Politik bleibt effektive Lösungen weiter schuldig
Die Lücke an Beschäftigten wird immer größer. Bundes- und Landespolitik haben zwar in den letzten Monaten punktuelle Verbesserungen erreicht, aber es braucht dringend weitere Maßnahmen.
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Der Mangel an Arbeitskräften ist die größte Herausforderung für die heimischen Betriebe. „In den letzten Monaten hat sich die Situation spürbar verschärft. Die Babyboomer gehen in Pension, die geburtenschwachen Jahrgänge kommen nach. Schon derzeit gibt es eine Lücke von rund 25.000 Mitarbeiter:innen, wenn man über die beim AMS Gemeldeten hinaus auch die Ungemeldeten berücksichtigt“, erklärt WK-Präsident Walser. Die Arbeitslosenquote im September beträgt 3,3 %, damit besteht Vollbeschäftigung in Tirol. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Das merken zunehmend auch Konsumentinnen und Konsumenten: Inzwischen sind nicht nur Handwerker:innen Mangelware, auch im Bereich Pflege oder im öffentlichen Personennahverkehr wird es immer schwieriger, das Angebot aufrecht zu erhalten.
Christoph Walser betont, dass die Politik in den letzten Monaten zwar an einigen Stellschrauben gedreht hat, die getroffenen Maßnahmen aber bei Weitem nicht ausreichen. So wurden das Saisonkontingent erhöht, die Altersteilzeit flexibler gestaltet und auch bei der Rot-Weiß-Rot-Karte einige Verbesserungen vorgenommen. Zudem soll ab Jänner 2024 der Anteil steuerfreier Überstunden von zehn auf 18 erhöht werden. Und in Tirol wird mit dem Recht auf Kinderbetreuung ab 2026 eine wesentliche Voraussetzung für die Erhöhung der Erwerbstätigkeit von Frauen geschaffen. „Ein Teil der getroffenen Maßnahmen bringt punktuelle Verbesserungen, ein weiterer Teil wird erst in den kommenden Monaten und Jahren wirken. Die heimischen Betriebe brauchen jedoch dringend jetzt ein weiteres Gegensteuern“, betont Walser.
Der Geschäftsführer der Ledermair Holding GmbH, Alexander Ledermair, berichtet über die akuten Probleme in der Praxis: „Es fehlen schon jetzt 150 Fahrerinnen und Fahrer für den öffentlichen Personennahverkehr in Tirol – und im Winter werden zusätzliche 100 Lenker:innen benötigt. In den kommenden Jahren gehen 450 Lenker:innen in Pension.“ Es wird eine enorme Herausforderung, das Liniennetz aufrecht zu erhalten. Die Betriebe versuchen alles in ihrer Macht stehende, um den Beschäftigten einen attraktiven Arbeitsplatz zu bieten. Die Ledermair Holding investiert beispielsweise in Personalwohnungen, bietet umfangreiche Aus- und Weiterbildungsprogramme, günstige Konditionen für hochwertige Privatfahrzeuge sowie attraktive Krankenversicherungen. „Diese Benefits reichen aber bei weitem nicht aus, um unseren Personalbedarf zu decken. Wir brauchen dringend die Unterstützung der Politik, um Lücken im öffentlichen Personennahverkehr zu verhindern“, erklärt Ledermair.
Aus Sicht von Präsident Christoph Walser gibt es drei Hebel, die sofort wirken und große Effekte auslösen würden:
1. Das Potenzial bei Pensionistinnen und Pensionisten heben
Die Bundesregierung hat längst angekündigt, die Rahmenbedingungen für das Arbeiten bei Pensionist:innen attraktiver zu gestalten, allerdings fehlt seit Monaten die Umsetzung. Laut einer Erhebung der Wirtschaftskammer Österreich würden 20 % der Pensionist:innen gerne länger arbeiten – allerdings nur, wenn sich ihr Einsatz auch lohnt. „Wenn sich Pensionist:innen bereit erklären, länger im Arbeitsprozess zu bleiben, sollte ihnen der Verdienst brutto für netto zukommen. Bei den Sozialabgaben sollte nur die Pflicht zur Zahlung der Unfallversicherung bestehen“, fordert Christoph Walser, „dann haben wir die Chance, dass uns ältere Arbeitnehmer:innen mit ihrer ganzen Erfahrung länger zur Verfügung stehen und einen Beitrag leisten, die Belastung der Belegschaft zu reduzieren.
2. Qualifizierte Zuwanderung über die Rot-Weiß-Rot-Karte forcieren
Die Rot-Weiß-Rot-Karte wurde in den letzten Monaten zwar verbessert, aber die Anerkennung von Berufsabschlüssen sowie Kenntnissen ist immer noch viel zu formal. Anders in unserem nördlichen Nachbarland, einem direkten Konkurrenten um qualifizierte Zuwanderer: „In Deutschland müssen ausländische Berufsabschlüsse nicht mehr im Land anerkannt werden“, erklärt der Leiter der Abteilung Arbeits- und Sozialrecht der WK Tirol, Bernhard Achatz. Auch ist es in Deutschland für qualifizierte Zuwanderer möglich, bis zu drei Jahre zu arbeiten, wenn parallel dazu ein Berufsanerkennungsverfahren und gegebenenfalls eine Ausbildung absolviert werden. „Bei der Rot-Weiß-Rot-Karte müssen dringend Fähigkeiten und Kenntnisse anerkannt werden und nicht nur formale Abschlüsse wie derzeit“, erklärt Bernhard Achatz.
3. Öffnung des Arbeitsmarkts zumindest für EU-Beitrittskandidaten
Deutschland hat für Bewerber:innen aus Beitrittsländern vereinfachte Bedingungen. „Das ist der leichtere Weg als über unsere Rot-Weiß-Rot-Karte“, betont der WK-Präsident, „damit haben wir keine Chance, Arbeitskräfte aus diesen Ländern zu bekommen.“
Anstelle sachlich über diese notwendigen Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel zu diskutieren, dominieren in der öffentlichen Debatte leider andere Themen, kritisiert WK-Präsident Christoph Walser. Als völlig verfehlt bezeichnet er in der jetzigen prekären Lage die Forderung nach einer Verkürzung der Arbeitszeit. „Wer kürzere Arbeitszeiten als Lösung verkauft, sitzt einem kapitalen Rechenfehler auf. Wie soll sich der Arbeitskräftemangel verbessern, wenn weniger gearbeitet wird?“ fragt sich Walser. Zudem verweist der Präsident auf überzogene Forderungen bei den aktuellen Kollektivvertragsverhandlungen. „Wir brauchen jetzt Abschlüsse mit Augenmaß – nur so lässt sich die Lohn-Preis-Spirale stoppen und die Wettbewerbsfähigkeit unserer Firmen sichern“, betont der Präsident.
Der Fachkräftemangel ist nicht nur ein österreichisches Problem, sondern auch eines der Nachbarländer. Wenn Staaten wie Deutschland massiv bessere Rahmenbedingungen bieten, saugen sie das Potenzial an qualifizierten Zuwanderern ab. „Der Arbeitskräftemangel ist zudem keine Herausforderung für die Wirtschaft alleine, sondern eine gesamtgesellschaftliche“, betont Walser, „die Mitarbeiter:innen können den Druck auf Dauer nicht schultern und auch die Konsument:innen spüren bereits deutliche Einschränkungen. Deswegen brauchen wir Offenheit und mutige Lösungen – und zwar jetzt!“