Konjunktur: durchwachsen, große Branchenunterschiede
Die Wirtschaftslage ist getrübt - das belegen die Ergebnisse des aktuellen TOP Tirol Konjunkturbarometers der Tiroler Wirtschaftskammer. Besonders betroffen sind Industrie, Handel und Verkehrswirtschaft. Ab Jahresmitte ist eine leichte Wachstumsbelebung in Sicht. Die WK fordert eine Senkung der Lohnkosten, u.a. durch 500 Euro Absetzbetrag für Vollarbeitszeit.
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Aktuell melden 23 % der Leitbetriebe (Sommer 2023: 27 %) eine gute wirtschaftliche Lage, 21 % (Sommer 2023: 9 %) berichten von einer schlechten wirtschaftlichen Situation. Besonders stark betroffen von der Konjunkturschwäche sind die Industrie, der Handel und die Verkehrswirtschaft. 31 % der befragten Industrieunternehmen berichten von einer schlechten Lage, im Sommer 2023 waren es 15 %. Im Handel hat sich der Anteil der negativen Rückmeldungen von 4 % im Sommer 2023 auf 33 % erhöht; in der Verkehrswirtschaft von 2 % auf 25 %.
Große Branchenunterschiede
Trotz der internationalen Wachstumsschwäche berichtet jeder dritte Leitbetrieb der Sparte Gewerbe und Handwerk (ohne Bau) von einer guten wirtschaftlichen Lage (im Sommer 2023 waren es noch 39 %). Grundsätzlich positiv ist nach wie vor die wirtschaftliche Lage im Tourismus (29 %) und in der Sparte Information und Consulting (41 %). Auch die Tiroler Bauwirtschaft hat sich etwas erholt. „Damit sorgt einmal mehr der breite Branchenmix dafür, dass der Standort Tirol auch in schwierigen Zeiten robust aufgestellt ist“, betont WK-Präsidentin Barbara Thaler.
Geschäftsklimawert: negativ
Unerfreulich ist der Ausblick auf die wirtschaftliche Entwicklung bis zur Jahresmitte 2024: 37 % erwarten eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ihres Unternehmens; nur 14 % eine Verbesserung. Der Geschäftsklimawert (Mittelwert der aktuellen Lage und der Erwartungen für die kommenden 6 Monate) sackt damit erstmals seit dem Corona-Winter 2021 wieder in den negativen Bereich (-8 %). In der Tiroler Industrie ging der Geschäftsklimawert sogar von 4 % im Sommer 2023 auf -32 % zurück – das ist der niedrigste Wert seit der Finanzkrise 2009 (damals -38 %).
Auftragslage und Auftragserwartung
Die konjunkturell bedingte Nachfrageschwäche spiegelt sich in der Auftragslage der Unternehmen wider. Besonders stark eingetrübt hat sich die Auftragslage in der Tiroler Industrie: Aktuell melden 58 % der Industriebetriebe eine schlechte Auftragslage, nur 4 % sind zufrieden. Für die kommenden Monate bis zum Frühjahr 2024 erwarten nur 13 % der Leitbetriebe eine Verbesserung der Auftragslage, 27 % sehen eine (weitere) Verschlechterung. Durchwegs positiv sind lediglich die Erwartungen für die Buchungen im Tourismus.
Größte Herausforderungen
Für 2024 sehen 74 % der befragten Leitbetriebe das Thema Arbeitskosten als größte Herausforderung (vor einem Jahr waren es 50 %). Auf Platz 2 der Herausforderungen liegt der Arbeits-/Fachkräftemangel mit 67 %, auf Platz 3 die Energie-/Rohstoffpreise mit 52 %. Durch die steigenden Zinsen hat auch das Thema der Finanzierungskonditionen wieder an Bedeutung gewonnen: Vor zwei Jahren war dies nur für 5 % eine Herausforderung, letztes Jahr für 20 % und aktuell bereits für 29 %.
