Augenhöhe zusammenarbeiten. New Work bedeutet aber nicht Führungslosigkeit. Führungskräfte müssen trotzdem einen Rahmen setzen und dabei sicherstellen, dass Mitarbeitende die notwendige Unterstützung und Orientierung erhalten. Dies bedeutet auch, klare Kommunikationswege zu etablieren und regelmäßig Feedback zu geben, um die Entwicklung der Mitarbeitenden zu fördern.
Fazit
Empowerment ist das Schlüsselkonzept von New Work und bietet sowohl Mitarbeitenden als auch Unternehmen zahlreiche Vorteile. Es fördert Kreativität, Engagement und Produktivität, reduziert Stress und steigert die Arbeitszufriedenheit. Unternehmen, die auf Empowerment setzen, schaffen eine Arbeitsumgebung, in der Mitarbeitende eigenverantwortlich und proaktiv handeln können. Empowerment ist damit nicht nur ein Trend, sondern ein strategischer Ansatz, um Betriebe zukunftsfähig zu machen.
Das Konzept des Empowerments lässt sich auch auf Online-Meetings umlegen. Wenige klare Regeln verbessern das Ergebnis deutlich:
Wer einen Termin einstellt, wird vom System aufgefordert, einen Sinn zu formulieren. Die Empfänger müssen daraufhin nicht nur den Termin, sondern auch den Sinn des Meetings bestätigen.
Die Prüfung beschränkt sich aber nicht auf die Phase vor dem Meeting. Alle Teilnehmenden haben die Pflicht, den Sinn auch im Verlauf zu prüfen, und dürfen das Meeting jederzeit verlassen, wenn der Sinn für sie nicht mehr gegeben ist.
Meetings dauern 30 Minuten. Wer mehr möchte, muss begründen und bitten.
Alle Mitarbeitenden werden für Meetings geschult und verfügen über Moderationsfähigkeiten.
Je höher der Status einer oder eines Teilnehmenden, desto später darf er oder sie ihre oder seine Meinung sagen. Dadurch wird verhindert, dass sich die Diskussion zu schnell an der Meinung einer Führungskraft orientiert. (Quelle: Carsten Schermuly)
„Empowerment ist ansteckend“
Der New Work Forscher Carsten Schermuly und Gabriele Adelsberger („Die Beraterinnen“,) erklären im Interview, welche Kraft New Work bzw. Empowerment im Unternehmen freisetzen können.
Ist Home Office bereits New Work?
Schermuly: Nein. Home Office ist eine Methode aus dem Mittelalter. Vor der Industrialisierung haben die Menschen zu Hause gearbeitet. Erst die Industrialisierung hat die Menschen an einem Ort zusammengebracht. Home Office ist ein Thema, bei dem wir im deutschsprachigen Raum noch viel zu tun haben. Zu Hause Arbeiten kann ein kleiner Bestandteil von New Work sein – aber es ist deswegen noch lange nicht New Work.
Empowerment ist der zentrale Begriff in Zusammenhang mit New Work. Was ist damit gemeint?
Schermuly: Aus dem Erleben von Selbstbestimmung, Sinn, Kompetenz und Einfluss entwickelt sich ein eigenständiges Gefühl von Empowerment, das dazu führt, dass Menschen selbstständiger und proaktiver handeln und es führt zu weiteren positiven Folgekompetenzen. Diese sind nicht nur für die Arbeitnehmer gut, sondern auch für die Arbeitgeber von Vorteil. Es entwickelt sich mehr Leistungsfähigkeit, mehr Innovationskraft, eine höhere Arbeitszufriedenheit, verbunden mit weniger Stress, weniger Depressionen und späterem Renteneintritt.
New Work und Empowerment werden häufig mit Bürojobs in Verbindung gebracht. Zu Recht?
Adelsberger: Nein, die Empowerment-Theorie ist universell, sie lässt sich auf alle Branchen umlegen und ist auch für Führungskräfte und Mitarbeiter:innen jeder Altersklasse geeignet. Wir haben darüber hinaus oft die Herausforderung, mit unterschiedlichen Generationen umzugehen. Auch das lässt sich mit Empowerment gut lösen. Generationen zu managen erfordert jedoch Führungskräfte, die das wollen, können und die Zeit dafür bereitstellen.
