Medgas-Technik: Von Leisach in die Welt
Die Medgas-Technik GmbH in Leisach ist auf die Produktion von medizinischen Versorgungseinheiten spezialisiert. Das Osttiroler Unternehmen beliefert Kliniken auf der ganzen Welt.
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Der Globus dreht sich ziemlich lustig beim Versuch, all die Orte und Kliniken zu loka lisieren, in denen Produkte dieses Osttiro– ler Unternehmens zu finden sind. Die spannende Fingerreise geht beispielsweise nach Hongkong, Syrien, Indonesien, den Iran, Saudi Arabien, El Salvador, Nigeria oder Aserbaidschan und nähert sich über Albanien langsam all den Krankenhäusern in Österreich, um schließlich in Leisach zu landen, dem Ausgangspunkt der Reise. „Wir haben gerade auch ein Projekt in Pakistan laufen“, sagt Bernhard Heinricher, Geschäftsführer der MedgasTechnik GmbH. Wieder lockt der Globus, doch ist es vielmehr das global tätige Unternehmen, das neugierig macht.
Diese Neugier hat Christoph Walser, Präsident der WK Tirol, Mitte April nach Leisach gelockt und es gib viele gute Gründe für den Besuch. Die Tatsache, dass die aktuell 22 Mitarbeiter:innen der MEDGAS-Technik medical systems GmbH Austria seit Beginn des Jahres „nur“ noch vier Tage pro Woche arbeiten und am Donnerstag um 17:15 Uhr ins Wochenende starten, ist nur einer davon. „Wir produzieren hier die so genannten medizinischen Versorgungseinheiten. Das sind Medizinprodukte, wie beispielsweise die Lichtleisten hinter den Krankenhausbetten, wo Steckdosen zu finden sind und Anschlüsse für medizinische Gase“, erklärt Heinricher. Die Lichtleisten, die er anspricht, kennen alle, die schon einmal in einem Krankenhausbett gelegen sind oder jemanden besucht haben, der darin lag. Wie so oft, weckt erst der Hinweis darauf die Frage, was denn da drin steckt und wer diese Leisten, die beispielsweise sicherstellen, dass die Patienten jederzeit mit Lebensrettendem versorgt werden können, produziert. „Wir produzieren nicht nur diese Versorgungseinheiten, sondern auch jene für die Intensivmedizin und OP-Säle“, spannt der Geschäftsführer den Portfolio-Bogen weiter zu so genannten Deckenversorgungseinheiten etwa, die in allen Bereichen des medizinischen Betriebes zum Einsatz kommen. Der Bogen lässt jedenfalls vermuten, dass sich unter ihm ziemlich viel Knowhow und Innovationskraft versteckt.
Knackige Größe
Das tut es auch – und zwar seit 2012. „Früher gab es ein Elektrounternehmen an diesem Standort. Die Firma hat in kleinem Maße medizinische Versorgungseinheiten produziert und ist in Konkurs gegangen“, blickt Heinricher zurück zum Ende seines damaligen Arbeitgebers, das für ihn den Startschuss als Unternehmer markierte: „Frühere Kollegen haben das Elektrounternehmen weitergeführt. Zwei weitere Kollegen und ich sagten, wir bleiben im Bereich Medizintechnik und machen das weiter.“
Der ersten Willensbekundung folgte rasch die zweite und Bernhard Heinricher gründete zusammen mit den Eigentümern der in der Nähe der hessischen Stadt Wiesbaden „stationierten“ Firma Medgas Technik Deutschland die Medgas Technik Österreich. Die deutsche Firma war damals der wichtigste und beste Kunde für die MedizintechnikProdukte der Osttiroler Vorgänger-Firma gewesen und obwohl das Partnerunternehmen auf Gasinstallationen in Krankenhäusern spezialisiert und damit anders ausgerichtet ist, war die Schnittstelle der gemeinsamen Zielgruppe entscheidend. „Weil der Name am Markt bekannt war, sind wir dabei geblieben, selbst wenn er nicht ganz zu unseren Produkten passt“, erklärt Bernhard Heinricher. Er selbst war 12 Jahre in diesem Geschäft tätig, seine Kollegen schon länger. Die Wissensträger bildeten die Know-how-Basis für das junge Unternehmen.