Kapazitätsauslastung und Investitionen
41 % der Tiroler Leitbetriebe berichten, dass ihre Anlagenkapazitäten derzeit zu wenig ausgelastet sind. Die Unterauslastung liegt damit auf dem Niveau der Finanzkrise des Jahres 2009. Die geringe Auslastung der betrieblichen Kapazitäten dämpft (in Kombination mit dem erhöhten Zinsniveau) weiter die Investitionsbereitschaft für die kommenden sechs Monate: Nur 14 % der befragten Leitbetriebe werden ihr Investitionsvolumen im Vergleich zum zweiten Halbjahr 2023 erhöhen, 38 % hingegen senken. Der Großteil der Investitionen sind reine Ersatzinvestitionen, gefolgt von Rationalisierungsinvestitionen und wenigen Erweiterungsinvestitionen. Am stärksten ausgeprägt ist die Investitionsbereitschaft im Tiroler Tourismus.
Kosten und Erträge: Talsohle überschritten
Die Einschätzungen zu Beschaffungskosten und Verkaufspreisen bestätigen die Erwartung, dass das Maximum der Teuerungswelle überschritten ist und die Inflation sich im Jahr 2024 abschwächen wird: Auch wenn 32 % der Leitbetriebe mit ihrer Rohertragslage nicht zufrieden sind, hat sich die Einschätzung gegenüber dem Sommer 2023 nicht wesentlich verschlechtert. Das spricht ebenfalls dafür, dass der Tiefpunkt der Wachstumsschwäche der heimischen Wirtschaft erreicht sein dürfte.
Wirtschaftsjahr 2024: Gedämpfte Erwartungen
Was die Wirtschaftsentwicklung Tirols im Jahr 2024 betrifft, sind die Leitbetriebe sehr zurückhaltend: Nur 9 % sind für das neue Jahr optimistisch, 34 % pessimistisch und 57 % neutral. Zum Vergleich: Im Vorjahr lag der Anteil der Optimist:innen bei 12 %, 30 % waren für die Wirtschaftsentwicklung pessimistisch, 58 % neutral.
Wirtschaftsprognose 2024
Seit Jahresmitte 2023 hat sich die Wirtschaftsentwicklung in Tirol stark eingebremst – vor allem in den eingangs erwähnten Branchen. Die Tiroler Wirtschaft dürfte 2023 mit einem Wachstum zwischen 0,0 % und 0,5 % bilanzieren.
Eine spürbare Konjunkturbelebung wird erst eintreten, wenn die Teuerungswelle so weit im Griff ist, dass die EZB mit den ersten Zinssenkungsschritten beginnen kann. Dies dürfte nicht vor Jahresmitte 2024 der Fall sein. In der Bauwirtschaft könnte hingegen der Tiefpunkt der Rezession bereits erreicht sein. Die hohen Lohnabschlüsse werden 2024 den Konsum stützen und sich damit ab dem 2. Quartal 2024 positiv auf die Umsätze im Handel auswirken. Insgesamt ist im Jahr 2024 mit einem realen Wirtschaftswachstum von 1 % zu rechnen.
Der strukturell bedingte Arbeitskräftemangel führt dazu, dass trotz anhaltender Wachstumsschwäche die Arbeitslosenquote in Tirol im Jahresdurchschnitt 2024 auf dem Niveau der Jahre 2022 und 2023 liegen wird (rund 4,0 %).
Einen weiteren Anstieg wird es bei den Unternehmensinsolvenzen geben: Für 2024 ist mit rund 380 - 400 Unternehmensinsolvenzen in Tirol zu rechnen (2023: 318).
Sofortmaßnahmen zur Senkung der Arbeitskosten
Die beiden mit Abstand größten Herausforderungen der Betriebe sind die Arbeitskosten und der Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel. „Daher besteht in diesem Bereich der dringendste Handlungsbedarf seitens der Politik“, betont Barbara Thaler.
Die steigenden Arbeitskosten (als Folge der letzten Kollektivvertragsverhandlungen) werden die Lohn-Preis-Spirale in Österreich weiter in Gang halten. Auch wenn die Inflationsrate insgesamt zurückgeht, wird diese in Österreich im Jahr 2024 weiter über dem Durchschnitt der EU liegen. Damit verschlechtert sich auch die internationale Wettbewerbsposition der österreichischen Wirtschaft laufend. „Für unsere Betriebe wird es von Tag zu Tag schwerer, gegen den hohen Konkurrenzdruck zu bestehen. Ich erwarte mir daher für die heurigen Verhandlungsrunden im Herbst Augenmaß, damit der Ausstieg aus der Lohn-Preis-Spirale gelingt“, erklärt die WK-Präsidentin.