Ist New Work auch für kleine Unternehmen geeignet?
Schermuly: New Work lässt sich auch bei mittenständischen Betrieben problemlos einsetzen. Und es funktioniert, wie Frau Adelsberger gerade betont hat, auch nicht nur bei Bürojobs, sondern in allen Branchen, durchaus auch in einer Metzgerei. Es macht auch Sinn, bei jungen Unternehmen sehr früh mit diesem Konzept zu beginnen.
Haben Sie ähnliche Erfahrungen bei Ihren Beratungen gemacht?
Adelsberger: Ja, ich kann das unterstreichen. Der kleinste Betrieb, den wir in einer Beratung hatten, war ein Elektrounternehmen mit 8 Mitarbeitern. In Zeiten des Arbeits- und Fachkräftemangels braucht es eine stärkere Professionalisierung in der Führung und in der Personalarbeit. Hier ist das Konzept von New Work sehr hilfreich. Jene Betriebe, die Empowerment verstehen und anwenden, werden die Nase vorne haben.
New Work hilft also gegen den derzeit ausgeprägten Arbeitskräftemangel?
Adelsberger: Definitiv. Wir kennen eine Reihe von Unternehmen, die keine Probleme haben, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Sie schulen ihre Führungskräfte, nehmen Ressourcen in die Hand und bieten Perspektiven für ein langfristiges Arbeitsverhältnis mit entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten. Wir beraten viele Mittelstandsunternehmen, die dieses Konzept verinnerlicht haben und erfolgreich anwenden.
Was fasziniert Sie besonders an Empowerment?
Schermuly: Es ist für mich fast wie ein Antibiotikum, weil es so breit wirkt. Es ist kein kompliziertes Konstrukt, es lässt sich in allen Branchen sehr gut in die Praxis umsetzen. Ich habe noch nie bei einer Beratung in einem Unternehmen erlebt, dass am Schluss eine Führungskraft gesagt hätte, sie würde das Konzept nicht verstehen oder es mache keinen Sinn.
Damit ist New Work eine Art Rezept?
Adelsberger: Jedes Unternehmen muss seine eigene Anwendung von New Work finden. Die einzelnen Dimensionen des Empowerments sind bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern individuell ausgeprägt und müssen im Einzelfall entwickelt werden. Daher weisen New Work bzw. Empowerment zwar den Weg, sind aber kein Patentrezept. Wenn Führungskräfte bereit sind, Zeit und Energie zu investieren, entfaltet New Work seine Wirkung.
Was kann die Führungskraft dazu beitragen?
Schermuly: Einerseits am eigenen im Empowerment-Erleben arbeiten, weil es für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansteckend ist. Andererseits das Empowerment bei den Mitarbeitern zu stärken. Es gibt in diesem Zusammenhang 6 hilfreiche Führungsdimensionen, auch das ist übersichtlich und praxisorientiert anwendbar.
Was macht man als Führungskraft, wenn Mitarbeiter nicht auf New Work ansprechen?
Schermuly: Es gibt durchaus Betriebe, wo es nicht funktioniert. Manchmal braucht es auch eine andere Art der Führung. New Work sollte als Angebot gemacht werden – wenn es nicht angenommen wird, muss man andere Wege gehen.
Lässt sich Empowerment messen?
Schermuly: Ja, problemlos, mit erprobten Fragebogenelementen. Ich bin ohnehin ein großer Verfechter der Personaldiagnostik. Es ist verhältnismäßig einfach, mit standardisierten und gut verfügbaren Instrumenten zu fundierten Aussagen zu kommen. Trotzdem nimmt die überwiegende Zahl der Betriebe diese Möglichkeit noch nicht in Anspruch.
Haben Sie bei Ihren Beratungen schnell ein Gefühl für den Reifegrad eines Betriebes in Bezug auf Empowerment?
Adelsberger: Wenn ich zum ersten Mal in ein Unternehmen komme und sehe, wie die Führungskräfte und die Mitarbeiter miteinander umgehen, bekomme ich sofort ein Gefühl, wie es in diesem Unternehmen läuft. Es gibt einige Betriebe, in denen es eine Art intuitives Verständnis für Empowerment gibt, andere brauchen mehr Unterstützung. Auch die Beratung in Hinblick auf Empowerment ist sehr individuell.