Prüf- und Zulassungsverfahren
Es startete in einer Zeit durch, als sich in den Medizintechnik-Unternehmen Europas ein tiefgreifender Umbruch ankündigte. Die MDR, die Medical Device Regulation, sollte die bisherigen Anforderungen an Medizintechnikprodukte – von der Mullbinde, über das künstliche Knie hin zu Herzschrittmachern oder eben die medizinischen Versorgungseinheiten – extrem verschärfen, die Prüf- und Zulassungsverfahren verkomplizieren und zahlreiche Unternehmen vor enorme Herausforderungen stellen. „Dieses strenge Reglement führte dazu, dass es einige Unternehmen, die frü- her am Markt tätig waren, heute nicht mehr gibt“, weiß Heinricher, der die MDR-Standards nicht scheute, die Leisacher Firma ins Rennen schickte und die Nische erfolgreich besetzte, bei der die „knackige“ Größe des Unternehmens ein entscheidendes Ass ist. „Wir sind das kleinste Unternehmen in dem Mitbewerberpool, können sehr rasch auf Kundenwünsche reagieren und sind vom Ablauf schneller, weil wir alles bei uns im Haus haben. Wir haben den Vorteil, dass wir selber auch Montageunterstützung bieten und die Produktionsentwicklung bei uns im Haus passiert“, so Heinricher. Entwicklung und Produktion gehen Hand in Hand und garantieren den Kunden das, was in der heiklen Patientenversorgung entscheidend ist: Qualität und Sicherheit.
Der erste Teil des hochkomplexen MDR-Zertifizierungsprozesses wurde bereits abgeschlossen, der zweite Teil soll im Frühsommer 2023 folgen. Der Geschäftsführer hält dazu fest: „Ich sage immer, das Produkt ist maximal ein Drittel, bei den anderen zwei Dritteln geht es um Dokumentation, Nachweise, welche Teile eingebaut wurden, Rückverfolgbarkeit et cetera.“ Selbst wenn bei einer Leiste nur zwei Steckdosen und zwei Gasanschlüsse zu sehen sind, gibt es für jedes Produkt eine umfangreiche Produktakte. „Ich bin eine Mischung aus Techniker und Kaufmann – das ist hier nicht verkehrt“, sagt Heinricher, der mit den Herausforderungen offenkundig bestens zu jonglieren versteht. Die Herausforderungen des globalen Marktes zählen selbstverständlich auch dazu.
Spannende Nische
Als die Firma startete, war „der Markt“ skeptisch, ob das kleine Unternehmen große Aufträge schaffen kann. Diese Skepsis ist Geschichte. „Uns ist kein Auftrag zu klein und wenn es sich zeitlich in die Länge zieht – ist uns keiner zu groß“, so Heinricher. Die Aufträge fangen bei einem Volumen von 500 bis 600 Euro an, wenn ein Kunde beispielsweise schnell ein Ersatzteil benötigt. Bei der Abwicklung des Krankenhauses Bozen lag das Auftragsvolumen bei 1,9 Millionen Euro. Auch derart umfangreiche Projekte sind möglich. „Ein Krankenhaus wird immer in Etappen beliefert, auch wenn es ein Neubau ist. Wir fahren da mit dem Baufortschritt mit“, erklärt Heinricher. Produziert wird dabei stets auftragsbezogen und maßangefertigt, wobei die Frage, wie mit den Spitzen und Tälern umgegangen wird, selbstredend ein feinfühliges Organisationstalent des Geschäftsführers verlangt, der erzählt: „Richtig gut sind wir bei Aufträgen zwischen 10.000 und 50.000 Euro, bei denen große Player sagen, dass ihnen das zu klein ist und zu mühsam in der Abwicklung.“
Es ist eine spannende Nische, die das Unternehmen da besetzt hat, das sich in entfernter liegenden Zielländern auf Partner vor Ort verlässt. Demnächst kommen wieder Mitarbeiter:innen von Vertriebspartnern aus Südasien, aus Indien und Pakistan beispielsweise, um in Leisach eingeschult zu werden. „Im Umkreis von rund 500 Kilometern betreuen wir die Kunden selber“, zieht Heinricher einen Zirkelkreis, der bis Frankfurt, Zürich, Wien oder Mailand reicht.
Produktentwicklung
Den Eigenvertrieb zu stärken, ist ein großes Thema auf der To-do-Liste. Produktentwicklung ist ein weiteres. Extrem spannend klingt in dem Zusammenhang etwa das Projekt, an dem die Leisacher gemeinsam mit dem Grazer Lichtunternehmen Xal arbeiten. Das Licht in Krankenzimmern dem „natürlichen“ Tagesverlauf anzupassen und seine positive Wirkung auf die Stimmung, die Emotionen und den Heilprozess zu nutzen, steht dabei im Mittelpunkt. Nicht nur die spannenden Aufgaben sind ein Lockmittel für Mitarbeiter:innen. Die seit Jänner 2023 gültige Vier-Tage-Woche ist es auch. „Das funktioniert super. Laut Gesetz haben wir die 38,5 Stunden-Woche. Die halbe Stunde schenke ich den Mitarbeiter:innen, damit der Freitag frei bleiben kann“, erklärt Geschäftsführer Heinricher, der die Talente in seinem Unternehmen auch dadurch fördert, indem er die Mitarbeiter:innen einbindet und so selbstständig wie möglich arbeiten lässt. Was die technischen Eigenheiten der über den Globus verstreuten Kundenländer betrifft, sammeln sie dabei viel spezifisches Know-how. Und der Globus dreht sich weiter lustig beim Versuch, all die Orte und Kliniken zu lokalisieren, in denen Produkte dieses Osttiroler Unternehmens zu finden sind.