Kurzfristig sind folgende Maßnahmen zur Dämpfung der hohen Lohnkosten dringend erforderlich:
- 500 Euro Absetzbetrag für Vollzeit
Es ist eine Tatsache, dass sich in vielen Fällen die Erweiterung der Teilzeit bzw. deren Aufstockung auf Vollzeit zu wenig lohnt. Aufgrund der höheren Steuerstufen kommt ein Großteil des zusätzlichen Verdienstes nicht als Nettobetrag bei den Arbeitnehmer:innen an. „Leistung muss wieder einen Wert bekommen und honoriert werden. Daher sollte für Vollzeitbeschäftigte ein Steuerabsetzbetrag von 500 Euro eingeführt werden“, fordert Barbara Thaler. Als Vollzeit ist die kollektivvertragliche oder gesetzliche Normalarbeitszeit zu verstehen. - KV-Partner am Zug: Teuerungsprämie ausschöpfen
Mit der seit 1.1.2024 neu eingeführten Mitarbeiterprämie wird die bisherige Teuerungsprämie der Kalenderjahre 2022 und 2023 verlängert. Zulagen und Bonuszahlungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf Grund der Teuerung zusätzlich im Kalenderjahr 2024 geleistet werden, sind bis zu 3.000 Euro pro Jahr steuer- und beitragsfrei. Jetzt sind die Kollektivvertragspartner gefordert, die erforderlichen Rahmenbedingungen für die steuerbegünstigte Auszahlung von Teuerungsprämien zu schaffen. Diese gilt natürlich auch für Betriebe, in denen kein Betriebsrat gewählt ist. In diesem Fall ist eine vertragliche Vereinbarung für alle Arbeitnehmer:innen ausreichend, sofern es dafür im anzuwendenden Kollektivvertrag eine Regelung gibt. „Die KV-Verhandler:innen können diese Option jederzeit vereinbaren. Die Wirtschaftsseite ist dafür bereit. Die Teuerungsprämie ermöglicht es, Mitarbeiter:innen für ihren Einsatz zusätzliches Geld brutto für netto zukommen zu lassen“, betont die WK-Präsidentin. - Minus 0,5 %: Lohnnebenkosten runter
Österreich zählt zu den 5 Ländern mit den höchsten Lohnnebenkosten in der EU. Das reduziert die Nettobezüge und kostet Wettbewerbsfähigkeit. Daher sprechen sich nicht nur 87 % der Unternehmer:innen, sondern auch 79 % der Bevölkerung für eine Senkung der Lohnnebenkosten aus. Konkret soll es zu einer Senkung der Lohnnebenkosten um mindestens 0,5 Prozentpunkte in den nächsten zwei Jahren kommen. Dass dies möglich ist, hat die bereits erfolgte Absenkung um 0,5 % in den letzten beiden Jahren gezeigt. „Es ist ohne Leistungseinschränkungen für die Versicherten gelungen, die Lohnnebenkosten um 800 Millionen Euro zu reduzieren. Mit der Ausschöpfung vorhandener Effizienzpotenziale ist ein weiterer derartiger Schritt durchaus möglich“, betont die WK-Präsidentin, „wir Unternehmer:innen sind es gewohnt, Strukturen ständig zu hinterfragen und mögliche Einsparungen zu realisieren. Das erwarten wir auch von der öffentlichen Hand.“
Diese 3 Sofortmaßnahmen wären ein Beitrag, um die hohen Lohnkosten in Österreich zu senken und würden sich positiv auf den Arbeitskräftemangel auswirken, da Leistung damit attraktiver wird. „Parallel dazu ist die Politik gefordert, an sämtlichen anderen Stellschrauben in Bezug auf den Arbeitskräftemangel zu drehen – von einer Vereinfachung der Rot-Weiß-Rot-Karte über attraktivere Rahmenbedingungen für längeres Arbeiten bis hin zum raschen Ausbau der Kinderbetreuung", erklärt Barbara Thaler.
Die Ergebnisse des aktuellen TOP Tirol Konjunkturbarometers gibt's hier zum Download.